Berlin – Am 04. Juni 2022 ist „Tag der Organspende“. An diesem Tag wird in sämtlichen Medien für die Organspende geworben. Ihre Vorteile für kranke Menschen werden deutlich betont.
Massive gesundheitliche Gefährdung
Eine mögliche Form der Spende ist die Organlebendspende. Die dabei jahrzehntelange ebenfalls propagierte Ansicht, dass der Nierenlebendspender mit einer Niere genauso gut leben könne, wie mit zweien, hält sich teilweise bis heute. Dabei ist sie längst widerlegt. Nicht zuletzt durch die intensive Aufklärungsarbeit der IGN.
Zwei aktuelle deutsche Studien stützen, ebenso wie zahlreiche bereits veröffentlichte internationale Studien, vollumfänglich die Ansicht der IGN.
Die Studie „Results of the prospective multicenter SoLKiD cohort study indicate bio-psycho-social outcome risks to kidney donors 12 months after donation“ (Suwelack et al.) hat über mehrere Jahre Nierenlebendspender von 20 deutschen Transplantationskliniken begleitet und kommt zu beunruhigenden Ergebnissen:
50 % der Spender leiden an einer Niereninsuffizienz (mittlerer Verlust der Filterfunktion 37 %), 12,1 % an neu aufgetretener schwerer körperlicher Fatigue, 17,5 % an „mentaler“ Fatigue (= Verlust des Vitalitätsgefühls). Die Autoren vergleichen diese Fatigue u. a. mit der Fatigue bei Krebskranken und Bestrahlungspatienten.
Die interdisziplinäre Studie „Assessment of cognitive functioning after living kidney donation: A cross-sectional pilot study“ (Mikuteit et al.) kommt zum Ergebnis, dass die untersuchten Nierenlebendspender bei Tests, z. B. zum Arbeitsgedächtnis, und zur anhaltenden Aufmerksamkeit schlechter abschnitten als die gesunde Kontrollgruppe.
Unvollständige Aufklärung
Damit wird einmal mehr bestätigt, dass sich Menschen zur Nierenlebendspende bereit erklärt haben, obwohl sie falsche Informationen erhielten. Eine selbstbestimmte freie Entscheidung war und ist oft nicht möglich. Auch ein „Nein“ zur Organspende, gerade aus Selbstschutz, ist absolut legitim und gerechtfertigt. Der Bundesgerichtshof hat 2019 diese Position nach erfolgreicher Klage massiv gestärkt.
Ungesicherter Versicherungsschutz
Es müssen viele Nierenlebendspender mit den gesundheitlichen Folgen des Nierenverlustes leben. Eine weitere wissenschaftliche Arbeit, „Rechtliche Probleme der Lebendorganspende“ (Müller), bestätigt den unzureichenden Versicherungsschutz. Demzufolge kommen Unfallkassen ihrer eigentlichen Pflicht häufig nicht nach.
Der Gesetzgeber ist gescheitert
Die Absicht des Gesetzgebers, mit der Änderung des Transplantationsgesetzes 2012 den Lebendorganspender zuverlässig gegen die Folgen der Gesundheitsschäden abzusichern, ist gescheitert, weil das nach Meinung der IGN menschenfeindliche Verhalten der Unfallkassen gegenüber geschädigten Organlebendspendern nicht gestoppt wurde, kann die logische Konsequenz nur lauten:
Die Zulässigkeit der Nierenlebendspende muss massiv eingeschränkt werden!
Die vom Gesetzgeber bewusst streng formulierten und in § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG gesondert strafbewehrten Aufklärungsvorgaben sollen den potentiellen Organspender davor schützen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; sie dienen dem „Schutz des Spenders vor sich selbst.“
Bundesgerichtshof am 29. Januar 2019 (VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17)
„Eine Lebendspende kann mit hohen Risiken verbunden sein. (…) Eine umfassende Aufklärung ist daher umso wichtiger. Die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V. leistet dazu einen wichtigen Beitrag.“
Hermann Gröhe (Bundesgesundheitsminister 2013 bis 2018)