Hannover – Auch 14 Jahre nach der Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes im Deutschen Bundestag gibt es beim Thema “Spätabtreibungen” noch Handlungsbedarf. Wir brauchen geänderte gesetzliche Vorgaben zur Vermeidung von Spätabtreibungen. Die Medizin ist im letzten Jahrzehnt weitergekommen. Ungeborene können bereits ab der 22. Schwangerschaftswoche überleben. Die Neonatologie ist sehr viel weiter gekommen. Auf Frühchenstationen habe ich mich davon selbst mehrfach überzeugt. 2008 wurden 231 Kinder nach der 23. Schwangerschaftswoche abgetrieben. Die Dunkelziffer wird noch weit höher eingeschätzt. Wir müssen diese Zahl senken. Dazu brauchen wir zusätzliche Beratungsgespräche und eine Bedenkzeit von drei Tagen für die werdenden Eltern. Beides ist heute nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es wird Zeit, dass der Bund jetzt endlich nachbessert. Nach jahrelanger Diskussion besteht nun endlich die Chance, ein Regelungsdefizit zu beseitigen, das durch die Reform des Schwangerschaftsabbruchrechts im Jahr 1995 entstanden ist. Maßgebliches Ziel muss immer sein, werdenden Eltern, vor allem werdenden Müttern, umfassende Hilfestellung bei ihrer Entscheidung zu geben, insbesondere wenn sie vor der schwierigen Frage der Annahme eines behinderten Kindes oder dem Abbruch der Schwangerschaft stehen. Bei dieser komplexen, sehr schweren Entscheidungsfindung ist die gesetzliche Festschreibung einer umfassenden medizinischen und auch psychosozialen Beratung erforderlich. Ich trete dafür ein, dass werdende Eltern bereits frühzeitig besser über die möglichen medizinischen Erkenntnisse und die damit oft verbundenen Konfliktsituationen der Pränataldiagnostik aufgeklärt werden. Dienlich könnte auch ein erweiterter Hinweis auf dieses Beratungsrecht der schwangeren Frau im Mutterpass sein. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer medizinischen Indikation im Zusammenhang mit einer Behinderung des ungeborenen Kindes sollte möglichst durch Begutachtung eines interdisziplinär besetzten Kollegiums (z.B. aus den Bereichen Frauenheilkunde, Kinderheilkunde, Psychologie, Humangenetik) festgestellt werden, um die Entscheidung nach § 218a Abs. 2 StGB auf eine breitere Basis zu stellen. Durch ein solches Kollegium sollten insbesondere die Ärztinnen und Ärzte unterstützt werden, indem die Verantwortung für die Prognoseentscheidung nicht mehr allein einer einzelnen Ärztin oder einem einzelnen Arzt obliegt. Nach der Feststellung der Diagnose und erfolgter Beratung sollte bis zur Feststellung der medizinischen Indikation eine Bedenkzeit von drei Tagen eingehalten werden, sofern das Leben der werdenden Mutter nicht akut gefährdet ist. Eine Gesetzesänderung muss der Konfliktlage der Schwangeren und dem Schutz des ungeborenen Lebens gleichermaßen gerecht werden. Die im Gesetzentwurf der Gruppe um die Bundestagsabgeordneten Singhammer (CDU/CSU), Griese (SPD) und Lenke (FDP) vorgesehenen Regelungen zur Beratung und zur Bedenkzeit sind hier hilfreich. Wir brauchen auch eine bessere statistische Erfassung von späten Schwangerschaftsabbrüchen. Die bisherigen Erhebungen haben sich als unzulänglich erwiesen. Notwendig ist eine konkretisierende Ergänzung, die auch die präzise Schwangerschaftsdauer und die Anzahl der durchgeführten Fetozide zum Inhalt hat. Nicht zuletzt liegt es an allen politischen Ebenen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, um den Eltern die Entscheidung auch für ein behindertes Kind zu erleichtern. Eltern müssen wissen, dass die Gesellschaft sie nicht allein lässt, wenn sie ein behindertes Kind bekommen. Dafür müssen wir uns alle stark machen.