Berlin – Die privat Krankenversicherten haben inzwischen im Durchschnitt weit mehr als doppelt so hohe Einkommen wie die gesetzlich Versicherten. Doch gleichzeitig können immer mehr Privatversicherte ihre steigenden Beiträge nicht mehr bezahlen, weil es für sie keinen funktionierenden Solidarausgleich gibt. So lautet ein zentrales Ergebnis einer neuen Publikation des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) in der die „Krankenversicherung der Zukunft“ beleuchtet wird. Das Fazit von WIdO-Geschäftsführer Prof. Dr. Klaus Jacobs lautet daher auch: „Für die deutsche Krankenversicherung geht es nicht darum, die bestehende Dualität des Krankenversicherungssystems zu reformieren. Vielmehr müssen wir ein gemeinsames System schaffen, das gleichzeitig solidarisch und wettbewerblich ausgestaltet ist und allen Versicherten und Patienten gleichermaßen nutzt.“
„Das duale Krankenversicherungssystem in Deutschland mit einem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung als eigenständige Systeme stößt an Grenzen“ sagte Professor Klaus Jacobs, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Die Krankenversicherung der Zukunft“.
Er stützt seine Aussage unter anderem auf eine Analyse sozio-ökonomischer Daten von Versicherten der Privaten Krankenversicherung (PKV) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Danach lag das durchschnittliche Jahreseinkommen der PKV-Versicherten 2010 bei knapp 47.000 Euro und damit weit mehr als doppelt so hoch wie bei den gesetzlich Versicherten mit weniger als rund 21.500 Euro. Viele Privatversicherte, darunter vor allem Solo-Selbständige, verfügen jedoch nur über kleine Einkommen und haben Schwierigkeiten, die Beiträge für einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu bezahlen. 4,6 Prozent der Privatversicherten stand 2010 im Mittel sogar nur ein Einkommen in der Größenordnung des steuerfreien Existenzminimums von etwas mehr als 8.000 Euro pro Jahr zur Verfügung.
Anders als in der GKV erfahren solche schutzbedürftigen Versicherten jedoch keine Solidarität innerhalb der PKV. Eine bevölkerungsweite Solidarität bei der Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes gibt es wegen der Systemtrennung von GKV und PKV ebenfalls nicht. Und das, obwohl Versicherte aus beiden Systemen davon profitieren würden und obwohl das Prinzip der Einkommenssolidarität bei Versicherten beider Systemen große Wertschätzung genießt, wie eine Untersuchung des WIdO zeigt: Fast 90 Prozent der gesetzlich Versicherten halten es ganz oder zumindest teilweise für richtig, dass Besserverdiener im Gesundheitssystem mehr bezahlen als Geringverdiener. Auch unter den Privatversicherten fällt die entsprechende Zustimmung mit mehr als 85 Prozent sehr hoch aus.
Antworten für ein zukunftsfähiges Krankenversicherungssystem
Neben Analysen wie diesen beschreiben die Autoren des Buches auch konkrete Lösungsansätze für ein zukunftsfähiges Krankenversicherungssystem. Klaus Jacobs zufolge müsse dieses drei zentrale Merkmale aufweisen: die solidarische Finanzierung eines umfassenden Leistungskatalogs, lebhaften Wettbewerb auf der Grundlage möglichst uneingeschränkter Wechselrechte aller Versicherten zu allen Versicherungen sowie wirksame Instrumente zur Steuerung der Gesundheitsversorgung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit. Bei einem Fortbestand der Dualität auf dem Krankenversicherungsmarkt könnten alle drei Anforderungen aber nicht erfolgreich erfüllt werden.
Die Konsequenz liegt für Jacobs klar auf der Hand: „Die Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland liegt nicht darin, die bestehende Dualität des Krankenversicherungssystems zu reformieren. Vielmehr müssen wir ein gemeinsames System schaffen, das gleichzeitig solidarisch und wettbewerblich ausgestaltet ist und allen Versicherten sowie Patienten gleichermaßen nutzt.“
Wohin eine wettbewerbliche Ausgestaltung der Versorgung im Interesse aller Versicherten und Patienten führen kann, zeigt ein Blick in die benachbarte Schweiz, der ebenfalls ein Beitrag der neuen WIdO-Publikation gewidmet ist. Dort gibt es in der Krankenversicherung ein einheitliches Wettbewerbssystem für die ganze Bevölkerung. Mehr als die Hälfte der Versicherten (2012: 56 Prozent) ist mittlerweile freiwillig in unterschiedlich entwickelte Versorgungsmodelle eingeschrieben, die ausnahmslos Einsparerfolge nachweisen können.
Dagegen kann bei dem „Systemwettbewerb“ zwischen GKV und PKV in Deutschland keine Rede davon sein, dass es sich um einen sinnvollen Wettbewerb handelt, von dem alle Versicherten und Patienten profitieren. Nur ein äußerst kleiner Teil der Bevölkerung verfügt überhaupt über eine echte Wahloption. Dabei handelt es sich überwiegend um junge und gesunde Personen, die an Fragen der Gesundheitsversorgung zumeist kein akutes Interesse haben. Wer aber alt und krank ist und womöglich unzufrieden mit den Leistungen seiner Krankenversicherung, kann in aller Regel keinen Versicherungswechsel mehr vollziehen – zurück in die GKV schon gar nicht. Dieser untaugliche Wettbewerb konterkariert im Ergebnis alle Bemühungen zur flächendeckenden Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Versorgung für die gesamte Bevölkerung und wirkt letztlich kontraproduktiv.
Die WIdO-Publikation „Die Krankenversicherung der Zukunft“ umfasst insgesamt 10 Beiträge von ausgewiesenen Experten zu einer breiten Themenpalette: von den Präferenzen der Versicherten und der Analyse der „Dualität“ zwischen GKV und PKV sowie von Schwachstellen im Geschäftsmodell der PKV über Perspektiven der solidarischen und nachhaltigen Finanzierung und der vertragswettbewerblichen Versorgungssteuerung bis hin zu Wettbewerbserfahrungen aus den Niederlanden und der Schweiz.
Weitere Informationen auf www.wido.de.