Eindhoven – Großer Applaus für eine ganz Große des paralympischen Sports: Kirsten Bruhn hat mit dem Ende der Europameisterschaften der Schwimmer mit Behinderung Abschied genommen von der internationalen Bühne und als Aktive der deutschen Nationalmannschaft (siehe Interview). Zweimal Gold und einmal Bronze holte die 44-jährige Wasbekerin (Schleswig-Holstein) im Pieter van den Hoogenband-Schwimmstadion in Eindhoven und feierte damit einen perfekten Abschluss ihrer großartigen Karriere. Diese hatte die nach einem Motorradunfall querschnittgelähmte Vorzeigeathletin 2002 begonnen. Damit hatte Bruhn noch einmal großen Anteil am gelungenen Abschneiden der deutschen Schwimmer. „Ich freue mich sehr für Kirsten, dass sie so einen tollen Abschied erleben durfte. Zweimal Gold und einmal Bronze – mehr ging einfach nicht“, sagte Bundestrainerin Ute Schinkitz. Die zog insgesamt ein positives Fazit. Nach sieben spannenden Wettkampftagen belegten Deutschlands Athleten mit sechsmal Gold, achtmal Silber und zehnmal Bronze Platz sieben im Medaillenspiegel.
„Es gibt zwar keinen Grund zu überschwänglicher Euphorie, aber wir haben viele gute Ergebnisse und einige neue Bestzeiten gesehen, was sich auch in Medaillen ausgedrückt hat“, resümierte Schinkitz. Alles könne jedoch im Sport nie rund laufen, so dass auch in Eindhoven wieder Freud und Leid eng beieinander gelegen hätten. So landeten die deutschen Schwimmer alleine achtmal auf dem undankbaren vierten Platz und verpassten weitere Medaillen nur hauchdünn. „Es ist zu spüren, dass das weltweite Niveau immer höher wird“, beobachtete Teammanager Bernhard von Welck. Besonders die Ukraine, Russland und Großbritannien trumpften groß auf. Für die Bundestrainerin war die EM eine Zwischenstation auf dem Weg zu den Paralympics 2016; eine Standortbestimmung unter Top-Bedingungen, die in Eindhoven herrschten. „Für uns ist jetzt Halbzeit – zwei Jahre nach London und zwei Jahre vor Rio. Wir müssen weiter hart an uns arbeiten, um den Anschluss an die Weltspitze zu halten“, betonte Schinkitz.
Mit Sebastian Iwanow ist ein Hoffnungsträger im deutschen Team nach langer Leidenszeit zurückgekehrt. Der Leverkusener hatte in den vergangenen anderthalb Jahren mit Verletzungen zu kämpfen und musste im März 2013 an der Schulter operiert werden. Erst Anfang des Jahres ist Iwanow wieder ins Training eingestiegen, voll belastbar ist er erst seit April. Bei der EM meldete sich der 29-Jährige dafür eindrucksvoll zurück und war mit zweimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze der erfolgreichste deutsche Schwimmer. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so gut abschneiden werde. Die Zeiten waren noch nicht perfekt, aber das konnte man auch nicht erwarten“, erklärte Iwanow. Kleiner Wermutstropfen war für ihn die knapp verpasste Goldmedaille über 100 Meter Freistil. „Da will ich immer unbedingt gewinnen und war daher etwas enttäuscht. Insgesamt überwiegt aber eindeutig die Freude.“ Lob gab’s auch von der Bundestrainerin: „Wir sind total glücklich, dass er zurückgekehrt ist. Sebastian hat unser Vertrauen zurückgezahlt und wird gestärkt aus den Wettkämpfen hervorgehen.“ Ebenfalls eine gute Ausbeute trotz einiger Rückschläge in diesem Jahr gelang Daniela Schulte. Die blinde Schwimmerin gewann einmal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze. „Ich bin super happy, dass ich so gut abgeschnitten habe, obwohl ich einige gesundheitliche Probleme hatte“, sagte die 32-Jährige. Jetzt wolle sie rechtzeitig die Kurve bekommen und wieder konstant trainieren können. Denn: „Rio ist das große Ziel.“
Neben den Routiniers im Team überzeugten auch die jungen Schwimmer – allen voran Elena Krawzow. Die sehbehinderte 20-jährige gewann über 100 Meter Brust die Goldmedaille mit Europarekord und ließ noch zwei dritte Plätze folgen. Die erst 17-Jährige Emely Telle durfte über die Silbermedaille über 100 Meter Brust und einige persönliche Bestzeiten jubeln. Ebenfalls deutliche neue Bestleistungen schwamm auch Maike Naomi Schnittger, die damit dennoch dreimal nur auf Rang vier landete. In ihrem letzten Rennen dann aber das versöhnliche Ende: Lautstark angefeuert vom deutschen Team am Beckenrand holte sich die 20-Jährige Bronze über 400 Meter Freistil. „Endlich“, jubelte Schnittger anschließend und freute sich über die ersehnte Medaille. Dabei war sie zwischenzeitlich sogar auf Goldkurs und führte 50 Meter vor dem Anschlag, musste ihre Konkurrentinnen auf der letzten Bahn aber noch ziehen lassen. Ebenfalls einen packenden Zweikampf lieferte sich Torben Schmidtke über 100 Meter Brust. In einem schnellen Kopf-an-Kopf-Rennen lag der 25-Jährige bis 30 Meter vor dem Ziel vorne, verpasste Gold aber knapp und gewann Silber in neuer persönlicher Bestzeit. Hinter ihm landete mit Christoph Burkard ein Teamkollege, der seine aktive Karriere aus beruflichen Gründen eigentlich schon beenden wollte. Stattdessen holte er EM-Bronze – eine verrückte Geschichte. Genau wie Tobias Pollap, der im vergangenen Jahr etwas abgetaucht war, sich aber toll zurückkämpfte und weitere Medaillen nur knapp verpasste.
Einen Start nach Maß feierte die Newcomerin im deutschen Team: Denise Grahl sicherte sich bei ihrer ersten EM zweimal Silber und einmal Bronze, schwamm zudem zwei neue Bestzeiten. „Damit hatte ich nicht gerechnet. Es hat richtig Spaß gemacht“, freute sich die 21-Jährige. Eine weitere Hoffnungsträgerin für die Zukunft und auf dem Weg nach Rio 2016.
Und Kirsten Bruhn? Die wird die deutschen Schwimmer weiterhin unterstützen, wenn auch nicht mehr aktiv im Wasser. „Ich werde es aber auf alle Fälle weiter verfolgen und begleiten. Ob als Patin oder Ratgeberin in der Nationalmannschaft – da ist vieles denkbar. Gerade die Nachwuchsförderung liegt mir sehr am Herzen“, sagte Bruhn und ergänzte: „Eines kann ich allerdings ausschließen: ich werde definitiv keine Trainerin.“