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Selbstbestimmungsrecht stärken – Patientenwohl schützen / Gemeinsamer Gruppenantrag zu Patientenverfügungen vorgestellt

Wolfgang Bosbach

Berlin – Nach intensiven Beratungen in den letzten Monaten haben sich Abgeordnete aus mehreren Fraktionen auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht geeinigt.

Hierzu erklären die Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU/CSU), René Röspel (SPD), Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) und Otto Fricke (FDP):

Unser Entwurf respektiert und stärkt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und schützt das Patientenwohl. Auch dann, wenn man selber nicht mehr entscheidungsfähig ist, sollen die im Voraus in einer Patientenverfügung getroffenen eigenen Anordnungen grundsätzlich verbindlich und vom Arzt und Betreuer zu befolgen und umzusetzen sein.

Eine Patientenverfügung muss aber auch die Grenzen des rechtlich Zulässigen beachten. Ein zentraler Punkt unseres Entwurfs ist darum das Festhalten an einer Reichweitenbegrenzung. Eine Patientenverfügung findet ihre Grenzen dort, wo sie Verbotenes (z.B. Tötung auf Verlangen, aktive Sterbehilfe) anordnet. Wenn von anderer Seite die unbegrenzte Möglichkeit zum Abbruch lebenserhaltender Behandlungen aufgrund einer Patientenverfügung angestrebt wird – also unabhängig davon, ob überhaupt ein irreversibel tödlicher Krankheitsverlauf vorliegt -, geht es eigentlich nicht um das Sterbenlassen von Sterbenden, sondern um die Lebensbeendigung bei Lebenden.

Gegen eine Reichweitenbegrenzung lässt sich nicht einwenden, dass der entscheidungsfähige Patient jede medizinische Behandlung – unabhängig vom Krankheitsstadium – verweigern kann. Denn der aktuelle Wille und ein im Vorhinein geäußerter (antizipierter) Wille sind nicht das Gleiche. Insbesondere weiß man bei einem im Voraus erklärten Willen nie mit letzter Sicherheit, ob er dem aktuellen Willen des Betroffenen entspricht oder möglicherweise eine Willensänderung vorliegt. Eine frühere Verfügung kann dem aktuellen Willen des Betroffenen und damit auch seinem Selbstbestimmungsrecht durchaus auch widersprechen.

Aus dieser Reichweitenbeschränkung für den Abbruch lebenserhaltender Behandlungen auf irreversibel tödliche Krankheitsverläufe zieht der Entwurf nicht die Konsequenz, dass bei Patienten, die zwar nach ärztlicher Erkenntnis unwiederbringlich das Bewusstsein verloren haben, aber bei Anwendung aller medizinischen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht Sterben müssen, sondern am Leben erhalten werden können, ein Abbruch der lebenserhaltenden Behandlung niemals in Betracht kommt.

Wenn ein Patient den Abbruch der lebenserhaltenden Behandlung selber in einer Patientenverfügung angeordnet hat, einwilligungsunfähig geworden ist und er nach ärztlicher Erkenntnis trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten niemals das Bewusstsein wiedererlangen wird, soll nach dem Entwurf sein diesbezüglicher Wille auch respektiert werden. Dies kann auf Patienten zutreffen, die sich über lange Zeit ohne Besserung im klinisch stabilen Wachkoma befinden oder bei schwersten Formen der Demenz, in denen der Betroffene endgültig das Bewusstsein verloren hat (nicht dagegen bei den Formen der Altersdemenz, bei denen Betroffene zunehmend verwirrt, aber bei Bewusstsein sind).

Diese Lebenssituationen werden damit nicht der eines Sterbenden gleichgesetzt. Wie bei irreversibel tödlich Erkrankten handelt es sich bei diesen Patienten unzweifelhaft um Lebende, die medizinisch betreut werden müssen. Aus Achtung vor ihrer im Voraus getroffenen eigenen Entscheidung, in dieser aussichtslosen Situation nicht mit allen Mitteln der modernen Medizin am Leben erhalten werden zu wollen, kann die Schutzpflicht des Staates hier hinter den erklärten Willen des Betroffenen zurücktreten. Wir befürworten eine gesetzliche Regelung dieses Bereichs noch in dieser Legislaturperiode. Würde der Gesetzgeber auf eine gesetzliche Regelung dieses Bereichs verzichten, bliebe es bei der gegenwärtigen, in weitem Umfang durch Richterrecht geprägten Rechtslage. Nach den Feststellungen der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin und der

Bundesärztekammer kommt es aber in diesem Bereich zu Rechtsunsicherheit und Auseinandersetzungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat selbst in mehreren Entscheidungen eine gesetzliche Regelung ausdrücklich als wünschenswert bezeichnet.

Eine gesetzliche Regelung, die Patientenverfügungen ohne Reichweitenbegrenzung für verbindlich erklärte, würde die von der Rechtsprechung des BGH geprägte Rechtslage aufheben. Eine Verabsolutierung des Selbstbestimmungsrechts unter Vernachlässigung der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und möglicherweise sogar gegen das Wohl des Betroffenen – gegenüber Menschen, die nicht (mehr) einwilligungsfähig sind – lehnen wir ab.

Der Entwurf zielt auf eine Klarstellung der Rechtslage und die Schaffung von Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten (Patienten, Ärzte, Betreuer/ Bevollmächtigte, Angehörige, Pflegepersonen und Gerichte). Er sieht ein praktikables Verfahren vor, das Irrtum und Missbrauch ausschließt, ohne unnötige bürokratische Prozeduren zu errichten. Der Entwurf respektiert die Entscheidung eines Betroffenen gegen lebensverlängernde Maßnahmen im Sterben, ohne die Grenzen zu aktiver Sterbehilfe zu verwischen. So wird das Selbstbestimmungsrecht gestärkt und gleichzeitig das Patientenwohl geschützt.

Die wichtigsten Eckpunkte des Gesetzentwurfs im Überblick

Jede ärztliche Behandlung hängt – wenn der Patient einwilligungsfähig ist – von seiner Einwilligung ab. Aber auch wenn ein Patient seine Einwilligungsfähigkeit verloren hat, gelten seine im Voraus in schriftlicher Form in einer Patientenverfügung geäußerten Wünsche und Entscheidungen über medizinische Maßnahmen fort und sind von den Beteiligten (Arzt, Betreuer, Bevollmächtigter) zu beachten und umzusetzen.

Auch eine Patientenverfügung muss dabei die Grenzen des rechtlich Zulässigen beachten: Inhalte einer Patientenverfügung, die gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen würden, sind nichtig. Aktive Sterbehilfe, passive Sterbehilfe ohne das Vorliegen einer infausten Prognose (oder des Sondertatbestands endgültigen Bewusstseinsverlusts) sowie der Ausschluss einer Basisversorgung ist auch auf dem Weg über die Patientenverfügung nicht möglich (sog. Reichweitenbegrenzung).

Die in einer Patientenverfügung getroffenen Verfügungen bleiben widerrufbar; niemand kann gegen seinen Willen an einer früheren Verfügung festgehalten werden. Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung sind dann nicht verbindlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden und anzunehmen ist, dass der Betroffene bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung ist grundsätzlich nur bei irreversibel tödlichem Krankheitsverlauf möglich, wenn das dem in einer Patientenverfügung geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Wo eine Erkrankung (noch) keinen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat, ist der Abbruch der lebenserhaltenden Behandlung nur möglich, wenn der Patient ohne Bewusstsein ist und nach ärztlicher Erkenntnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird und den Behandlungsabbruch in einer Patientenverfügung für diesen Fall eindeutig angeordnet (und nicht auf irgendeine Weise widerrufen) hat.

Wenn eine lebenserhaltende Behandlung bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten beendet werden soll, ist nach dem Entwurf immer in einem beratenden Konsil aus Arzt, Betreuer, Pflegepersonen und Angehörigen zu klären, ob dies tatsächlich dem Willen des Betroffenen entspricht und alle Voraussetzungen vorliegen.

Wenn nach der Beratung im Konsil zwischen Arzt und Betreuer Einvernehmen besteht, dass ein Abbruch der Behandlung dem Willen des Betroffenen entspricht und alle Voraussetzungen vorliegen, muss das Vormundschaftsgericht nicht eingeschaltet werden. Wenn ein Dissens besteht, entscheidet das Vormundschaftsgericht.

In den Fällen, in denen bei endgültigem Bewusstseinsverlust aufgrund einer Patientenverfügung eine lebenserhaltende Behandlung beendet werden soll, ist immer die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. Hintergrund und Verfahren

Über eine gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung ist bereits in der letzten Legislaturperiode diskutiert worden. Die Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin hat hierzu im September 2004 einen Zwischenbericht vorgelegt (Drs. 15/3700).

Aus dem Bundesjustizministerium war im November 2004 ein Referentenentwurf vorgelegt, später aber wieder zurückgezogen worden. Zur Einbringung von Gesetzentwürfen und einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren ist es dann wegen der vorzeitigen Auflösung des 15. Deutschen Bundestages nicht mehr gekommen. Im Koalitionsvertrag vom 18. November 2005 haben die Koalitionspartner der Großen Koalition aber vorgeschlagen, die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung in der 16. Wahlperiode fortzuführen und abzuschließen.Dazu wird es voraussichtlich keine Regierungs- oder Fraktionsentwürfe geben. Stattdessen sind Initiativen aus der Mitte des Bundestages in Form von Gruppenanträgen beabsichtigt. Diese können (nach Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes und § 76 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) von einer Gruppe von mindestens 5 % der Abgeordneten des Deutschen Bundestages – auch fraktionsübergreifend – eingebracht werden.

Ein von René Röspel, Margot von Renesse und Ulrike Riedel erarbeiteter und im Dezember 2006 in die SPD-Bundestagsfraktion zur Diskussion eingebrachter Entwurf wird zugunsten des von Wolfgang Bosbach (CDU/CSU), René Röspel (SPD), Josef Winkler (B90/Die Grünen) und Otto Fricke (FDP) abgestimmten und hier vorgelegten Entwurfs nicht weiter verfolgt.