Berlin – Einige Generikahersteller haben Apotheken darauf aufmerksam gemacht, dass ihre vom Arzt verordneten nicht rabattbegünstigten Arzneimittel deshalb nicht gegen Rabattarzneimittel ausgetauscht werden dürfen, weil die jeweiligen arzneimittelrechtlich zugelassenen Anwendungsgebiete der Medikamente nicht übereinstimmen. Die AOK hat diesen Hinweis als Manipulationsversuche unterlegener Generikahersteller bezeichnet. Sie hat die Apotheken gewarnt, sie missachteten Gesetze, falls sie den Austausch nicht vornähmen, wenn die jeweiligen Präparate auch nur ein gemeinsames Anwen-dungsgebiet aufwiesen. Nach Auffassung von Pro Generika geht die AOK ihrerseits über das geltende Recht hinweg und gefährdet dabei sowohl die Arzneimittelsicherheit als auch die Therapietreue der Patienten massiv. Peter Schmidt, Geschäftsführer des Branchenverbandes Pro Generika kommentiert diesen Vorgang wie folgt:
Die AOK will möglichst hohe Einnahmen aus den Rabattverträgen erzielen, die am 1. Juni 2009 in Kraft getreten sind. Das ist betriebswirtschaftlich nachvollziehbar und legitim. Die AOK setzt alle Hebel in Bewegung, ihr Einsparziel zu erreichen. Dazu gehört auch eine extensive Auslegung der Substitutionsvoraussetzung für den gleichen Indikationsbereich zugelassen. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller, der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller und Pro Generika sind einhellig der Auffassung, dass die AOK damit die Grenzen überschreitet, die ihr durch Recht und Gesetz gezogen sind.
Bislang bestand allseitiges Einvernehmen, dass der Austausch wirkstoffgleicher Präparate gesetzlich lediglich dann zulässig ist, wenn die zugelassenen Anwendungsbereiche (Indikationen) der Arzneimittel übereinstimmen oder das Arzneimittel, das zur Substitution eingesetzt wird, entweder für alle Anwendungsbereiche des jeweiligen Wirkstoffs zugelassen ist oder sein Zulassungsspektrum zumindest die Anwendungsgebiete umfasst, auf die sich die Zulassung des auszutauschenden Medikaments erstreckt. Erst seit kurzem vertreten das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) die Ansicht, dass bereits ein einziges gemeinsames Anwendungsgebiet die Ersetzung ermöglicht.
Die aktuelle Auslegung des Begriffs gleicher Indikationsbereich durch BMG, GKV-Spitzenverband und AOK ist nicht verbindlich, so Schmidt weiter. Bei uns ist die verbindliche Interpretation von Gesetz und Recht nun einmal einzig und allein den Gerichten vorbehalten. Apotheken, die ihre Substitutionspraxis nicht an den Vorstellungen der AOK ausrichten, missachten also anders als von ihr suggeriert – nicht etwa schon deshalb die Gesetze. Klar ist aber, dass die Gesetzesformulierung missglückt und die Rechtslage deshalb unklar ist. Es ist schon ein starkes Stück, Arzneimittelhersteller in dieser Situation der Manipulation zu bezichtigen, die nichts anderes tun, als auf Grundlage der bis dato unstrittigen Rechtsauslegung ihre Interessen zu wahren.
Ganz so sicher scheint sich das BMG seiner jetzigen Rechtsposition übrigens auch nicht zu sein. Wie wäre es sonst zu erklären, dass es den GKV-Spitzenverband und den Deutschen Apothekerverband aufgefordert hat, seine Lesart in den Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V einzuarbeiten, der ebenfalls vom gleichen Indikationsbereich spricht?
Die AOK propagiert im großen Stil den Einsatz von Arzneimitteln über ihr zugelassenes Anwendungsgebiet hinaus und setzt sich dabei über die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum so genannten Off-Label-Use hinweg. Die Prinzipien des Rechtsstaates gebieten indes ohne Wenn und Aber, rechtlichen Vorgaben Vorrang vor fiskalischen Interessen einzuräumen, betont Schmidt. Was für den von der AOK angestrebten Off-Label-Use gilt.
Nicht zuletzt kann die Substitution à la AOK die Therapieselbstkontrolle und die Therapietreue der Patienten gravierend beeinträchtigen. Denn die Patienten erhalten bei der Off-Label-Substitution Packungsbeilagen, die weder ihre Krankheit aufführen noch Angaben über die Anwendung des Medikaments bei ihrer spezifischen Erkrankung enthalten. Verunsicherung, Unter- und Überdosierungen sowie Therapieabbrüche können die Folge sein. Von dem damit verbundenen gesteigerten Versorgungsbedarf einmal abgesehen, der die Einsparungen aus Rabattverträgen kompensieren kann, müssen alle an der Arzneimittelversorgung beteiligten Akteure auf die Arzneimittelsicherheit den allergrößten Wert legen, konstatiert Schmidt.
Der AOK sei ins Stammbuch geschrieben: Die Gesundheit der Patienten hat oberste Priorität. Effizienzgewinne dürfen mithin lediglich dann geschöpft werden, wenn die Belange der Arzneimittelsicherheit im vollen Umfang gewährleistet sind. Und das heißt im Klartext, dass jedem Patienten mit seinem Arzneimittel eine Packungsbeilage auszuhändigen ist, in der er seine Krankheit und die Anwendungshinweise für seine Indikation findet. Eben dieses Essential kann jedoch nur dann erfüllt werden, wenn die Substitution sich strikt im Rahmen der Arzneimittelzulassung bewegt.
Aus der Sicht von Pro Generika ist es unredlich, den in Rede stehenden Auslegungskonflikt auf dem Rücken der Apotheken auszutragen. Mit der Regresskeule zu drohen, hält der Verband erst recht für nicht Ziel führend. Wir alle brauchen vielmehr schnellstmöglich Rechtsklarheit. Und die kann nach Lage der Dinge allein der Gesetzgeber schaffen. Die Pharmaverbände haben die Politik daher aufgefordert, das Problem noch mit der 15. AMG-Novelle zu lösen. Unter den Aspekten der Arzneimittelsicherheit kann diese Lösung nur darin bestehen, den sozialrechtlichen Austausch von Arzneimitteln mit dem Zulassungsrecht zu verknüpfen. Allein dann ist sichergestellt, dass kein Off-Label-Use per Substitution stattfindet und die Arzneimittelsicherheit gewährleistet ist, schließt Schmidt.