Heidelberg – Glioblastome sind die häufigsten bösartigen Hirntumoren bei Erwachsenen. Da die Tumoren gegen gängige Krebstherapien resistent sind, haben sie eine sehr schlechte Prognose. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Universitätsklinikum Heidelberg zeigen nun, dass eine Bestrahlung mit Schwerionen diese Therapieresistenz möglicherweise überwinden und die Krebszellen vernichten könnte.
Das Glioblastom ist eine tückische Erkrankung. Der Tumor kann bei einer Operation zwar zum größten Teil entfernt werden. Aber die Erkrankung ist extrem invasiv, es wandern immer einige Krebszellen in das gesunde Hirngewebe. Diese lassen sich durch die Operation nicht entfernen. Die Erkrankung kann daher in ihrem Fortschreiten etwas verlangsamt, aber nicht geheilt werden.
Ein weiterer Grund für die schlechte Prognose ist, dass Glioblastome sowohl auf die Chemotherapie als auch auf die Strahlentherapie wesentlich schlechter ansprechen als andere solide Tumoren. „Im Anschluss an die Operation wird eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie durchgeführt, wodurch sich die Überlebenszeit auf durchschnittlich 15 Monate verlängern lässt”, erklärt Amir Abdollahi vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Eine weitere Besonderheit zeichnet Glioblastome aus: „Tritt bei Glioblastom-Patienten erneut ein Tumor auf, dann fast immer in der Nähe der Stelle, an der der Primärtumor saß”, erklärt Abdollahi.
„Wir setzen deshalb auf innovative lokale Therapien wie die Bestrahlung mit Schwerionen, von der wir uns eine bessere Wirksamkeit erhoffen”, sagt Jürgen Debus, wissenschaftlich-medizinischer Leiter des Heidelberger Ionenstrahltherapiezentrums (HIT) am Universitätsklinikum Heidelberg. Das ist in der Therapie von Glioblastomen auch dringend notwendig: Die bösartigen Hirntumoren enthalten neben den normalen Krebszellen auch solche, die besonders widerstandsfähig gegenüber herkömmlichen Therapien sind. Hierzu gehören zum einen die von Natur aus widerstandsfähigen Tumorstammzellen, zum anderen die sogenannten hypoxischen Zellen, die aus dem inneren Bereich des Tumors stammen, in dem meist Sauerstoffmangel herrscht.
Eine Studie unter der Leitung von Amir Abdollahi, an der Wissenschaftler vom DKFZ, vom Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum und vom Universitätsklinikum Heidelberg beteiligt waren, zeigt nun, dass eine Schwerionentherapie in der Lage ist, auch diese beiden besonders widerstandsfähigen Arten von Krebszellen zu zerstören.
Bei der herkömmlichen Strahlentherapie wird der Tumor mit Photonen bestrahlt. Diese Energieteilchen zerstören die Krebszellen nicht selbst, sondern erzeugen in den Zellen reaktive Sauerstoffmoleküle, so genannte „Radikale”, die wiederum das Erbgut der Krebszellen zerstören. Tumorstammzellen sind allerdings in der Lage, diese Sauerstoff-Radikale zu neutralisieren. Zusätzlich verringert der Sauerstoffmangel im Inneren des Tumors die Entstehung dieser hochwirksamen Sauerstoff-Radikale, so dass auch die hypoxischen Zellen die Bestrahlung überleben können.
Der Umweg über die Sauerstoff-Radikale ist bei der Bestrahlung mit Schwerionen dagegen nicht notwendig. Sie vernichten die Tumorzellen direkt. „Wir verwenden Kohlenstoffionen, die unmittelbar am Erbgut der Krebszellen komplexe Schäden verursachen, die weder Tumorstammzellen noch hypoxische Zellen reparieren können”, erklärt Abdollahi.
Doch mit den schweren Kohlenstoff-Ionen lassen sich nicht nur besonders widerspenstige Krebszellen zerstören. Die Bestrahlung führt außerdem dazu, dass sich das Tumormilieu verändert. Glioblastome sind Tumoren, gegen die das Immunsystem des Körpers wenig ausrichten kann. Die Zellen dieser Hirntumoren haben im Vergleich zu manchen anderen Tumorarten eine wesentlich geringere Anzahl an Mutationen, anhand derer die Abwehrzellen des Immunsystems sie als „fremd” identifizieren könnten. Darüber hinaus hindert die Blut-Hirn-Schranke viele Abwehrzellen daran, ins Gehirn zu gelangen, um dort Tumorzellen zu bekämpfen.
Darüber hinaus sondern die hypoxischen Zellen im Tumorinneren als Folge der herkömmlichen Bestrahlung mit Photonen Substanzen ab, die die Immunabwehr hemmen. „Die Vernichtung der hypoxischen Zellen durch Kohlenstoff-Ionen verändert das Tumormilieu so, dass das Glioblastom eventuell für das Immunsystem leichter angreifbar wird”, erklärt Abdollahi.
Für künftige neue Therapiestrategien könnte dies von entscheidender Bedeutung sein. Denn während sich bei der Behandlung verschiedener anderer Krebsarten neue Immuntherapien mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren als sehr erfolgreich erwiesen haben, scheint diese Therapieform gegen Glioblastome kaum etwas ausrichten zu können.
Doch nun konnten die DKFZ-Wissenschaftler zeigen, dass nach einer Bestrahlung mit Kohlenstoff-Ionen Abwehrzellen des Immunsystems besser an den Tumor gelangen und immunsuppressive Signale ausbleiben. Daher planen die Forscher nun, in Zukunft die Schwerionenstrahlen auszunutzen, um Tumoren zu schwächen. „Eine Vorbehandlung mit Kohlenstoff-Ionen könnte den Tumor möglicherweise so verändern, dass Immun-Checkpoint-Inhibitoren oder andere Immuntherapien auch bei Glioblastomen besser wirken”, hofft Abdollahi.
Sara Chiblak, Zili Tang, Dieter Lemke, Maximilian Knoll, Ivana Dokic, Rolf Warta, Mahmoud Moustafa, Walter Mier, Stephan Brons, Carmen Rapp, Stefan Muschal, Philipp Seidel, Martin Bendzsus, Sebastian Adeberg, Otmar D. Wiestler, Uwe Haberkorn, Jürgen Debus, Christel Herold-Mende, Wolfgang Wick und Amir Abdollahi. Carbon irradiation overcomes glioma radioresistance by eradicating stem cells and forming an antiangiogenic and immunopermissive niche. JCI Insight. 2019, doi.org/10.1172/jci.insight.123837
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.