Frankfurt – Die Position der Juristen ist eindeutig: »Es ist ein allgemeines Menschenrecht, von Schmerzen befreit zu werden und, wenn dies nicht möglich ist, Schmerzlinderung zu erfahren«, erklärt Klaus Kutzer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D. auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt. Allerdings klafft eine Lücke zwischen Rechtsanspruch und Realität: Nach wie vor ist nur ein Bruchteil der Patienten mit chronischen Schmerzen adäquat versorgt. »Nötig ist der politische Wille, die Rahmenbedingungen für die Schmerztherapie zu verändern«, erklärt Dr. Marianne Koch, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga e.V. Oberstes Ziel müsse es sein, Leiden zu lindern und dadurch auch Ressourcen im Gesundheits- und Sozialsystem zu schonen.
Der Anspruch auf Schmerztherapie basiert auf dem Grundgesetz: »Artikel 1 garantiert die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, Art. 2 das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 20 das Sozialstaatsprinzip«, sagt Klaus Kutzer. Die Bekämpfung schwerer Schmerzen sei genauso ein Aspekt des menschenwürdigen Existenzminimums wie der Erhalt der zum Lebensunterhalt benötigten Geldmittel. Deswegen müsse das Recht jeden auch nur möglicherweise erfolgreichen Versuch, schweren Schmerzen vorzubeugen, sie zu beseitigen oder zu lindern, fördern und dürfe ihn nicht durch wirtschaftliche Erwägungen unverhältnismäßig behindern.
Die Sparzwänge im Gesundheitswesen führen nach Meinung von Kutzer dazu, dass Schmerztherapeuten in einen Konflikt geraten: Sie stehen zwischen den zivil-, straf- und auch sozialversicherungsrechtlichen Anforderungen an eine Schmerzbehandlung und dem Zwang zu sparen. Dabei sei, so der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof a.D. einer notwendigen und ausreichenden Schmerztherapie von Rechts wegen ein besonderer Rang einzuräumen, wenn der Gemeinsame Bundesauschuss oder sonstige Selbstverwaltungs-organe der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und Krankenkassen über die Verteilung knapper Mittel zu entscheiden haben.
Allerdings belegen die rund 20.000 Briefe, Telefonanrufe und E-Mails, die pro Jahr bei der Deutschen Schmerzliga eintreffen, dass viele Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen große Probleme haben, dieses Recht durchzusetzen: Es fehlen spezialisierte Einrichtungen und die Existenz der wenigen ist aufgrund wirtschaftlicher Probleme ständig bedroht. Defizite der Ärzteausbildung sind die Ursache, dass Möglichkeiten zur Prävention chronischer Schmerzen oft nur ungenügend genutzt werden und in vielen Fällen immer noch viele Jahre vergehen, bis Patienten eine adäquate Therapie erhalten.
Darum fordert die Deutsche Schmerzliga: Diagnostik und Therapie von akuten und chronischen Schmerzen müssen in die Appobationsordnung als Pflichtfach aufgenommen werden, damit Ärzte mit den Grundlagen der Schmerzbehandlung vertraut sind. Ebenso gehört die Schmerzmedizin auch in die Weiterbildungsordnungen der Fachärzte. Nötig ist ein Facharzt für Schmerztherapie. Diese Maßnahme gewährleistet, dass Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie an den Hochschulen und in der medizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung spezifisch repräsentiert werden. Entsprechend müssen Professuren und Lehrstühle geschaffen werden. Die Schmerzforschung muss ein elementarer Bestandteil in der Gesundheitsforschung sein. Eine abgestufte Versorgung und definierte Behandlungspfade für Schmerzpatienten und klare Schnittstellen müssen im Gesundheitswesen etabliert werden. Nur so können Patientenkarrieren und die Chronifizierung von Schmerzen vermieden werden. Chronische Schmerzen müssen interdisziplinär behandelt werden. Erforderlich sind Schmerzzentren, in denen verschiedene Fachrichtungen Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten zusammenarbeiten und den Patienten gemeinsam betreuen. EIne gestufte Versorgungsstruktur muss flächendeckend verfügbar sein. Die politischen, ökonomischen und strukturellen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens müssen so verändert werden, dass sie eine angemessene Behandlung von Schmerzpatienten ermöglichen.