Hamburg/Ahrensburg – Seit April dieses Jahres ist Prof. Dr. Christian Schmidt neuer CEO der GHD GesundHeits GmbH Deutschland (GHD), Deutschlands größtem Anbieter für medizinische Komplettversorgung im häuslichen Raum. Die GHD steht für die Transformation der medizinischen Versorgung und die Modernisierung einer Branche, die im Rahmen der Corona-Pandemie mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Prof. Dr. Schmidt erläutert die Herausforderungen und Chancen in der medizinischen Versorgung.
Herr Prof. Dr. Schmidt, gerade auf dem Land gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf bei der medizinischen und therapeutischen Patientenversorgung. Wie beurteilen Sie als Fachmann die aktuelle Lage?
Es ist absolut zutreffend, dass die ärztliche Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum problematischer wird. Beispielsweise sei die Situation der Dermatologen in Mecklenburg-Vorpommern genannt; dort werden – innerhalb der kommenden drei Jahre – 29 von 39 Fachärzten in Rente gehen. Nachfolger sind noch nicht bekannt, so dass man dann von einem Versorgungsengpass ausgehen kann. Auch in anderen fachärztlichen Disziplinen beobachten wir einen solchen Trend. Es muss also an dieser Stelle die Versorgung neu gedacht werden.
Welche konkreten Veränderungen können Ihrer Meinung nach zu einer besseren Versorgung führen?
Der Schlüssel dazu ist ein regionales Netzwerk aus Krankenhäusern, Ärzten und dem Homecare-Bereich, das die Versorgung sichert. Der Homecare-Bereich hat die Möglichkeit, eine regionale Versorgung zu koordinieren und mit Hilfe digitaler Infrastruktur den Krankenhausarzt zum Patienten nach Hause zu bringen, um eine fachärztliche Versorgung auch dort zu gewährleisten. Dadurch können vielseitige Therapien, wie beispielsweise Parkinson, nach dem Klinikbesuch weiterbehandelt werden. Das umfängliche Leistungsangebot der GHD vom Homecare-Bereich über die medikamentöse Therapie bis zur Versorgung mit Rehabilitationsmitteln sorgt dafür, dass alle Patientenbedürfnisse vor Ort ermöglicht werden können.
Im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Mediziner und Klinikmanager haben Sie immer wieder für eine Ausweitung der Digitalisierung im Gesundheitswesen plädiert. Wie beurteilen Sie die momentane Lage der digitalen Vernetzung von Medizin und Pflege?
Digitalisierung ist aktuell sicherlich ein Buzzword, welches als Allheilmittel für alles im Gesundheitssystem herangezogen wird. Das ist so aber nicht ganz zutreffend. Die Digitalisierung ersetzt keinen Arzt oder die Pflegekraft. Sie ermöglicht jedoch durch die Automatisierung von medizinischen Prozessen und der Verfügbarkeit von Patientendaten neue Versorgungsformen. Durch diese muss der Arzt nicht zwingend zum Patienten nachhause kommen, sondern führt die Behandlung aus der Ferne durch. Die größten Chancen sehe ich darüber hinaus in der Etablierung von elektronischen Patientenakten. Jeder Patient kann diese zur Verfügung stellen, wodurch zum einen die allgemeine Datenverfügbarkeit und zum anderen die Behandlungssicherheit für den Patienten erhöht wird.
Können Sie das konkretisieren?
Große Datenmengen in Kombination mit künstlicher Intelligenz ermöglichen eine Identifizierung von Patienten, die mehr oder spezielle Unterstützung im Heilungsprozess benötigen. Auf diese digitale Weise können Therapien leichter und präziser angepasst und unnötige Krankenhauseinweisungen verhindert werden. Gerade im ländlichen Raum, der nur begrenzt Ressourcen zur Verfügung hat, lassen sich mit einem solchen Modell Versorgungsengpässe vermeiden. Die großen Herausforderungen liegen dabei in der Vereinheitlichung und dem Zusammenwirken der IT-Systeme von Krankenhaus und Arztpraxis. Gelingt es nicht, Datenbrüche und Informationsverluste zu vermeiden, müssen andere Lösungen gefunden werden. Genau hier setzt die GHD an und versucht, Datenbrüche durch die optimale Koordination der Patienten vom Krankenhaus nach Hause zu begleiten.
Wie lässt sich Ihre Position als Geschäftsführer der GHD mit diesem Plädoyer verbinden?
Die GHD entwickelt sich vom reinen Homecare-Betreiber zu einem integrierten Gesundheitsdienstleister. Unsere Vision ist es, dem Patienten dabei zu helfen, in den eigenen vier Wänden schneller gesund zu leben; nachvollziehbar, dass dies im Interesse des Patienten, der Krankenhäuser und Krankenkasse liegt. Ich glaube an das Konzept „hospital@home“ und möchte in meiner jetzigen Position diesen Wandel entschlossen fördern. Wie wichtig das Neudenken der Versorgung ist, hat zuletzt die Corona-Pandemie mehr als deutlich gezeigt.
Wie das?
Durch die Pandemie wurden einige negative Folgen des Föderalismus sichtbar: Es gab kaum einheitliche Lösungen oder klare Linien in der Virusbekämpfung. Das Resultat war und ist eine völlige Verunsicherung der Bevölkerung. Darüber hinaus sind im Jahr 2020 über 920.000 Operationen ausgefallen oder verschoben worden, davon 50.000 Tumoroperationen. Der gleiche Trend war 2021 zu beobachten. Zudem hemmen unsachgemäße Quarantänelösungen für Beschäftigte die Kliniken daran, den Betrieb vollumfänglich wieder hochzufahren. In der Folge werden wir eine höhere Sterblichkeit bei gängigen Tumorerkrankungen sehen.
Sehen Sie in der Entwicklung auch positive Aspekte?
Nun, die Pandemie hat uns gezeigt, wie robust unser Gesundheitssystem ist. Eine Notfallversorgung konnte zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden. Auch sind Themen wie Homeoffice, schnelleres Ausrollen digitaler Lösungen und eine bessere Betreuung von Menschen zuhause breiter diskutiert worden. Unsere Homecare- Manager haben die ganze Pandemie hindurch weiter zuhause, in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen Patienten versorgt und einiges kompensieren können.
Wie sieht die Situation in anderen Ländern aus?
Es gibt Länder, welche die pandemische Lage optimaler gelöst haben als Deutschland. Das Konzept „hospital@home“ hatte gerade in den USA einen großen Erfolg und dazu geführt, dass Ärzte sich getraut haben, weitaus mehr Erkrankungen online in der Häuslichkeit zu behandeln. Das hat spannende Erkenntnisse mit sich gebracht, von denen auch wir profitieren können.
Welche Herausforderungen kommen abseits der Pandemie auf das Land zu?
Bei der Betrachtung der demographischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts sind mehrere Trends erkennbar. Klar ist: Die Medizin wird ambulanter und viele Therapien werden zukünftig stärker in den Homecare-Bereich wandern. Diese Entwicklung ist in den USA bereits jetzt zu sehen und wird bald auch hier zum Tragen kommen.
Welche Tendenzen sehen Sie außerdem?
Ohne Zweifel wird die Betreuung von Langzeitkranken eine zentrale Herausforderung für das Gesundheitssystem sein. Denn die zunehmende Überalterung der Bevölkerung führt naturgemäß zu einer größeren Anzahl von chronischen Erkrankungen. Um beim Beispiel USA zu bleiben: Dort wird heute der größte Teil aller Ausgaben im Gesundheitssystem für chronisch kranke Patienten aufgewendet, die wiederum einen signifikanten Teil aller Todesfälle in den USA ausmachen. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für Deutschland zu erwarten.
Welche Lösungen sehen Sie, um das Problem in den Griff zu bekommen?
Dieses Thema kann nur in einer engen Zusammenarbeit von Kliniken und Homecare gelöst werden, da die Therapien in den meisten Fällen ambulant oder zuhause erfolgen und einer intensiven Nachbetreuung der Patienten bedürfen. Wegen der großen Anzahl chronisch kranker Patienten und der knappen Personaldecke müssen zukünftige Lösungen die digitalen Möglichkeiten nutzen, um beispielsweise per Videosprechstunde die ärztliche und pflegerische Expertise bis zum Patienten nach Hause zu bringen. Auf diese Weise können kostenintensive Krankenhauseinweisungen vermieden werden und der Patient in seiner Häuslichkeit verbleiben. Dabei gilt es, regionale Koordinierungsstellen einzubinden und zu unterstützen. Reha-Versorgung, Pharmatherapie und klassisches Homecare-Management sollte in Zukunft aus einer Hand angeboten werden. Auf diese Weise kann dann unser Konzept vom „hospital@home“ Realität werden und unsere einzigartige Aufstellung zum Wettbewerbsvorteil werden. Und nur auf diese Weise lässt sich auch auf lange Sicht eine drohende Unterversorgung vermeiden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Schmidt
Über die GHD Unternehmensgruppe
Die GHD Unternehmensgruppe ist der größte deutsche medizinische Dienstleister und Versorger in den Bereichen Homecare, Parenterale Ernährung und Pharmakotherapien sowie Rehabilitations- und Orthopädietechnik. Das Unternehmen beschäftigt bundesweit rund 2.700 Mitarbeiter. Die Versorgung am Patienten wird durch spezialisierte Fachkräfte sichergestellt. Die GHD Unternehmensgruppe deckt den Versorgungsbedarf von rund 500.000 chronisch kranken Patienten in Deutschland. Die Gruppe verfügt über einen eigenen Produktionsstandort für die Herstellung von Stoma-Hilfsmitteln, zwei Standorte für die Fertigung patientenindividueller Infusionslösungen für die Bereiche Parenterale Ernährung, Antibiotische Therapien und Schmerztherapien, mehrere Produktionsstandorte und Werkstätten für Orthopädie und Orthopädieschuhtechnik, eigene Sanitätsfachgeschäfte sowie eine bundesweite eigene Logistik.
Weitere Informationen zur GHD unter: www.gesundheitsgmbh.de
Weitere Informationen zu Prof. Dr. Christian Schmidt:
https://prof-christianschmidt.de/