Berlin – Zu dem heute von der EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes vorgestellten Zwischenbericht der Pharma-Sektorenuntersuchung sagte Peter Schmidt, Geschäftsführer der des Branchenverbandes Pro Generika:
Das Arzneimittel-Patentsystem ist ein komplexer und integraler Teil der Gesundheitswirtschaft. Die Mitgliedsunternehmen von Pro Generika respektieren geistiges Eigentum und die Patentrechte daran ohne Wenn und Aber. Sie sehen allerdings mit großer Sorge, dass Originatoren nicht zuletzt wegen stockenden Nachschubs an innovativen Produkten mit allen Mitteln versuchen, ihre Patente auszuweiten und zu schützen. Sie schrecken dabei auch vor offensichtlichem Rechtmissbrauch nicht zurück. Diesen Auswüchsen tritt die EU-Kommission zu Recht entgegen.
Die Anzahl echter Innovationen nimmt ab, patentiert werden immer öfter Neuerungen mit geringer Erfindungshöhe. Generikahersteller greifen diese schwachen Patente mit Erfolg verstärkt an. Ihre Ausgaben für Patentrechtsverfahren werden in den nächsten Jahren daher weiter steigen. Der Missbrauch von Patentrechten kann und darf nicht hingenommen werden. Er schadet sowohl der Wirtschaft als auch den Krankenkassen und Beitragszahlern, so Peter Schmidt weiter.
Die europaweit zunehmende Patentflut auf niedrigem Qualitätsniveau mündet zwangsläufig in Streitfragen. Die in Deutschland festgelegte Trennung zwischen Patentverletzungs- und Einspruchsverfahren fördert und begünstigt strukturell den Wettbewerbs beschränkenden Missbrauch von Patenten, betonte Schmidt. Musterbeispiel für daraus resultierende Fehlentwicklungen sind Fälle, in denen Generikahersteller wegen ver-meintlicher Patentverletzungen verurteilt wurden, obwohl parallel Einspruchs- bzw. Patent-Nichtigkeitsverfahren anhängig waren, die zur Vernichtung eben dieser Patente führten.
Bis zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung über Einsprüche oder Nichtigkeitsklage vergehen mehrere Jahre. In dieser Zeit können Generika nicht auf den Markt gebracht werden. Die wirtschaftlichen Schäden, die dadurch entstehen, können Millionenhöhe erreichen. Sie sind auch durch die spätere Kassation des Patents nicht wieder gut zu machen. Pro Generika fordert deshalb auch im Interesse der gesetzlichen Krankenversicherung, Prozesse wegen einer Patentverletzung bei parallelen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
Die Lektüre der meisten Patentschriften ist ohne ein Studium der Kryptologie nicht möglich. Verständliche Patentschriften erhöhen ihre Transpa-renz und zeichnen ein starkes Patent aus. Sie dokumentieren aus sich heraus die erfinderische Höhe und die Neuartigkeit der Erfindung. Nicht alles, was neu ist, stellt eine Erfindung dar. Denn viele Innovationen gehen nicht über den längst bekannten Stand von Wissenschaft und Technik hinaus. So manche Erfindung stellt vielmehr eine bloße Weiterentwicklung dar. So ist ein Pflaster, das einen bereits bekannten und auf dem Markt befindlichen Wirkstoff freisetzt, zwar neu, aber nicht erfinderisch. Denn der Wirkstoff ist und bleibt derselbe wie in der zuvor vermarkteten Darreichungsform (z.B. einer Tablette). Die Zeche für diese fragwürdige Patentierungs- und Preispolitik von Originatoren zahlen die Krankenkassen, betonte Schmidt.
Eine beliebte Strategie von Originatoren besteht darin, Wirkstoffpatente durch Verfahrenspatente zu flankieren und abzusichern. Gerade diese Verfahrenspatente weisen eine niedrige Erfindungshöhe auf. Pro Generika verlangt, dass solche Patente in Zukunft nur nach einer positiven volkswirtschaftliche Folgekostenbeurteilung erteilt werden. Es werden immer weniger neuartige Wirkstoffe patentiert. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Patentanmeldungen. Wirkliche Innovation sieht anders aus, schloss Schmidt.