Berlin – In den Apotheken fehlen wichtige Medikamente, darunter Fiebersäfte für Kinder. Vor allem der Platzhirsch Ratiopharm kämpft mit massiven Lieferproblemen. Im Interview mit dem Branchendienst APOTHEKE ADHOC erklärt Andreas Burkhardt, Geschäftsführer von Teva Deutschland und Österreich, wie es dazu kommen konnte und warum die Ursache tiefer liegt.
Ratiopharm gehört zu den führenden Arzneimittelherstellern in Deutschland, doch aktuell muss der Konzern bei einigen Präparaten passen. So fehlen derzeit Fiebersäfte und -zäpfchen, gegenüber Apotheken wurde auch schon die Winterbevorratung abgesagt. Weil Ratiopharm teilweise der einzige Anbieter ist, müssen Praxen und Apotheken auf andere Wirkstoffe oder Darreichungsformen ausweichen oder sogar entsprechende Rezepturen selbst herstellen.
Laut Burkhardt machen der Pharmaindustrie derzeit mehrere Probleme zu schaffen. So gebe es seit Beginn der Pandemie extreme Schwankungen bei der Nachfrage. Dies betreffe insbesondere Erkältungspräparate, die nach den Hamsterkäufen im März 2020 lange überhaupt nicht verkauft wurden und seit einigen Wochen plötzlich wieder stark gefragt sind. „So etwas haben wir – genauso der Großhandel und Apotheken – noch nie erlebt. Normalerweise plant man auf der Grundlage des Vorjahresbedarfs, doch solche Erfahrungswerte, auf die man zurückgreifen kann, gibt es pandemiebedingt aktuell einfach nicht mehr.“
Jetzt fehlt es an Kapazitäten genauso wie am Personal. „Früher konnte man auf solche Schwankungen gut reagieren: Bei einer gesunden Auslastung der Produktion von 70 bis 85 Prozent konnte man Spitzen ausgleichen, und auch am Arbeitsmarkt konnte man etwa über Zeitarbeiter schnell reagieren. Jetzt suchen wir händeringend Angestellte für die Produktion, um die Nachfrage zu bedienen. Uns fehlen zwischen 100 und 150 Mitarbeiter.“
Auch die Lieferketten sind ein Problem: „Dort, wo bislang ein robuster Prozess stand, müssen wir heute mit massivem Aufwand nachsteuern. Das betrifft nicht nur Wirkstoffe, sondern auch Dinge wie Filter oder Reinigungsmittel, über die man sich noch vor Kurzem überhaupt keine Gedanken gemacht hat, weil sie im Überfluss vorhanden waren. Heute müssen wir viel Arbeit in die Beschaffung investieren. Das kleinste Ereignis kann zu einem riesigen Rückstau führen.“
Das dritte Problem sei die Preispolitik in Deutschland. Viele Präparate, darunter auch die Fiebersäfte, ließen sich nicht mehr kostendeckend herstellen, immer mehr Hersteller stiegen einfach aus. „Unsere Philosophie ist es, eine Säule der Versorgung zu sein und den Markt in seiner Breite zu beliefern: Als Vollversorger haben wir mehrere Produkte im Haus, mit denen wir nicht viel oder gar nichts verdienen. Teva ist kein Rosinenpicker wie andere Hersteller mit Sitz im Ausland.“
Der Ratiopharm-Chef sieht auch die Politik in der Pflicht: „Die Politik ist bei akuten Engpässen sehr betroffen und teilweise bemüht. An das eigentliche Problem trauen sich die politischen Entscheider aber bislang nicht ran, obwohl die Einschläge näher kommen. Es gibt viele Absichtserklärungen, doch ein konsequentes Handeln fehlt. Ein Engpass bei Fiebersaft für Kinder ist schlimm. Aber es gibt Medikamente, wie beispielsweise Tamoxifen, bei denen ein Abriss für die Patienten lebensgefährlich wird. “
Das vollständige Interview finden Sie unter https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/jetzt-spricht-der-ratiopharm-chef/
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