Eschborn – Die vergangene Grippesaison hat wieder einmal gezeigt, dass Influenzaviren eine permanente unberechenbare Bedrohung darstellen. Influenzaviren sind wahre Verwandlungskünstler: Es gelingt ihnen immer wieder, durch Veränderungen ihrer Oberflächenproteine das Immunsystem auszutricksen. Groß ist daher nach wie vor der Bedarf an antiviralen Wirkstoffen mit einem möglichst breiten Wirkspektrum, die bestenfalls nicht zu Resistenzen führen. Untersuchungen von Prof. Dr. Stephan Pleschka am Institut für Medizinische Virologie, Universität Gießen, haben jetzt ergeben, dass das pandemische H1N1 Influenzavirus durch Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettich in seiner Vermehrung in menschlichen Lungenzellkulturen effektiv um etwa 90 Prozent gehemmt wird. Da für die Senföle auch bei Langzeittherapie bisher keine Resistenzen beobachtet wurden, sind weitere Untersuchungen zur Abschätzung des antiviralen Potentials von großem Interesse und wurden bereits begonnen, so Pleschka.
Senföle sind sekundäre Pflanzenstoffe, die Pflanzen zu ihrem eigenen Schutz, z. B. vor Fraßschäden oder als Abwehr gegen pathogene Mikroorganismen produzieren. Sie kommen besonders reich in der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) vor. Aufgrund der antiinfektiven Aktivität der Senföle werden entsprechende Gewächse darunter auch die Kapuzinerkresse und die Meerrettichwurzel bereits seit Jahrhunderten als Heilpflanzen verwendet.
Schon 1958 konnte in wissenschaftlichen Untersuchungen von Winter und Willeke eine antivirale Wirkung des Senföls aus Kapuzinerkresse nachgewiesen werden. Bei mit Influenzavirus infizierten embryonierten Hühnereiern wurde eine antivirale Aktivität beobachtet [1]. Am Institut für Medizinische Virologie der Universität Gießen wurden diese Untersuchungen jetzt nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wiederaufgenommen und ausgeweitet. In einer Zellkultur von humanen alveolaren Lungenepithelzellen wurden zuerst die Mengen dreier verschiedener Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettich bestimmt, welche keinen toxischen Effekt auf die Zellen ausüben. Anschließend wurde der Effekt dieser Senföle auf die Vermehrung des neuen, pandemischen H1N1 Influenzavirus untersucht. Im Gegensatz zu früheren Studien wurde hierbei eine wesentlich sensitivere Methode eingesetzt, mit der die Zahl der neugebildeten infektiösen Viruspartikel bestimmt wurde, erläutert der Studienleiter seinen Untersuchungsansatz. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das pandemische H1N1 Influenzavirus in seiner Vermehrung in menschlichen Lungenzellen effektiv um etwa 90 Prozent gehemmt wird. Aufgrund dieser positiven Ergebnisse wurden Untersuchungen mit weiteren human-pathogenen Influenzaviren zur genauen Wirkungsebene und zu den Resistenzeigenschaften begonnen, erklärt Pleschka, der unter anderem auch als Koordinator des Projektes EUROFLU zur Erforschung der Vogelgrippe aktiv war.
Im Gegensatz zur antiviralen Wirkung ist die antibakterielle Wirkung der Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel (ANGOCIN® Anti-Infekt N) bereits seit einigen Jahren durch mehrere In-vitro-Studien am Universitätsklinikum Freiburg belegt [2, 3, 4]. Die Untersuchungen zeigen ein breites antibakterielles Wirkspektrum der Senföle gegenüber 13 klinisch relevanten bakteriellen Erregern, sogar gegen Problemkeime wie MRSA, Vancomycin-resistente Enterokokken oder Penicillin-resistente Pneumokokken. Da sich die Senföle im Körper vorwiegend in Harnblase und Lunge anreichern, stellen sie vor allem bei bakteriellen Atemwegs- und Harnwegsinfektionen eine wirksame und gut verträgliche Alternative zu chemischen Antibiotika dar.
Die klinische Wirksamkeit des Senfölgemisches wurde in zwei prospektiven Kohortenstudien an Erwachsenen und Kindern sowie in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie zur Prophylaxe bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen nachgewiesen [5, 6, 7]. Die Studien zeigen unter anderem, dass die Pflanzenkombination aus Meerrettichwurzel und Kapuzinerkressenkraut bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis oder akuter Blasenentzündung vergleichbar wirkt wie Standard-Antibiotika.
4.107 Zeichen (mit Leerzeichen, ohne Überschrift) Abdruck honorarfrei, Belegexemplar erbeten.
Literatur: 1. Winter, A.G., Willeke, L.: Untersuchungen über den Einfluss von Senfölen auf die Vermehrung des Influenza-Virus im exembryonierten Hühnerei, Arch. Mikrobiol. 31, S. 311-318 (1958)
2. Conrad, A. et al: In-vitro-Untersuchungen zur antibakteriellen Wirksamkeit einer Kombination aus Kapuzinerkressekraut (tropaeoli majoris Herba) und Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix), Drug Res 56/12: 842-849 (2006)
3. Conrad, A. et al: Breite antibakterielle Wirkung einer Mischung von Senfölen in vitro. Z Phytotherapie 29, Suppl.1: S22-S23(2008)
4. Conrad, A. et al. 2009: Broad spectrum antibacterial activity of a mixture of isothiocyanates from nasturtium (Tropaeoli majoris herba) and horseradish (Armoraciae rusticanae radix), zur Publikation eingereicht bei Phytotherapy Research.
5. Goos, K.-H. et al.: Wirksamkeit und Verträglichkeit eines pflanzlichen Arzneimittels mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettich bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis und akuter Blasenentzündung im Vergleich zu anderen Therapien unter den Bedingungen der täglichen Praxis, Drug Res 56: 249-257 (2006)
6. Goos, K.-H. et al.: Aktuelle Untersuchungen und Verträglichkeit eines pflanzlichen Arzneimittels mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettich bei akuter Sinusitis, akuter Bronchitis und akuter Blasenentzündung bei Kindern im Vergleich zu anderen Antibiotika, Arzneim.-Forsch./Drug Res. 57, No. 4, 238-246 (2007)
7. Albrecht, U. et al.: Eine randomisierte, Plazebo-kontrollierte Doppelblindstudie eines pflanzlichen Arzneimittels aus Kapuzinerkresse und Meerrettich in der Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfekten, Curr Med Res Opin 23(10): 2415-2422 (2007)