München – Hintergrund: Mit dem GKV-FKG (Faire-Kassenwahl-Gesetz) plant das Bundesgesundheitsminsiterium die bundesweite Öffnung aller Krankenkassen. Was bedeutet das für die Versorgung? (03.05.2019)
Ende März hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Referentenentwurf zum GKV-FKG, dem Faire Kassenwahl-Gesetz vorgelegt. Mit einem umfassenden Gesamtpaket, das eine Reform des Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ebenso beinhaltet wie eine Organisationsreform, sollen die aktuell herrschenden Missstände im Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen behoben werden. Das Ziel: Den Versicherten eine echte Wahlmöglichkeit zu geben. Seit Veröffentlichung des Entwurfs dreht sich die Diskussion in der Branche vor allem um einen Punkt. Jens Spahn möchte die bisher nur regional geöffneten Kassen wie die AOKen bundesweit wählbar machen. Am 06. Mai nun findet die erste Verbändeanhörung für den Referentenentwurf des Faire Kassenwahl-Gesetz (GKV-FKG) statt. Anlass genug, die Hintergründe und Argumente einmal näher zu beleuchten.
Ein Wort zu den Kassenarten vorab …
Im 5. Buch des Sozialgesetzbuchs wird im sechsten Kapitel die Organisation der Krankenkassen festgelegt. Das Kapitel beginnt ab § 143 mit Regelungen zu den einzelnen Kassenarten, Zuständigkeiten, Öffnung usw. Die hier festgelegten Grundsätze sind historischen Ursprungs: So entwickelten sich beispielsweise die Innungskrankenkassen (IKK) aus den Handwerkerinnungen heraus, ihre Versicherten kamen traditionell aus den verschiedenen Handwerksberufen. Die Betriebskrankenkassen (BKK) haben ihren Ursprung in den Fabrikkrankenkassen. Die Ersatzkassen entstanden aus den Angestellten- und Arbeiterersatzkassen für jeweils bestimmte Berufe. Die Ortskrankenkassen (AOK) waren nie an Berufe oder Betriebe gebunden, sondern orientierten sich an Regionen und standen innerhalb dieser Grenzen für alle offen.
Erst mit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) 1993, auf das sich das Bundesgesundheitsministerium unter Horst Seehofer und die SPD-Opposition in der rheinland-pfälzischen Stadt Lahnstein verständigten, wurden diese Grundsätze aufgehoben. Mit dem GSG wurde der Wettbewerb unter den Kassen eingeführt. Die Kassen können sich seitdem begrenzt auf Länder oder bundesweit für alle öffnen, die Berufs- und Betriebsbegrenzung wurde größtenteils abgeschafft. Diese Möglichkeiten zur Öffnung sind für alle Kassenarten bis auf die Ersatzkassen freiwillig. Zudem machte das Gesetz einige Ausnahmen wie z.B. bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse, die weiterhin nur für Landwirte und deren Angehörige wählbar ist.
Nicht alle Krankenkassen jedoch haben von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht und sich geöffnet. Aktuell stellt sich die Situation wie folgt dar: Alle Ersatzkassen sind für alle Versicherten wählbar, der überwiegende Teil der Betriebskrankenkassen hat sich geöffnet. Bei den Innungskrankenkassen gibt es keine Begrenzung auf den Beruf mehr. Aktuell sind es aber noch 44 der 109 gesetzlichen Kassen, die nur regional tätig sind, darunter alle elf AOKen, vier der IKKen und 29 der BKKen. Mit dem GKV-FKG nun sollen die regionalen Begrenzungen vollständig aufgehoben werden und alle Krankenkassen – ausgenommen die geschlossenen Betriebskrankenkassen – bundesweit allen gesetzlich Versicherten offenstehen.
… und zu den Aufsichten
Gesetzliche Krankenkassen unterliegen strengen Auflagen, was ihre Ein- und Ausnahmen angeht – schließlich verwalten sie die Gelder ihrer Versicherten und sind verpflichtet, diesen damit die nach medizinischen und wirtschaftlichen Kriterien bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Deshalb unterstehen die Krankenkassen Aufsichten, die die Finanzen und die angebotenen Leistungen regelmäßig prüfen. Beispiel: Bei den so genannten Satzungs- oder auch den vertraglichen Leistungen handelt es sich um Leistungen, die die Kassen ihren Versicherten zusätzlich zu dem gesetzlich geregelten Leistungskatalog machen. Jede dieser Leistungen muss der Aufsicht zur Genehmigung bzw. Überprüfung vorgelegt werden.
Aktuell gibt es unterschiedliche Aufsichten: Kassen, die bundesweit bzw. in mehr als drei Bundesländern für die Versicherten offenstehen, unterstehen der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes (bundesunmittelbare Kassen). Kassen, die sich auf drei oder weniger Bundesländer erstrecken, stehen unter der Aufsicht der Gesundheits- und Sozialministerien der Länder (landesunmittelbare Kassen).
Was heißt das für den Wettbewerb der Krankenkassen?
Mit dem GSG wurde der Wettbewerb der Krankenkassen eingeführt. Das Ziel: beste Versorgung und umfassende Leistungen bei niedrigen Kosten für die GKV-Versicherten zu realisieren. Die damalige Bundesregierung war sich sicher, dass ein gesunder Wettbewerb innerhalb der GKV den Versicherten Vorteile in der Versorgung bietet.
Mit der seitdem geltenden Regelung, die regional tätige Kassen zulässt, ist dieser Wettbewerb jedoch in zweierlei Hinsicht gestört:
1. Eingeschränkte Konkurrenzsituation für regional tätige Kassen
Während eine bundesweit geöffnete Kasse heute in Konkurrenz tritt mit über 100 anderen Kassen, haben regional geöffnete Kassen eine kleinere Konkurrenz – denn sie stehen mit den Kassen, die für eine andere Region geöffnet sind, nicht im Wettbewerb. Die AOKen stehen als einzige Kassenart untereinander gar nicht im Wettbewerb.
2. Uneinheitliches Aufsichtshandeln
Durch die aktuelle Unterscheidung bei bundes- und landesunmittelbaren Krankenkassen gibt es aktuell mehr als zehn verschiedene Aufsichten. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass dies zu einem uneinheitlichen Aufsichtshandeln führt – einige Aufsichten sind bei der Überprüfung strenger, andere wiederum legen die Regelungen weiter aus. Das kann nicht nur Auswirkungen auf das Leistungsangebot der einzelnen Kassen haben, sondern über bestimmte Regelungen in Verträgen zwischen Kassen und Leistungserbringern auch auf die finanziellen Zuweisungen aus dem Morbi-RSA. Bestätigt wird diese Tatsache von vielen unabhängigen Gutachtern wie beispielsweise der Monopolkommission in einer Untersuchung 2017 (www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s75_volltext.pdf).
Fairer Wettbewerb nur mit Änderungen im System
Um diese Wettbewerbsverzerrungen aufzuheben und einen fairen Wettbewerb im Sinne der Versicherten zu ermöglichen, sollen mit dem GKV-FKW die regionalen Begrenzungen aufgehoben werden. Vor allem die AOKen und die Landespolitik lehnen diese Öffnung ab. Doch was sind ihre Argumente?
Erstens: Durch die Öffnung wird ein Preiswettbewerb gefördert, der den Weg zur Einheitskasse vorzeichnet.
Ein Argument: Mit der Ausweitung des Wettbewerbs auf alle Kassen wird der Preiskampf gefördert. Diese Argumentation übersieht jedoch, dass schon heute die Mehrzahl der Kassen genau in diesem Wettbewerb stehen. Ein Großteil der aktuell 109 Kassen stellt sich seit Jahren einem Preiswettbewerb – ohne dabei gleich von Markt zu verschwinden.
Schon heute stehen alle Kassen, auch die SBK, in Konkurrenz zu den sehr günstigen Kassen wie der AOK Plus. Wie es im Wettbewerb so ist, verlieren teurere Kassen laufend Versicherte an günstigere Mitbewerber. Aber: Durch hohe Qualität können diese – trotz eines höheren Zusatzbeitragssatzes – auch in den Regionen, in denen die günstigen Kassen stark vertreten sind, Versicherte überzeugen zu ihnen zu kommen. Denn der Wettbewerb zwingt die Kassen, qualitativ hochwertig zu arbeiten, ihren Versicherten einen hervorragenden Service zu bieten, ein dichtes Geschäftsstellennetz zu unterhalten und das auch noch unter den aktuellen, wettbewerbsverzerrenden Bedingungen des RSA.
Warum ein Teil der Kassen in diesem Wettbewerbsumfeld zumindest teilweise den aktuellen Sonderstatus behalten soll, erschließt sich deshalb nicht. Im Gegenteil: Einen fairen Wettbewerb im Sinne des Kunden zu ermöglichen heißt, allen die gleichen Rahmenbedingungen zu gewährleisten.
Der nächste kundenorientierte Schritt wäre daher, den Wettbewerb von einem reinen Preiswettbewerb hin zu einem Qualitätswettbewerb weiterzuentwickeln. Was wir dafür benötigen: transparente Kriterien für die Kassenwahl – neben dem Preis. Kunden haben aktuell wenig Vergleichsmöglichkeiten, wenn es darum geht, sich für eine Kasse zu entscheiden. Wir brauchen Qualitätstransparenz, wir brauchen eine Informationsverpflichtung nicht nur zum Zusatzbeitrag, sondern auch zu Qualitätsparametern wie Widersprüchen.
Die SBK fordert hier seit langem, Kriterien zu entwickeln, wie persönliche Beratung, verständliche Sprache, transparente Prozesse, verlässliche Aussagen und der Kontakt mit jemandem, der sich kümmert in validen Parametern ausgedrückt werden können. Eine Diskussion darüber kommt gerade in Gang und wird auch von Verbraucherschützern, Patientenvertretern und Parteien unterstützt. So wurde der Qualitätswettbewerb explizit in die Gesetzesbegründung des GKV-FKG aufgenommen. Und die Partei Bündnis 90 / die Grünen hat im Gesetzgebungsverfahren dazu am 29. April einen Antrag eingebracht, der genau diese Problematik aufnimmt.
Zweitens: Durch die Öffnung wird der Föderalismus gefährdet.
Eine große Sorge: Die Öffnung und die damit einhergehende Vereinheitlichung der Aufsichten schwächt die Kompetenzen der Länder. Dem kann man nur entgegnen: Selbst, wenn die regionalen Kassen nicht geöffnet werden würden, bräuchte es eine Veränderung bei der Aufsicht. Denn wenn nicht eine Aufsicht über die Einhaltung der Spielregeln wacht, wird es mit den fairen Rahmenbedingungen nicht funktionieren.
Natürlich ist auch die – vor allem landespolitische – Sichtweise, die Angst vor dem Verlust von Gestaltungsmöglichkeiten sehr gut nachzuvollziehen. Jedoch hilft es in diesem Fall nicht, auf den alten Strukturen zu beharren. Wir als SBK plädieren dafür, neue Möglichkeiten zu diskutieren, die eine für alle sinnvolle Lösung ermöglichen – wie zum Beispiel die Einführung eines verpflichtenden gemeinsamen Runden Tisches der Vertreter der Kassenarten, der Leistungserbringer und der Ministerien auf Landesebene.
Drittens: Durch die Öffnung wird regionale Versorgung gefährdet.
Das Hauptargument der Gegner jedoch zielt auf die regionale Versorgung ab – vor allem die Ortskrankenkassen und die betroffenen Landespolitiker stellen die Behauptung auf, dass durch die bundesweite Öffnung der Kassen die medizinische Versorgung vor Ort leiden wird.
Dabei ist zunächst einmal festzustellen: Die flächendeckende, wohnortnahe ambulante Versorgung zu gewährleisten, ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die grundlegende medizinische Versorgung wird gemeinsam und einheitlich zwischen KV und allen Krankenkassen für alle gesetzlich Versicherten vertraglich festgelegt. Die Krankenhausplanung obliegt den Bundesländern, also der Politik und ist somit auch für alle Versicherten gleich. Die Krankenkassen haben keine herausragende aktive Rolle.
Nichtsdestotrotz können Kassen natürlich Versorgung mitgestalten – zum Beispiel durch Hausarztzentrierte Verträge, Qualitätsverträge, Modellvorhaben oder die sogenannten Verträge zur Besonderen Versorgung. Letztere sind Verträge mit einzelnen Leistungserbringern oder deren Gruppen aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen, zum Beispiel mit Kliniken, Haus- und Fachärzten, Rehabilitationseinrichtungen. Sie beinhalten üblicherweise die koordinierte, qualitätsorientierte Behandlung einzelner Erkrankungen. Hausarztverträge sind für jede Kasse verpflichtend und werden mit regionalen Vertragspartnern wie dem Hausarztverband geschlossen. Das heißt: Jede Kasse – egal ob bundesweit geöffnet oder nicht – muss sich mit den Vertretern vor Ort an einen Tisch setzen und regionale Verträge verhandeln.
Verträge zur Besonderen Versorgung, Qualitätsverträge oder Modellvorhaben hingegen gehören zu den so genannten Selektivverträgen und sind freiwillig. Damit sind vor allem sie ein Ankerpunkt für die Kassen, um Versorgung zu gestalten. Und davon machen alle, auch die bundesweit geöffneten Kassen, regen Gebrauch. Allein die SBK hat rund 50 Verträge zur Besonderen Versorgung abgeschlossen, zum Beispiel um ihren Versicherten regional ambulante Operationen auf einem hohen Qualitätsstandard zu ermöglichen. Dabei ist es nicht immer der Fall, dass Kassen alleinige Verträge abschließen – ganz im Gegenteil. Häufig sind mehrere Kassen beteiligt. Ein Beispiel: Die SBK hat jüngst einen Qualitätsvertrag mit der Karl-Hansen-Klinik in Bad Lippspringe abgeschlossen. Er ermöglicht eine spezielle Versorgung der Patienten in einer Fachklinik. Spezialisten des Weaning-Zentrums sollen gemeinsam mit betreuenden Hausärzten im Rahmen einer Voruntersuchung und einer anschließenden Fallkonferenz herausfinden, bei welchen Patient ein Entwöhnungsversuch von der künstlichen Beatmung erfolgsversprechend sein kann. Dieser Vertrag ist so gestaltet, dass alle gesetzlichen Krankenkassen beitreten können. Das Ziel ist es, möglichst vielen Menschen eine gute Versorgung zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang scheint eine Überlegung beachtenswert: Welche Versorgung sollte überhaupt regional stattfinden und welche nicht? Macht es überhaupt Sinn, spezialisierte Versorgungsstrukturen in jeder Region vorzuhalten? Außer jeder Frage muss die Erst- und Grundversorgung nahe am Wohnort stattfinden – mit Hausärzten, mit Pflegeeinrichtungen und auch einer ausreichenden Anzahl an Fachärzten. Und Kassen sind gefragt, die ihre Versicherten gut beraten können bei der Auswahl eines geeigneten Arztes, bei der Empfehlung eines Pflegedienstes usw. Aber je spezialisierter die benötigte Behandlung ist, desto weiter entfernt kann sie vom Wohnort stattfinden. Hier zählt, erfahrungsgemäß auch in den Augen der Versicherten, die Qualität und die Erfahrung des Arztes beziehungsweise Krankenhauses. Das gilt für die Versicherten aller Kassen, egal ob BKK, IKK, Ersatzkasse oder AOK.
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