Essen – Im Juli äußerte sich die fünfköpfige Monopolkommission unter Leitung von Prof. Dr. Justus Haucap in ihrem 18. Hauptgutachten zum Wettbewerb unter Apotheken. Ihr Fazit: Unter Apotheken herrsche zu wenig Wettbewerb. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift das Thema in der August-Ausgabe auf und erläutert, warum es unter Apotheken anders als es von der Monopolkommission dargestellt wird bereits einen knallharten Wettbewerb gibt und warum die von Haucap vorgeschlagenen Regulierungsmaßnahmen letztlich wieder die Menschen benachteiligen, die auf eine gute und sichere Arzneimittelversorgung angewiesen sind: Die Patienten. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren deutschlandweit und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.
DER FALSCHE ERSTE KNOPF Auch Professoren können irren. Wenn der erste Knopf falsch ist, sind alle anderen Knöpfe auch falsch, sagt der Volksmund. Das gilt für jeden erst recht für Professoren. Wenn sie untersuchen und beraten und Gutachten erstellen, dann müssen sie genau hinsehen. Und wenn sie Thesen aufstellen, wie sie sich die notwendige Entwicklung in einem so sensiblen Wirtschaftszweig wie dem Gesundheitswesen vorstellen, dann darf die Öffentlichkeit erwarten, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Doch offensichtlich können auch Professoren mit dem falschen Knopf anfangen wie der Volkswirt Professor Dr. Justus Haucap. Irgendetwas muss er falsch verstanden haben. Haucap, Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie in Düsseldorf, ist seit Juli 2008 Vorsitzender der Monopolkommission. Die soll die Bundesregierung in Fragen der Wettbewerbspolitik und der Regulierung beraten.
Die Monopolkommission hat nur fünf Mitglieder. Neben Haucap sind das die Unternehmerin Dr. Angelika Westerwelle, Ehefrau eines Cousins von Außenminister Guido Westerwelle, die Medienunternehmerin Christiane Kofler, ehemals Prinzessin zu Salm, Dr. Thomas Nöcker, Vorstand der K+S Aktiengesellschaft und Prof. Dr. Daniel Zimmer, Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn.
Dass sich die Beratungstätigkeit der Monopolkommission auch auf das Gesundheitswesen erstreckt, ist richtig und wichtig. Insbesondere unter der Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat es jede Menge an Konzentration und Wettbewerbseinschränkung gegeben.
Da war der Rückgang des Wettbewerbs unter den Krankenkassen. Ihre Zahl sank von über 1 147 (1990) auf aktuell 163 die hohen Verwaltungskosten sanken allerdings nicht mit. Und da war die gebündelte Nachfragemacht der jetzt groß und stark gewordenen Kassen, die eine Vielzahl kleinerer Anbieter von Gesundheitsleistungen und Produkten aus dem Rennen um Aufträge warfen. Da war auch die Einführung des Gesundheitsfonds, der jeden Beitragswettbewerb unter den Kassen erstickte. Und da war die Entwicklung von Krankenhausketten in privatem Besitz, die das Krankenhauswesen nicht billiger machten, durch Spezialisierung auf lukrative Krankheitsfälle den kommunalen Krankenhäusern aber die kostenintensiven Fälle überließen und damit deren Verluste vergrößerten. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Von der Monopolkommission war zu diesen Entwicklungen wenig zu hören. Gut möglich, dass die entsprechenden Gutachten im Wirtschaftsministerium verstaubten.
Jetzt will es die Monopolkommission allerdings wissen. Sie hat (oder hat sie nicht?) den Wettbewerb unter den Apotheken in Deutschland untersucht. Ergebnis: Zwar gäbe es ein bisschen Wettbewerb über Zugaben und Zeitschriften , doch der müsse dringend verbessert werden und zwar über den Preis. Das zeigt, wie oberflächlich diese Untersuchung erfolgt sein muss. Dass der Wettbewerb unter Apotheken knüppelhart ist, muss der Kommission irgendwie entgangen sein. Und wenn der erste Knopf falsch ist …
In Deutschland gibt es 21 500 Apotheken. Das ist, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, nicht besonders viel, sondern europäischer Durchschnitt. Diese Apotheken garantieren, so will es das Gesetz, zusammen mit dem pharmazeutischen Großhandel die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln bis in den letzten Winkel der Bundesrepublik. Flächendeckend nennt man das. Die Preise für rezeptpflichtige Arzneimittel sind überall gleich.
Es ist schon einige Jahrzehnte her, dass der Gesetzgeber diese Leitlinien in Gesetze und Verordnungen goss. Damals sah der Staat die Gefahren eines Arzneimittelmarktes mit freier Preisbildung genau. Niemand sollte einen anderen Preis für ein Arzneimittel bezahlen als den vom Staat in einer Preisspannenverordnung festgelegten, egal ob aufgrund zu hoher Nachfrage oder eingeschränkter Lieferfähigkeit eines Arzneimittels bei Epidemien, der Entfernung zu einer Apotheke oder der Zugehörigkeit zu dieser oder jener Krankenkasse . Das war logisch, vernünftig und sozial gerecht.
Daran will die Monopolkommission jetzt rütteln. Dass es in der Kommission keine Denkverbote gibt, ist zwar löblich, dem Ergebnis jedoch abträglich. Wie sonst kann man auf die Idee kommen, jeder Apotheker möge sein Beratungshonorar für verschreibungspflichtige Medikamente frei kalkulieren? Wie das? Preisverhandlungen mit dem kranken Kunden?
Hat die Kommission die unterschiedlichen Mentalitäten der Menschen nicht gesehen? Weiß sie nicht, dass es rücksichtslose und hartnäckige Preisverhandler gibt, die auch in anderen Branchen erfolgreich agieren zu Lasten der Schüchternen, der Braven, der Anständigen, die dann den Aufpreis zahlen müssen? Soll die Rücksichtslosigkeit einer Ellenbogengesellschaft jetzt auch unter Kranken den Preis für Medikamente bestimmen?
Wer im Übrigen auf die Idee kommt, Haucap gestatte nach diesem freien Kalkulationsmodell den Apotheken, im Nacht- und Notdienst jetzt endlich kostendeckende Preise zu fordern, liegt falsch. So weit soll der Preiswettbewerb denn doch nicht gehen. Missbrauchspotenzial nennt Haucap ein solches Verhalten. Deshalb will Haucap den Preis für Arzneimittel nach oben hin deckeln auf der Höhe des jetzigen Preises. Die Monopolkommission als Preisregulierer.
Das eigentliche Ziel des 18. Hauptgutachtens der Kommission könnte jedoch ein anderes sein: die Zahl der Apotheken drastisch zu reduzieren. Wie anders soll man die Äußerungen von Prof. Haucap verstehen, die meisten chronisch Kranken würden dann sicher in die billigste Apotheke strömen? Und die so folgert man kann ruhig weiter entfernt sein. Chronisch Kranke haben ja Zeit genug.
Und die anderen, die akut Kranken? Die wieder nach Hause wollen? Die Mütter, die mit einem kranken Kind noch schnell in die Apotheke um die Ecke müssen? Die alleinstehenden, immobilen älteren Menschen, die keinen Besorger haben? Die sollen dann wohl in die Restapotheke. Dass die davon nicht leben kann und als Kümmerexistenz aus dem Markt ausscheiden muss, ist offensichtlich gewollt. Da passt es denn auch, dass Haucap auf dem Kongress des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken auftritt. Die werden sich sicher über das Gutachten der Monopolkommisssion freuen und auf steigende Umsätze hoffen, auch wenn niemand so genau weiß, ob Versandapotheken Geld verdienen oder das Geld ihrer Kreditgeber verbrennen, weil man mit Billigstpreisen die von einer Apotheke gesetzlich geforderten Leistungen einfach nicht finanzieren kann.
Haucap schiebt übrigens gleich noch die Forderung nach Apothekenketten in der Hand von Kapitalgesellschaften hinterher. Dass er dabei die nachvollziehbaren Begründungen des Europäischen Gerichtshofs für eine Beibehaltung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes in Deutschland nur Apotheker dürfen eine Apotheke besitzen ignoriert, liegt im Trend. Es war nicht zu erwarten, dass die Gegner des Mittelstandes aufgeben. Auch seine Forderung nach einer (dann notwendigen) ständigen Fusionskontrolle der Apothekenketten kann man als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Monopolkommission entschuldigen. Dringend notwendig würde sie allemal sein.
Oberflächlich und ärgerlich ist hingegen Haucaps These, Apothekenketten würden sich in ihrer Geschäftspolitik wie die Einzelapotheke verhalten. Knappes Warensortiment, Konzentration auf lukrative Schnelldreher, reduziertes Personal, eingeschränktes Verantwortungsgefühl von Filialleitern, die heute hier und morgen dort eingesetzt werden, kühle Standortpolitik nach Kundenfrequenz all das soll vergleichbar sein mit dem Einsatz eines Apothekers, der um das Wohlergehen seiner Apotheke vor Ort kämpft und dessen Kunden sein wichtigstes Kapital sind? Die Monopolkommission hat ein riesiges Aufgabengebiet abzuarbeiten. Auch andere Branchen das Postwesen, die Telekommunikation, die Eisenbahnen, die Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung wollen regelmäßig von ihr begutachtet werden. Hauptgutachten und Sondergutachten jagen einander. Das ist viel Arbeit zu viel offensichtlich. Kein Wunder, dass die Genauigkeit der Recherche, die Schärfe der Analyse und die Qualität der Schlussfolgerungen darunter leiden.
Zu hoffen ist, dass auch dieses Mal die Regierung dem Gutachten der Monopolkommission keine Aufmerksamkeit schenkt.
WENIGER IST MEHR Ein Kommentar der Redaktion Die Monopolkommission mit ihren fünf Mitgliedern hat es nicht leicht. Sie soll die Regierung in Fragen des Wettbewerbs in vielen wichtigen Branchen beraten: Post, Telekommunikation, Eisenbahnen, Wasser, Gas, Elektrizität, Gesundheit. Das ist zeitlich nur schwer zu schaffen. Kein Wunder, dass man sich nur an der Oberfläche der wirtschaftlichen Zusammenhänge einer Branche bewegen kann. Vielleicht sollte man sich auf einen Bereich konzentrieren: Die Eisenbahnen brauchen den Wettbewerb dringend. Dann würden die Fahrgäste auch nicht mehr bei 70 °C kollabieren.