Bonn – Im Zusammenhang mit Brustimplantaten des französischen Herstellers PIP (Poly Implant Prothèse) ist Kritik an der Sicherheit von Medizinprodukten aufgekommen. Der Hersteller hatte Prüfbehörden getäuscht und illegal minderwertiges Industriesilikon verarbeitet, was im Verdacht steht, gesundheitsgefährdend zu sein. Gegen ihn wurde Strafanzeige erstattet.
Die Sicherheit der in Deutschland verwendeten Medizinprodukte ist nach Ansicht der Branchenverbände der Medizinprodukteindustrie durch eine Reihe aufeinander abgestimmter Verordnungen und Gesetzen gegeben. Dazu gehören das am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Medizinproduktegesetz (MPG) und die auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen, die die europäischen Richtlinien über aktive Implantate (90/385/EWG), über Medizinprodukte (93/42/EWG) und über In-vitro-Diagnostika (98/79/EG) in nationales Recht umsetzen.
Es besteht zudem eine grundsätzlich gut funktionierende Marktüberwachung, die aber möglicherweise in diesem Fall nicht ausreichend befolgt wurde. Gleichwohl garantiert die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen den höchst möglichen Grad an Gesundheitsschutz, Leistungsfähigkeit und Sicherheit, also Qualität für Patienten, Anwender und andere Personen.
Definition Medizinprodukte
Medizinprodukte sind Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Materialien oder chemische Substanzen und deren Zubereitungen, die ein Hersteller für die Anwendung am Menschen vorgesehen hat. Medizinprodukte werden zu Untersuchungen oder Behandlungen eingesetzt, sie sollen Krankheiten oder Behinderungen verhüten oder lindern. Medizinprodukte werden im Körper (z.B. Herzschrittmacher), am Körper (z.B. Sehhilfe) oder außerhalb des Körpers (Labortest) eingesetzt. Die Hauptwirkung der Medizinprodukte wird auf physikalischem Weg erzeugt, also mechanisch, elektrisch oder thermisch. Im Gegensatz dazu wirken die meisten Arzneimittel nach Verteilung im Körper pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch.
Zu den Medizinprodukten werden z.B. folgende Artikel gezählt: Verbandstoffe, Infusionsgeräte, Katheter, Herzschrittmacher, Hüft- und Knieprothesen, Sehhilfen, Gehhilfen, Implantate aller Art, Zahnersatz, Blutzuckermessgeräte, Röntgengeräte, EKG-Schreiber, Ultraschall-Diagnosegeräte, Kernspintomographen, Kondome, ärztliche Instrumente und Labordiagnostika. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Produkte und dem daraus resultierenden unterschiedlichen Risikopotenzial werden auch unterschiedlich hohe Anforderungen an sie gestellt.
CE-Kennzeichnung als Zeichen für Qualität und Sicherheit
Ohne CE-Kennzeichnung darf ein Medizinprodukt nicht auf den europäischen Markt und damit auch nicht auf den deutschen Markt gebracht werden.
Mit der CE-Kennzeichnung dokumentiert der Hersteller, dass seine Medizinprodukte die europäischen Anforderungen erfüllen. Abhängig von der jeweiligen Risikoeinstufung des Produkts muss eine Prüfstelle (“Benannte Stelle”) eingeschaltet werden, die zusätzlich als neutrale Auditier-, Zertifizier- und Prüfstelle fungiert. Dies kann beispielsweise der TÜV, Dekra usw. sein. Alle Benannten Stellen werden staatlich benannt und überwacht.
Die Ansprüche, die eine CE-Kennzeichnung an die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten stellt, sind hoch. Sie werden auch nicht dadurch relativiert, dass CE-Kennzeichnungen ebenfalls auf Aufzügen, Seilbahnen, Kinderspielzeug und Bügeleisen zu finden sind. Denn: Für Medizinprodukte gelten eigene produktspezifische Gesetzesvorgaben, um eine CE-Kennzeichnung aufbringen zu dürfen. Das heißt: Die Anforderungen für die CE-Kennzeichnung auf Medizinprodukten entsprechen nicht denen der CE-Kennzeichnung auf Spielzeug, sondern gehen weit über diese hinaus. Zusätzlich zur Sicherheit muss der Nachweis der Leistungsfähigkeit im Rahmen der klinischen Bewertung erbracht werden.
Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten
Das Medizinproduktegesetz schreibt vor, dass alle Medizinprodukte nur dann betrieben oder angewendet werden dürfen, wenn sie keine Mängel aufweisen, durch die Patienten, Beschäftigte oder andere Personen gefährdet werden könnten. Dies gilt für die erste Inbetriebnahme ebenso wie für jede weitere Anwendung.
Der Umgang mit Medizinprodukten darf nur dafür ausgebildeten Personen überlassen werden. Dies ist in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung detailliert geregelt. So müssen nicht nur Medizinproduktebücher für die Dokumentation lückenlos geführt werden, sondern auch sicherheitstechnische Kontrollen regelmäßig nachgewiesen werden. Dass solche Kontrollen für die Patientensicherheit unverzichtbar sind, ist insbesondere bei lebenserhaltenden Geräten wie etwa Säuglingsinkubatoren oder maschinellen Beatmungsgeräten naheliegend.
Dokumentations- und Instandhaltungspflichten
Zum hohen Sicherheitsstandard von Medizinprodukten gehört auch die sorgfältige Dokumentation aller Vorgänge, um bei Fehlern oder Schäden die Anwendungs- und Vertriebswege nachvollziehen zu können.
Die Betreiber von Medizinprodukten wie etwa Krankenhäuser und Arztpraxen müssen dafür sorgen, dass Wartung, Instandsetzung und hygienische Aufbereitung regelmäßig und von Fachleuten durchgeführt werden. So muss beispielsweise die hygienische Aufbereitung mit validierten Verfahren entsprechend dem Standard des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durchgeführt werden.
Prüfpflichten
Sicherheits- und messtechnische Kontrollen müssen ebenfalls regelmäßig nachgewiesen werden. So müssen bestimmte kritische Geräte, wie z.B. Beatmungsgeräte, mindestens alle zwei Jahre nach den anerkannten Regeln der Technik geprüft und die Prüfung dokumentiert werden.
Meldepflichten
Die Hersteller, Betreiber, Anwender und Händler eines Medizinprodukts sind verpflichtet, Vorkommnisse bzw. Produktzwischenfälle unverzüglich zu melden, um vorbeugend Gefahren abzuwehren. Die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken regelt die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung.
Ein “meldepflichtiges Vorkommnis” ist definiert als eine Funktionsstörung, ein Ausfall, eine Änderung der Merkmale oder der Leistung, eine unsachgemäße Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts, die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte.
Vorkommnisse sind sofort der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden.
Das BfArM bewertet das Risiko des Vorkommnisses. Hierzu macht der Hersteller in Zusammenarbeit mit dem BfArM Vorschläge zur Beseitigung des bestehenden Mangels.
Zur Diskussion Bewährtes System weiter verbessern
Das europaweit geltende Medizinprodukterecht und seine Umsetzung hat sich seit über 15 Jahren bewährt.
Durch das hochkriminelle Verhalten eines Einzelnen ist das europäische System der Marktzulassung und überwachung von Medizinprodukten in Misskredit gebracht worden.
Bei der Diskussion um eine Weiterentwicklung des aktuellen regulatorischen Systems sollte intensiv geprüft werden, wo und welche Maßnahmen geeignet sind, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften über die Herstellung von Medizinprodukten hinaus noch besser überwachen zu können. Dadurch soll die Sicherheit des Patienten gestärkt und kriminelles Verhalten erschwert werden.
So hätten schärfere Anforderungen für den Zugang von Medizinprodukten zum europäischen Markt den PIP-Fall nicht verhindern können, denn dort wurden Implantate mit medizinischem Silikon vorgelegt, die anschließend in krimineller Absicht gegen minderwertiges Industriesilikon ausgetauscht wurden.
Das Bundesgesundheitsministerium hat 2011 in seiner vergleichenden Analyse der Zulassung von Arzneimitteln und Medizinprodukten gezeigt, dass die Schutzziele insbesondere die Patientensicherheit – identisch sind und lediglich auf unterschiedlichem Wege erreicht werden. Ein staatliches Zulassungssystem für Medizinprodukte bietet kein Mehr an Patientensicherheit.
Die Branchenverbände der Medizinprodukteindustrie schlagen für eine Stärkung der Patientensicherheit vor:
– Verbesserung der Meldepflicht. Die Betreiber und Anwender von Medizinprodukten müssen Vorkommnisse bzw. Produktzwischenfälle entsprechend den Vorschriften melden, um Herstellern und Behörden die Möglichkeit zu geben, frühzeitig auf potenzielle Unregelmäßigkeiten reagieren zu können. Von entscheidender Bedeutung ist ein sorgfältiges Melden insbesondere durch Krankenhäuser und Arztpraxen. Meldungen sollen nicht fehlerhaftes Verhalten des medizinischen Personals oder anderer Personen anzeigen, sondern sich auf das Medizinprodukt beziehen. Dies dient der Qualitätsverbesserung eines Medizinproduktes und damit dem Schutz der Patienten. Die Branchenverbände der Medizinprodukteindustrie haben hierzu ein bei den Verbänden erhältliches Informationsblatt erarbeitet, um die Betreiber und Anwender für die Bedeutung der Vorkommnismeldungen bzw. Produktzwischenfälle zu sensibilisieren.
– Unangemeldete Kontrollen im Markt. Das Medizinproduktegesetz erlaubt dies bereits heute. Bei begründeten Verdachtsfällen sollte dieses Instrument von den zuständigen Zulassungs- und/oder Überwachungsbehörden eingesetzt werden.
– Ausstattung der Überwachungsbehörden. Für die Überwachung ist eine sachgerechte personelle und materielle Ausstattung der Behörden sicher zu stellen.
– Einheitliches Qualitätsniveau der Benannten Stellen. Die Sicherstellung eines einheitlichen Qualitätsniveaus aller akkreditierten Benannten Stellen ist bereits gesetzlich geregelt. Durch eine erneute Prüfung der Akkreditierung aller Benannten Stellen sollte ein europaweit einheitliches Niveau erreicht werden.
– Sanktionen. Bei Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz und seine Verordnungen müssen die gesetzlich vorgesehenen Bußgeld- und Strafsanktionen konsequent angewendet werden.
Herausgeber: Branchenverbände der Medizinprodukteindustrie März 2012