München – Medikamente, die in der Drogentherapie zum Einsatz kommen, werden von einem Teil der Süchtigen auf der offenen Drogenszene nicht bestimmungsgemäß verwendet. Dies zeigte die Follow-Up-Studie zur bereits im Jahr 2008 durchgeführten Evaluation der missbräuchlichen Verwendung von Substitutionsmitteln in Deutschland. Dr. Jens Reimer, Leiter der Studie des verantwortlichen Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, stellt die Ergebnisse der Nachfolgeuntersuchung am 21. Juni 2011 in Berlin vor.
Anders als in der Ursprungsstudie, untersuchte die Arbeitsgruppe um Dr. Reimer diesmal nicht nur den Missbrauch von Substitutionsmedikamenten in der offenen Drogenszene, sondern auch bei Patienten in suchtmedizinischer Behandlung. Mit anonymen Fragebögen wurden 420 Personen der offenen Drogenszene in 10 deutschen Städten zu ihrem Konsumverhalten befragt. 32,9% der Angehörigen der offenen Drogenszene berichten, innerhalb der letzten 30 Tage mindestens einmal ein nicht-verschriebenes Substitutionsmedikament eingenommen zu haben. Bei den 404 in suchtmedizinischer Behandlung befindlichen Befragten, gaben dies lediglich 10,2% an.
Methadon ist die am häufigsten missbrauchte Substanz Methadon/L-Polamidon® wurde in der offenen Drogenszene innerhalb der letzten 30 Tage von 17,1%, Methaddict® (Methadon in Tablettenform) von 17,7% und Buprenorphin (Subutex®) von 10,8% der befragten Konsumenten nicht bestimmungsgemäß verwendet.
Von den im Umfeld von suchtmedizinisch tätigen Hausarztpraxen befragten Substitutionspatienten gaben dies für Methadon/L-Polamidon® nur 7,2%, für Methaddict® 2,9% und für Buprenorphin (Subutex®) nur 0,5% an. Zu berücksichtigen ist bei dieser Verteilung der unterschiedliche Marktanteil der Substanzen, der bei ca. 77% für Methadon/L-Polamidon®, ca. 3% für Methaddict® und etwa 19% für Buprenorphinpräparate liegt.
Entgegen therapeutischer Bemühungen und strenger rechtlicher Auflagen werden Substitutionsmedikamente von Opiatabhängigen nach wie vor anders als intendiert verwendet. Bezugsquellen sind dabei in erster Linie die offene Drogenszene sowie substituierte Freunde und Bekannte. Als wesentliche Gründe für die nicht bestimmungsgemäße Beschaffung von Substitutionsmedikamenten werden keine Verfügbarkeit von Heroin (22%), zu niedrige Dosis des Substitutionsmedikamentes (18%) und mangelnder Zugang zur Substitutionstherapie (16%) genannt.
Substitution unverzichtbar, aber ausbaufähig Kaum ein anderes Therapiekonzept in der Medizin kann wie die Substitutionstherapie wissenschaftlich fundierte Erfolge aufweisen. Im Hinblick auf die Sterblichkeitsraten von Opiatabhängigen erklärt Dr. Reimer: In einem Zeitraum von 20 Jahren versterben circa 50% aller nicht behandelten Drogenabhängigen. Bei therapierten Patienten sind es rund 20%.
Doch auch in der Behandlung von Opiatabhängigen zeigen sich noch weitere Verbesserungspotentiale. So ist trotz der medizinischen Empfehlung möglichst alle Opiatabhängigen gegen eine Infektion mit dem Hepatitis B Virus zu impfen tatsächlich nur die Hälfte auch wirklich geimpft. Zudem weist der hohe Anteil von 263 Substitutionspatienten (rund 63%) unter den 420 Befragten der offenen Drogenszene auf die Notwendigkeit hin, wirksame Konzepte zur weiteren sozialen Reintegration zu entwickeln. Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass sich der Missbrauch von Substitutionsmitteln weiterhin auf einem Niveau bewegt, der dazu Anlass gibt, die Versorgungsstrukturen zu überdenken, so Studienleiter Dr. Jens Reimer. Die Studie zeigt auch, dass die Substitutionstherapie, neben den vielfach nachgewiesenen Gesundheitseffekten, dazu beiträgt, diesen Missbrauch wirksam einzudämmen. Der Zugang zur Substitutionsbehandlung muss verbessert werden, auch Maßnahmen zur Erhöhung der Qualität in der Substitutionsbehandlung bedürfen weiterhin der Diskussion.