Frankfurt – Monotone Bewegungen, die nicht viel Kraft erfordern, können gleichwohl chronische Muskelschmerzen verursachen. Die dabei entstehenden unterschwelligen Nervenimpulse, können zwar keinen Schmerz auslösen, können aber Nervenzellen im Rückenmark sensibilisieren. Dies steigert die Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) der Muskulatur, berichtet Professor Siegfried Mense, Neuroanatom an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt.
Professor Siegfried Mense hat sein Büro umorganisiert. Früher wollte ich alles in Reichweite haben, erzählt er schmunzelnd, oder ich habe mich mit meinem Bürostuhl auf Rollen durch den Raum bewegt, wenn ich etwa ein Buch von einem entfernteren Regal benötigte. Durch die Umorganisation zwingt sich Professor Mense inzwischen, regelmäßig aufzustehen und seinen Schreibtisch zu verlassen. Mitunter nutzen wissenschaftliche Einsichten auf sehr praktische Art auch jenem, der sie gewonnen hat.
Wie Mense auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag berichtet, liefern spezielle Untersuchungen seines Teams an einzelnen Nervenzellen im Rückenmark narkotisierten Ratten erstmals Einsichten, was in diesen Zellen abläuft. Denn diese Zellen erhalten schwache Impulse von Schmerzfühlern (Nozizeptoren) aus der Muskulatur, die sie aber nicht zum Gehirn weiterschalten. Das Signal bleibt quasi im Rückenmark stecken, erklärt Mense. Doch auch ein konstanter Einstrom solcher Impulse sensibilisiert die Nervenzellen, d.h. sie werden für Signale aus dem Muskel empfänglicher. Dann beginnen sie Reize zum Gehirn weiterzuleiten, die sie normalerweise zurückhalten. Die Folge: Die schwachen Impulse lösen im Gehirn das Gefühl Schmerz aus, ein Phänomen das als »Hyperalgesie« bezeichnet wird.
Dies kann erklären, so Mense, warum auch leichte Bewegungen, die aber monoton sind, etwa bei Musikern oder Menschen, die am Computer arbeiten, auf Dauer Muskelschmerzen verursachen können. Die Überlastung einiger weniger Muskelfasern bei monotoner Arbeit könnte hierbei eine Rolle spielen. Bei leichter Arbeit ziehen sich immer dieselben Muskelfasern zusammen, sagt Mense. In diesem Fall wird die ganze Arbeit nur von einem Teil der Muskelfasern geleistet, der Rest wird passiv mitbewegt. Darum nennen die Forscher die ständig aktiven Muskelfasern auch Aschenputtel-Fasern. Deren Überlastung erregt Schmerzfühler, die dann wiederum unterschwellige Potenziale in Rückenmarksneuronen auslösen. Sind diese Nervenzellen durch den Dauerbeschuss irgendwann sensibilisiert, kann sich ein chronisches Muskelschmerzsyndrom entwickeln.
Bewegung, monotone Arbeiten immer wieder durchbrechen, kann dies verhindern. Auch bestimmte Medikamente, welche die Übererregbarkeit der Nervenzellen dämpfen, können hier hilfreich sein. Allerdings brauchen Patienten mit chronischen Muskelschmerzen Geduld: Es dauert, bis die Nervenzellen im Rückenmark sensibilisiert sind und es zu den Schmerzen kommt, sagt Mense. Darum kann dieser Prozess auch nicht von heute auf morgen rückgängig gemacht werden.