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Todesrezeptor steuert Gehirn-Regeneration

Pressemitteilung

Heidelberg – Der so genannte Todesrezeptor ist in Fachkreisen gut bekannt – als Auslöser des programmierten Zelltods. In Stammzellen des Gehirns hat dieses Molekül jedoch eine völlig andere Funktion, wie Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg nun in der Zeitschrift CELL Stem Cell veröffentlichen: Hier bewirken Signale an den Todesrezeptor die Neubildung von Nervenzellen. Schalten die Forscher das Rezeptormolekül in Hirnstammzellen von Mäusen aus, so sind die Regeneration des Gehirns beeinträchtigt und das Lernvermögen eingeschränkt.

Lernen und Zelltod stehen in enger Verbindung: Der Hippocampus ist die “Lernzentrale” des Gehirns – hier werden laufend junge Nervenzellen neu gebildet. Die meisten davon sterben jedoch den programmierten Zelltod Apoptose, ohne dauerhaft in die Schaltkreise des Gehirns integriert zu werden. Wird der Zelltod unterdrückt, so dass diese überflüssigen Nervenzellen überleben, beeinträchtigt dies sogar das Lernvermögen.

Einer der bestuntersuchten Auslöser der Apoptose ist das Eiweiß CD95, das auf der Zelloberfläche als “Todesrezeptor” die tödliche Botschaft, das Signalmolekül CD95L, empfängt. Bei der Untersuchung von so genannten neuronalen Stammzellen, die im Gehirn für Nachschub an Nervenzellen sorgen, machten Dr. Ana Martin-Villalba und die Wissenschaftler ihres Teams im Deutschen Krebsforschungszentrum jedoch eine überraschende Entdeckung. Hier bewirken Signale an den CD95-Rezeptor, dass die Stammzellen zu neuen Nervenzellen differenzieren.

Dies gilt nicht nur für die Kulturschale, sondern auch im lebenden Organismus: Steigern die Wissenschaftler im Gehirn von Mäusen die Produktion des Todesbotschafters CD95L, so empfangen die CD95-Rezeptoren auf den Hirnstammzellen besonders viele Signale, und die Anzahl junger, unreifer Nervenzellen steigt.

Unter bestimmten Bedingungen entstehen im Gehirn auch außerhalb des Hippocampus junge Nervenzellen neu, etwa als Reaktion auf eine Mangeldurchblutung, wie sie beim Schlaganfall oder einem Herzstillstand auftritt. Solche Gewebeschädigungen, so hatte Ana Martin-Villalba bereits früher gezeigt, steigern die Bildung des Todesbotschafters CD95L im Gehirn.

Um zu prüfen, ob dieser CD95L-Anstieg ein Signal zur Regeneration des Hirngewebes ist, lösten die Wissenschaftler bei Mäusen künstlich eine Minderdurchblutung des Gehirns aus. Da die Forscher davon ausgingen, dass die Anzahl an Stammzellen im Hirngewebe nicht ausreicht, um deutlich zur Regeneration beizutragen, transplantierten sie den Mäusen zusätzliche neuronale Stammzellen in das Gehirn. Einige Wochen später fanden sich zahlreiche junge Nervenzellen, und die Tiere schnitten bei einem speziellen Lerntest gut ab. In der Gegenprobe transplantierten die Forscher den Mäusen nach der Mangeldurchblutung neuronale Stammzellen mit einem Defekt im CD95-Signalweg. Hier blieb die Neubildung von Nerven aus, und die Tiere lernten vergleichsweise schlechter.

Laufen fördert Nerven-Nachschub

Schalteten die Wissenschaftler die CD95-Produktion in den Hirnstammzellen von Mäusen gezielt aus, so entstanden im Hippocampus dieser Tiere erwartungsgemäß deutlich weniger Nervenzellen, und entsprechend schlecht schnitten diese Mäuse beim Lerntest ab. Gab man ihnen jedoch die Gelegenheit, in einem Laufrad zu rennen, so verbesserten sich die Testergebnisse: Laufen steigert die Neubildung von Nervenzellen – allerdings hält dieser Effekt nach Beendigung des Trainingsprogramms nur einige Wochen an, da das Arbeitsgedächtnis auf einen kontinuierlichen Nachschub an neugeborenen Nervenzellen angewiesen ist.

Einsatz bei der Behandlung von Hirnschäden möglich?

“Wir konnten erstmals zeigen, dass der Todesrezeptor und sein Ligand, CD95 und CD95L, bei der Regeneration des Gehirns eine zentrale Rolle spielen”, erklärt Ana Martin-Villalba. Für eine Einschätzung, ob diese Ergebnisse dazu beitragen können, die Gehirnschäden nach einem Schlaganfall besser zu behandeln, ist es nach Ansicht der Forscherin zu früh: “Wir gehen davon aus, dass die natürliche Anzahl der neuronalen Stammzellen im Gehirn nicht ausreicht, um allein mit CD95L eine spürbare Regeneration zu erreichen: Möglicherweise kann aber eine Kombination von CD95L und einer Substanz, die die Stammzellen zur Vermehrung anregt, mehr bewirken.”

Für die regenerative Medizin stellt das Ergebnis aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum jetzt schon einen Fortschritt dar: Mediziner können nun in der Kulturschale Gewebestammzellen gezielt zu Nervenzellen ausdifferenzieren lassen. Solche Zellen könnten in Zukunft als biologisches Ersatzmaterial für zerstörte Gewebe dienen.

Nina S. Corsini, Ignacio Sancho-Martinez, Sabrina Laudenklos, Desiree Glagow, Sachin Kumar, Elisabeth Letellier, Philipp Koch, Marcin Teodorczyk, Susanne Kleber, Stefan Klussmann, Benedict Wiestler, Oliver Brüstle, Wolf Müller, Christian Gieffers, Oliver Hill, Meinolf Thiemann, Mathias Seedorf, Norbert Gretz, Rolf Sprengel, Tansu Celikel, Ana Martin-Villalba: THE DEATH RECEPTOR CD95 ACTIVATES ADULT NEURAL STEM CELLS FOR WORKING MEMORY FORMATION AND BRAIN REPAIR. Cell Stem Cell, August 2009 DOI: 10.1016/j.stem.2009.05.004

Ein Bild einer Maus im Lern-Labyrinth steht zur Verfügung unter: http://www.dkfz.de

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland und Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. Über 2.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, davon 850 Wissenschaftler, erforschen die Mechanismen der Krebsentstehung und arbeiten an der Erfassung von Krebsrisikofaktoren. Sie liefern die Grundlagen für die Entwicklung neuer Ansätze in der Vorbeugung, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen. Daneben klären die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Krebsinformationsdienstes (KID) Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Das Zentrum wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert.

Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter http://www.dkfz.de