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Sichere Diagnosestellung bei seltenen Erkrankungen
Ersatzkassen schließen Vertrag mit der Berliner Charité sowie den Unikliniken Bonn und Tübingen

Gemeinsame Pressemitteilung

Berlin – In Deutschland gibt es über 8.000 seltene Erkrankungen, wovon mehrere Millionen Menschen betroffen sind; die meisten davon sind genetisch bedingt. Eine Diagnosestellung ist oft schwierig. Das liegt zum einen daran, dass einige dieser Erkrankungen so selten sind, dass sie nur wenige Male weltweit auftreten, zum anderen kann die Ausprägung von genetisch bedingten Erkrankungen sehr heterogen sein.

Für Versicherte der Ersatzkassen (TK, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH, hkk, HEK), bei deren Erkrankung keine klare Diagnose möglich ist, beziehungsweise bei denen ein Verdacht auf eine solche seltene Erkrankung vorliegt, hat der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Universitätsklinikum Bonn und dem Universitätsklinikum Tübingen jetzt einen besonderen Versorgungsvertrag über die Durchführung einer speziellen Diagnostik geschlossen. Weitere Zentren, die die Qualitätsvoraussetzungen erfüllen, können dem Vertrag beitreten. Das gilt auch für andere Krankenkassen.

Sichere Diagnosestellung durch Fallkonferenzen und spezielle Gendiagnostik

Das Versorgungskonzept verfolgt dabei das Ziel, durch einen gestuften Prozess und zielgerichtete Maßnahmen zur Diagnosestellung den bisher langen Leidensweg der Patienten zu verkürzen. Der Vertrag enthält zwei wesentliche Bestandteile: In Fallkonferenzen, die an den universitären Zentren für Seltene Erkrankungen stattfinden, tauschen sich besonders erfahrene Experten aus dem Bereich Humangenetik mit den Kollegen aus den jeweils relevanten klinischen Bereichen, insbesondere der Kinderheilkunde, der Neurologie, der Inneren Medizin oder anderen Fachgebieten, aus, um so eine fachübergreifende Beurteilung beziehungsweise Diagnosestellung zu erreichen. Führt dies noch nicht zum Ziel, soll zweitens eine umfassende Gen-Diagnostik (Exom-Diagnostik) durchgeführt werden, in der durch eine gleichzeitige Sequenzierung aller Gene nach der Ursache für die Erkrankung gesucht wird. In 25 bis 50 Prozent der Fälle kann auf diese Weise eine eindeutige Diagnose gestellt werden und gegebenenfalls zielgerichtete therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Die Sequenzierung selbst und insbesondere die Einordnung der Ergebnisse bedürfen einer besonderen hochspezialisierten Expertise, die mit dem Vertrag sichergestellt wird.

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek:

„Eine sichere Diagnosestellung bei seltenen Erkrankungen ist das A und O für die richtige Therapieentscheidung. Bei fehlender Diagnose kommt es häufig zu überflüssigen Maßnahmen und erfolglosen Therapieversuchen. Das ist eine große Belastung für die betroffenen Versicherten und ihre Eltern beziehungsweise Familien. Mit dem Vertrag wollen die Ersatzkassen die Versorgung und die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessern.“

Vorbild Innovationsfondsprojekt TRANSLATE-NAMSE

Basis des Vertrages sind erste Ergebnisse des Projekts TRANSLATE-NAMSE, das von 2016 bis 2020 durch den Innovationsfonds (G-BA) mit insgesamt 13,4 Millionen Euro gefördert wurde. In TRANSLATE-NAMSE wurden im Verbund von acht universitären Zentren für seltene Erkrankungen die koordinierte Zusammenarbeit zur Diagnosestellung und Versorgung von Patienten mit seltenen angeborenen Erkrankungen erprobt sowie der Übergang von der Kinder- und Jugend- in die Erwachsenenmedizin besser strukturiert.

Prof. Dr. Heiko Krude, Leiter des Berliner Centrum für Seltene Erkrankungen (BCSE) der Charité:

„Das Innovationsfondsprojekt TRANSLATE-NAMSE hat gezeigt, dass wir mit übergreifenden Fallkonferenzen der beteiligten universitären Zentren sowohl die Diagnosestellung als auch die Behandlung unklarer Fälle verbessern können. Das erspart betroffenen Patienten und ihren Angehörigen eine oft jahrelange Odyssee.“

Prof. Dr. Markus M. Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn:

„Für viele genetisch bedingte Krankheiten, insbesondere die sehr seltenen, sind die Ursachen noch immer unbekannt. Daher ist es umso wichtiger, dass die Klinische Medizin und die Forschung hier eng zusammenarbeiten. Der bundesweite Versorgungsvertrag mit den Ersatzkassen schafft hierfür eine Grundlage.“

Prof. Dr. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik des Universitätsklinikums Tübingen:

„Die Medizin wird zunehmend molekular. Diese Entwicklung ist besonders für Patienten mit seltenen Erkrankungen bedeutend. Die großflächige Sequenzierung liefert uns umfangreiche genetische Informationen. Die anschließende Analyse ist jedoch entscheidend. Wir müssen herausfinden, welche genetischen Varianten wirklich ursächlich für eine Erkrankung sind.“

Was sind seltene Erkrankungen?

Als „selten“ gilt nach der in Europa gültigen Definition eine Erkrankung dann, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen darunter leiden. Gemeinsam ist allen seltenen Erkrankungen, dass sie meist chronisch verlaufen und mit gesundheitlichen Einschränkungen und einer verkürzten Lebenserwartung einhergehen. Etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt oder mitbedingt, selten sind sie heilbar.

Zu den seltenen Erkrankungen, die durch die Exom-Sequenzierung entdeckt wurden, gehören das Griscelli Syndrom Typ 1, eine Sonderform des Albinismus, sowie das Tricho-Hepato-Enteric-Syndrom (THE), eine angeborene Darmerkrankung. Die Prognosen für diese Patienten sind bei beiden Erkrankungen bislang eher schlecht; viele versterben bereits im Kindesalter.

Mehr Informationen über TRANSLATE-NAMSE gibt es auf der Website
www.translate-namse.charite.de/ueber_das_projekt/.