Bielefeld – Immer wieder machen Nachrichten von Keiminfektionen auf Frühgeborenenstationen (Neonatologie) die Runde. Um einen Beitrag im Kampf gegen gefährliche Keime zu leisten, stand das Thema auf der Agenda der 19. Jahrestagung des Arbeitskreises Neonatologie OWL, zu dem in diesem Jahr das Evangelische Klinikum Bethel (EvKB) eingeladen hatte. Auch der Fachkräftemangel in der Pflege und die Neuordnung der Pflegeausbildung standen im Fokus.
Über 100 Teilnehmer aus verschiedenen medizinischen Disziplinen und Krankenhäusern in OWL waren Mitte November der Einladung zu der Fortbildungsveranstaltung ins Tagungszentrum Assapheum in Bielefeld-Bethel gefolgt. Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am EvkB, Professor Dr. Eckard Hamelmann, machte in seiner Begrüßung deutlich, in welchem Spannungsfeld sich die Perinatalzentren als anerkannte Einrichtungen für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen bewegen. „Um die Anerkennung zu bekommen und zu behalten, ist eine Mindestzahl an Fällen erforderlich. Durch den Fachkräftemangel wird es aber immer schwieriger, die dafür erforderliche Pflegequote zu erfüllen: „Lassen Sie uns die Herausforderungen gemeinsam angehen – zugunsten der bestmöglichen Versorgung von Frühgeborenen in der Region.“
Herausforderungen wurden auch im medizinischen Bereich diskutiert. Dazu gehört beispielsweise der Kampf gegen Keime, der unter dem Themenschwerpunkt „Infektiologie“ beleuchtet wurde. Dr. Stefan Heinzel, Leitender Arzt der Frühgeborenen- und Kinderintensivmedizin des EvKB, erläuterte, warum Frühgeborene vergleichsweise häufig an Infektionen erkranken. „Ihre Hautbarriere ist noch sehr dünn, ihre Darmflora gering besetzt und das Immunsystem insgesamt noch nicht ausgereift.“ Durch den Fortschritt in der Medizin hätten heute – anders als noch vor 20 Jahren – auch Frühgeborene mit einem geringen Gewicht von beispielsweise 500 Gramm eine Überlebenschance. Aber: „Die Infektionsrate steigt drastisch mit sinkendem Geburtsgewicht.“ Keime und Bakterien seien dabei nicht per se gefährlich. „Sie sind sogar überlebenswichtig. Die Schwierigkeit liegt aber darin, ‚gut‘ und ‚böse‘ zu unterscheiden und die richtige Behandlung zu finden.“ Denn entsprechende Leitlinien fehlten. Erschwerend komme hinzu, dass die Erreger von „gut“ zu „böse“ extrem wandlungsfähig seien und als Überlebenskünstler dazu neigten, Resistenzen gegen Antibiotika zu bilden. Deshalb sprach sich Stefan Heinzel für einen zurückhaltenden und wohl bedachten Einsatz von Antibiotika aus und untermauerte die Bedeutung von Hygienemaßnahmen bei der Prävention von Infektionen.
Den Themenschwerpunkt „Infektiologie“ ergänzte Dr. Thomas Bösing aus dem EvKB. Gemeinsam mit Dr. Stefan Heinzel leitet er die Abteilung Frühgeborenen- und Kinderintensivmedizin und widmete sich in seinem Vortrag der Beatmung von Frühgeborenen mit dem Atemnotsyndrom „Respiratory Distress Syndrome“ (RDS). Bösing gab einen Überblick über Behandlungsempfehlungen auf Basis der Leitlinie „RDS consensus“ und betonte einen Paradigmenwechsel, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat. „Das Ziel lautet heute, möglichst gar nicht zu beatmen. Wenn eine Beatmung unverzichtbar ist, sollte man sie so schnell wie möglich zurücknehmen, um Lungenschäden zu vermeiden.“
Den Themenblock komplettierte der Chefarzt des Kinderzentrums Professor Eckard Hamelmann mit dem Thema „Frühe Viren – späte Folgen“. Dabei ging er der Frage nach, ob frühe Infekte der Atemwege, insbesondere die bei kleinen Kindern häufig vorkommende „Respiratorische Synzytial-Virusinfektion“ (RSV), im späteren Kindes- und Jugendalter zu Asthma führen könnten. Er präsentierte Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Sein vorläufiges Fazit: „Das Virus allein macht nicht das Asthma.“ Ausschlaggebend sei vielmehr eine hohe Anzahl von Virusinfektionen, die auf das Immunsystem wirkten, und auch eine Reihe anderer Erkrankungen begünstigten. Außerdem spiele die familiäre Neigung zu Asthma und Allergien eine Rolle. „Wir nehmen das zum Anlass, um das Thema im Zuge der universitären Ausrichtung weiter zu erforschen“, stellte Hamelmann in Aussicht.
Weitere Themen der Fortbildung waren „Psychologie und Palliativmedizin im Perinatalzentrum“, „Perinatologie und Kinderanästhesiologie“ sowie „Qualitätsmanagement und Forschung“.
Im Arbeitskreis Neonatologie in Ostwestfalen Lippe sind neben Bielefeld auch Kliniken aus Herford, Minden, Detmold, Paderborn und Lippstadt vertreten, die die Veranstaltung im jährlich wechselnden Rhythmus ausrichten. Eingeladen waren Mediziner, Pflegende, Hebammen, Geburtshelfer, Stillberater und Psychologen, um die Themen ganzheitlich und interdisziplinär zu erörtern.