Essen – Dass zahlreiche Krankenkassen gefährdet sein werden, haben Experten schon vor dem Inkrafttreten des Bürokratiemonsters Gesundheitsfonds prognostiziert. Als erste hat es die City BKK erwischt. Sie ist pleite. Statt eine Steigerung des Wettbewerbs zu erfahren, befinden sich auch andere Kassen in einer negativen Spirale nach unten. Um die eigene Existenz zu retten, lehnten sie die Aufnahme jener City BKK-Mitglieder, die die Ausgaben aufgrund teurer Therapien drastisch erhöhen, ab. Ein ethisch verwerflicher, aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbarer Schritt. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung thematisiert in ihrer Juli-Ausgabe, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte und warum es für die Politik nur einen einzigen Weg gibt, um wieder echten Wettbewerb unter den Krankenkassen herzustellen: Die Abschaffung des Gesundheitsfonds und des Einheitsbeitrags. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit der Auflage von 1 Million Exemplaren und ist deutschlandweit kostenlos in Apotheken erhältlich.
WENN KRANKENKASSEN PLEITE GEHEN Warum Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) Recht hat.
100 Tage. So lang ist die Schonfrist für einen Politiker, der ein neues Amt angetreten hat. Erst dann sollten die Medien Kritik üben. Wenn sie denn nötig ist.
Der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), 34, hatte nicht so viel Zeit. Seit dem 12. Mai 2011 sitzt er auf dem Stuhl seines Vorgängers Dr. Philipp Rösler (FDP) im Gesundheitsministerium. Der wiederum ist jetzt Wirtschaftsminister und Vizekanzler nach nur 16 Monaten als Gesundheitsminister. So schnell kann Karriere gehen.
Kaum hatte Daniel Bahr sich im Bundesgesundheitsministerium (BMG) eingerichtet, überfiel der EHEC-Virus die Deutschen. Mehr als 3 500 Personen erkrankten, 39 starben. Die Warnungen durch das BMG und das Robert Koch Institut vor dem Erreger von lebensgefährlichen Durchfallerkrankungen verunsicherten die Verbraucher so, dass sie keine Gurken, keine Tomaten und keinen Salat mehr kauften. Die wirtschaftlichen Folgen für Landwirtschaft und Handel in Europa waren drastisch.
Vorgeworfen wurde dem Gesundheitsministerium, dass die Meldungen über Neuerkrankungen und Todesfälle nur schleppend im zuständigen Robert Koch Institut eingingen: Mit mehrere Tage alten Informationen dürfe man in solch einer Krisensituation nicht vor die Öffentlichkeit treten.
Gesundheitsminister Bahr nahm die Vorwürfe ernst. Wir müssen das Meldeverfahren an die modernen Kommunikationsmöglichkeiten anpassen, damit die Informationen darüber, wie sich die Zahlen der Erkrankten entwickeln, schneller verfügbar sind. Es ist wirklich nicht verständlich, warum in einer solchen Situation wichtige Meldungen sogar per Post verschickt wurden, sagte Bahr in einem Interview der Tageszeitung Rheinische Post. Jetzt muss er mit den Gesundheitsministern der Länder reden ein erster Härtetest.
Ansonsten übernahm Daniel Bahr ein Gesundheitsministerium, das keinen Anlass für hektische Aktivitäten bietet zumindest nicht aus finanzieller Sicht. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steuerte laut einer Veröffentlichung des BMG zum GKV-Finanzierungsgesetz ein Jahr zuvor (angeblich) noch auf ein Defizit von 9 Milliarden Euro im Jahre 2011 zu. Bahrs Vorgänger Philipp Rösler hatte im Juli 2010 sogar noch von 11 Milliarden Euro Defizit gesprochen Übertreibung pur? Jetzt weisen die Kassen und der Gesundheitsfonds Überschüsse in Milliardenhöhe aus.
So liegt denn der Grund für die relative Gelassenheit des neuen Gesundheitsministers in finanziellen Fragen in den drei Sparpaketen, die Philipp Rösler noch auf den Weg gebracht hatte.
Das Arzneimittelsparpaket I belastet die Hersteller von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln massiv. Wie stark die Krankenkassen davon profitieren, geht aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 17. Juni 2011 hervor: 1,2 Milliarden Euro an Einsparungen kassieren die Kassen zusätzlich pro Jahr.
Zum 1. Januar 2011 folgte mit dem GKV-Finanzierungsgesetz der nächste Streich: Rösler hob die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung von 14,9 Prozent wieder auf den früheren Stand von 15,5 Prozent an. Das belastet Versicherte und Arbeitgeber laut BMG mit insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr. Damit nicht genug. Zusätzlich sprudeln die Beiträge auch aus dem Grund, dass Deutschlands gute Konjunktur die Zahl der Arbeitslosen drastisch schrumpfen ließ.
Und schließlich trat zum 1. Januar 2011 auch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) in Kraft. Es belastet die Leistungserbringer im Gesundheitswesen Arzneimittelhersteller, Apotheken, den Pharmazeutischen Großhandel, Krankenhäuser und Ärzte in Milliardenhöhe.
Akzeptanz in der Öffentlichkeit haben alle diese Sparmaßnahmen nicht gefunden. Zwar mag in den Gesetzen auch manches langfristig Vernünftige verborgen sein, doch sind diese positiven Elemente der Bevölkerung kaum zu vermitteln. Entsprechend drastisch fällt auch die Reaktion der Bürger aus: Die FDP verharrt nach wie vor im tiefen Tal fehlender Zustimmung. Um wieder über die 5-Prozent-Hürde zu hüpfen, muss sie sich neu erfinden.
Einfach ist das wahrlich nicht. Liberales Gedankengut im Gesundheitswesen Freiheit, Eigenverantwortung und Wettbewerb erzeugt permanent Unsicherheit. Und Unsicherheit ist ein Zustand, den insbesondere wir Deutschen nur schwer ertragen können: Das Abschalten aller Atomkraftwerke und die Reaktionen auf den EHEC-Virus sprechen eine deutliche Sprache.
Von Unsicherheit, Unverständnis, ja Verzweiflung unter den betroffenen Versicherten war deshalb auch die erste Pleite einer Krankenkasse in Deutschland begleitet. Inzwischen ist es etwas stiller um die unwürdigen und unzumutbaren Zustände rund um den Zusammenbruch der City BKK mit ihren knapp 170 000 Versicherten geworden. Doch einige zehntausend Versicherte haben immer noch nicht den Weg in eine neue Krankenkasse gefunden.
Was war passiert? Die City BKK, eine Krankenkasse, in der hauptsächlich Stadtbewohner versichert sind, hatte eine ungünstige Mitgliederstruktur: viele ältere, kränkere und daher teurere Versicherte. Das wäre nicht schlimm gewesen, hätte sie aus dem Gesundheitsfonds die zur Behandlung ihrer Mitglieder notwendigen Finanzzuweisungen bekommen. Doch genau dies ist im Gesetz nicht vorgesehen: Höhere Zusatzbeiträge soll eine solche Kasse dann von den Versicherten fordern, wenn sie mit den Zuweisungen nicht auskommt. Die aber trieben auch die letzten jüngeren, mobilen Mitglieder in andere Kassen. Und so war die City BKK nicht mehr zu retten. Das Bundesversicherungsamt musste die Schließung zum 1. Juli 2011 verfügen.
Was dann folgte, hat tiefe Spuren bei den Betroffenen hinterlassen. Rechtlich ist festgelegt, dass im Falle einer Kassenpleite jede gesetzliche Kasse zur Aufnahme eines hilfesuchenden Versicherten verpflichtet ist. Doch die ehemaligen City-BKK-Mitglieder stießen oftmals auf Ablehnung. Die einen Kassen bauten Verwaltungshürden auf, andere schickten die Suchenden zur nächsten Krankenkasse; begeistert war keine Kasse. Wieso auch?
Schuld ist der Gesundheitsfonds. Seine 170 Milliarden Einkünfte werden vom Bundesversicherungsamt (BVA) verwaltet. Nach einer komplizierten Formel wird den Kassen anteilig Geld zugewiesen. Jeden Monat erhalten sie die gleiche Summe. Grundlage der Berechnung für jede Kasse ist die Versichertenstruktur des vergangenen Jahres.
Genau dies aber ist auch das Problem. Verändert sich die Versichertenstruktur während des Jahres, wird dies bei der Zuweisung nicht berücksichtigt. Treten in dieser Zeit mehr ältere und kränkere Mitbürger ein, bekommt die Kasse dafür erst einmal kein Geld. Und steigen die Beitragseinnahmen, weil die Konjunktur brummt, sehen die Kassen davon zunächst keinen Cent.
Schuld daran, dass eine Krankenkasse pleitegeht, ist also nicht die Tatsache, dass sie schlecht gewirtschaftet, sondern dass sie eine risikoreiche Mitgliederstruktur hat und dafür zu wenig Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommt. Wenn nun die anderen Kassen sich gegen den Eintritt von risikobehafteten Personen sträuben, ist das betriebswirtschaftlich zunächst nur logisch. Welcher Kassenchef will schon sehenden Auges den Untergang der eigenen Kasse verantworten?
Jetzt sollen Strafen für die Kassenchefs her, die sich so verhalten. Und man überlegt, ob man Übergangs- oder Hilfskassen schafft. Sie sollen arbeiten, bis auch der letzte Versicherte eine neue Heimat gefunden hat. Das ist zumindest den älteren und hilfloseren Bürgern gegenüber nur fair. Aber Pläne dieser Art sind immer auch ein Zeichen von Hilflosigkeit.
Allerdings notwendig scheinen solche Maßnahmen allemal. Das Bundesversicherungsamt hat schon mehr als 20 weitere Kassen wegen unzureichender Liquiditätsreserven gerügt. An die hundert werden kritisch beobachtet. Selbst große gesetzliche Kassen wie die DAK müssen sich gegen Vorwürfe wegen zu geringer Rücklagen wehren. Wenn Wettbewerb unter Kassen solche Fehlentwicklungen mit sich bringt, sollte man gleich die Einheitskasse einführen. Ulla Schmidt würde sich freuen.
Wettbewerb ist aber etwas anderes. Als die Krankenkassen noch ihre Beitragshoheit hatten, herrschte wirklicher Wettbewerb. Die CSU ist dafür, den Gesundheitsfonds wieder abzuschaffen. Max Straubinger, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, spricht sich in einem Brief an Gesundheitsminister Bahr dafür aus. Das meldete die Passauer Neue Presse in ihrer Ausgabe vom 24. Mai 2011.
Als Daniel Bahr noch gesundheitspolitischer Sprecher der FDP war, hat er den Gesundheitsfonds einmal als bürokratisches Monster bezeichnet. Damit lag Bahr hundertprozentig richtig.
Jetzt kann die FDP zeigen, ob sie in der Lage ist, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Wähler könnten es honorieren. Zu recht.
MILDE MAHNUNG Ein Kommentar der Redaktion
Die Netto-Verwaltungskosten der Kassen sind um 2,4 Prozent je Versicherten gestiegen. Hier muss es im weiteren Jahresverlauf noch zu einer Abflachung der Ausgabenentwicklung kommen, da die Verwaltungskosten nach den Regelungen des GKV-Finanzierungsgesetzes in den Jahren 2011 und 2012 im Vergleich zu 2010 nicht steigen dürfen. So steht es milde im Finanzbericht des Bundesgesundheitsministeriums für das erste Quartal 2011. Zu einer Abflachung? Wie soll das funktionieren?
Während Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arzneimittelhersteller, Großhändler und Apotheker Monat für Monat ihren manchmal existenzgefährdenden Beitrag zur Kostensenkung leisten (müssen), geben die Kassen ungerührt mehr aus. Sie fürchten offensichtlich keine Sanktionen.