Kiel, 17.01.2023 – In Schleswig-Holstein haben die Verdachtsfälle auf einen Behandlungsfehler in 2021 wieder deutlich zugenommen. Eine aktuelle Auswertung der AOK NordWest bei ihren Versicherten hat ergeben, dass in 191 Fällen ein Verdacht geäußert und weiterverfolgt wurde. Im Jahr zuvor waren es nur 146 Fälle. AOK-Vorstandschef Tom Ackermann weist darauf hin, dass nach wie vor viele Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ihrer Rechte hätten, wenn sie einen Behandlungsfehler oder einen Schaden durch ein fehlerhaftes Medizinprodukt oder ein Arzneimittel vermuten. „Hier ist die Bundesregierung gefordert, ihr Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag anzupacken und das Patientenrechtegesetz von 2013 endlich im Sinne der Patientinnen und Patienten konsequent weiterzuentwickeln.“
Rund 560 AOK-Versicherte in Schleswig-Holstein haben allein in den letzten drei Jahren den Verdacht auf einen Behandlungsfehler bei ihrer Krankenkasse vorgetragen. Hier hilft die AOK ihren Versicherten mit einer fachkundigen Beratung durch Experten und Medizinern. „Damit stärken wir die Rechte der Patienten und profilieren uns als Anwalt unserer Versicherten“, so Ackermann.
Die AOK-Experten fordern zum Beispiel Behandlungsunterlagen an, koordinieren externe Gutachten und bewerten diese, fertigen selbst welche an und stellen diese den Versicherten kostenfrei zur Verfügung. In rund 80 Prozent der Fälle wird kein beweisbarer Medizinschaden festgestellt oder es handelt sich um einen unberechtigten Vorwurf. Hier unterstützt die AOK die Ärzte oder sonstigen Behandler bei der Aufklärung der Patienten. In rund 20 Prozent der Fälle handelt es sich jedoch um einen Behandlungsfehler. Wenn Vergleichsverhandlungen der AOK mit den Haftpflichtversicherern scheitern, wird der Klageweg beschritten. Dabei darf die AOK nur ihre eigenen Ansprüche geltend machen. Anfallende Anwalts- oder Prozesskosten für ihre Kunden darf die AOK nicht übernehmen. „Allerdings können unsere Versicherten auf die Beweislage im Regressprozess der AOK NordWest zurückgreifen und auf diesem Weg ihr Prozesskostenrisiko minimieren“, so Ackermann. Allein in den vergangenen drei Jahren hat die AOK NordWest in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein gerichtlich oder im Vergleich mit Haftpflichtversicherern insgesamt rund 10,7 Millionen Euro erfolgreich durchgesetzt.
Vor allem in den operativen Fachrichtungen wie Chirurgie, Orthopädie und Gynäkologie aber auch in der Zahnheilkunde wird häufig der Verdacht auf einen Behandlungsfehler geäußert. „Hier sind mögliche Fehler für die Versicherten eher ersichtlich. Doch häufig entstehen Medizinschäden nur deshalb, weil auf eine ohne Verschulden eingetretene Komplikation nicht richtig oder nicht rechtzeitig reagiert wird“, so der AOK-Chef.
In diesem Zusammenhang fordert Ackermann eine Erleichterung beim Nachweis der Kausalität zwischen einem Behandlungsfehler und dem entstandenen Schaden. Dieser Nachweis ist für Patientinnen und Patienten oft nur schwer zu erbringen. Deshalb schrecken viele Betroffene davor zurück, ihre eigenen Ansprüche geltend zu machen oder gar vor Gericht einzuklagen. „Diese juristische Schwelle muss abgesenkt werden“, so Ackermann.
Außerdem fordert der AOK-Chef Sanktionen für Leistungserbringer, die den Patientinnen und Patienten die Einsicht in ihre Behandlungsakte grundlos verweigern, die Entlastung der Versicherten von oft unangemessen hohen Kosten für Kopien aus der Patientenakte sowie Klarstellungen zum Einsichtsrecht der Krankenkassen in die Behandlungsunterlagen Verstorbener. Eine weitere Forderung ist, Patienten künftig auch im Falle von Schäden, die durch fehlerhafte Medizinprodukte entstehen, zu unterstützen.
Insgesamt gilt es aus Sicht Ackermanns, Behandlungs- und Pflegefehler sowie kritische Ereignisse noch stärker als bisher als Quelle von Lernprozessen zu nutzen. „Dazu braucht es einen optimierten Zugang zu Verdachts- und Schadensfällen und eine offene Fehlerkultur in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens.“