Dortmund – Die finanzielle Belastung der Pflegeheim-Bewohnenden in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat einen neuen Höchststand erreicht. Das geht aus einer aktuellen Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Im Vergleich zum Jahr 2022 gab es bei den pflegebedingten Eigenanteilen einen Anstieg von durchschnittlich 15,1 Prozent. Aufgrund steigender Preise wurde inzwischen wieder das Niveau des Jahres 2021 erreicht, also vor der Einführung der Zuschläge durch die Politik zur Begrenzung des Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen. Die WIdO-Prognose macht deutlich, dass auch die aktuelle Anhebung der Zuschläge und die geplante Dynamisierung der Leistungssätze im Jahr 2025 den Trend zu immer höheren finanziellen Belastungen voraussichtlich nicht nachhaltig werden stoppen können. „Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die bisherigen politischen Maßnahmen nicht ausreichen, um die finanziellen Belastungen der Pflegeheimbewohnenden zu begrenzen. Wir brauchen dringend wirksame und nachhaltige Lösungen zur finanziellen Entlastung der Betroffenen. Wir brauchen aber auch eine ehrliche Diskussion darüber, was die Pflegeversicherung als Teilleistungssystem künftig übernehmen soll und welchen Anteil die beitragszahlenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber daran haben“, sagt Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK NordWest.
Trend zu höheren Eigenanteilen ungebrochen
Die aktuelle WIdO-Analyse zeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen in NRW Ende des Jahres 2023 von der Pflegeversicherung durchschnittlich 514 Euro pro Monat für ihre pflegebedingten Eigenanteile in Form der nach Wohndauer gestaffelten Zuschläge erstattet bekamen. Durchschnittlich 814 Euro mussten sie selbst für die Pflege zuzahlen, hinzu kamen im Schnitt 1.156 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 583 Euro für Investitionskosten. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Gesamtbelastung von 2.553 Euro pro Monat für 2023. Sie liegt damit ungefähr auf dem Niveau vor der Einführung der nach Wohndauer gestaffelten Zuschläge zur Entlastung, die seit dem 1. Januar 2022 greifen. Bei den Pflegebedürftigen mit langer Wohndauer haben diese Zuschläge für eine deutliche Entlastung gesorgt. So zahlten Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Wohndauer von mehr als drei Jahren – dies sind etwa 40 Prozent der vollstationär Pflegebedürftigen – im vergangenen Jahr für ihre pflegebedingten Eigenanteile durchschnittlich 399 Euro. „Insgesamt ist der Trend zu immer höheren Eigenanteilen allerdings ungebrochen“, betont Ackermann. Schon jetzt sei absehbar, dass die Kosten für die Pflege im Heim weiter steigen werden. Das hat unter anderem mit gestiegenen Lohnkosten infolge der Verpflichtung der Einrichtungen zur tariflichen Bezahlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den inflationsbedingten Tarifsteigerungen zu tun, so der AOK-Chef. „Die Politik ist dringend gefordert, den Trend zu immer höheren finanziellen Belastungen der Pflegeheim-Bewohnenden zu bremsen“, so Ackermann.
Politik in Bund und Ländern muss jetzt schnell handeln
Eine Maßnahme, die schnell umsetzbar wäre, ist nach Vorschlag von Ackermann die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen. Hier handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln zu finanzieren wäre. „Dies würde die Pflegebedürftigen in den Heimen auf einen Schlag um etwa eine Milliarde Euro entlasten“, so Ackermann. Dieses Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel sollte trotz schwieriger gewordener finanzieller Rahmenbedingungen endlich umgesetzt werden.
Auch die Länder sind gefordert, ihren Teil zur Entlastung beizutragen: Die Investitionskosten der Pflegeheime sollten nicht mehr weiter den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden. Sie müssen stattdessen als Teil der Daseinsvorsorge vollständig von den Ländern getragen werden. Auch dadurch wäre eine wirksame Entlastung der betroffenen Menschen möglich. „Wir brauchen dringend eine finanzielle Stärkung der Pflegeversicherung. Die Streichung des Bundeszuschusses zur Pflegeversicherung bis einschließlich 2027 war ein weiterer falscher Schritt, der unbedingt korrigiert werden muss. Wenn die Politik in Bund und Ländern nicht gegensteuert, droht spätestens 2025 ein böses Erwachen“, so Ackermann.
Offene und ehrliche Diskussion führen
AOK-Chef Ackermann fordert eine offene Diskussion über strukturelle Veränderungen in der Sozialen Pflegeversicherung. „Pflege ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bund, Länder, Kommunen sowie Kranken- und Pflegekassen sind in einer gemeinsamen Verantwortung zur Schaffung bedarfsgerechter
Angebote für eine gesundheitliche und pflegerische Versorgung und Unterstützung“, so Ackermann. Dazu gehöre auch eine ehrliche Diskussion darüber, was die soziale Pflegeversicherung in ihrer Ausprägung als Teilleistungssystem künftig leisten solle und welchen Anteil zur Finanzierung die einzelnen Akteure haben.
Zuschläge für pflegebedingte Aufwände gestiegen
Zum 1. Januar 2024 sind die Zuschläge für pflegebedingte Aufwände, die von den gesetzlichen Pflegekassen gezahlt werden, angehoben worden: Für Pflegebedürftige, die bis zu einem Jahr in einer vollstationären Pflegeeinrichtung wohnen, steigen sie von fünf auf 15 Prozent. Bei einer Wohndauer von einem Jahr bis zu zwei Jahren gibt es eine Anhebung von 25 auf 30 Prozent, bei zwei bis drei Jahren von 45 auf 50 Prozent und bei einer Wohndauer ab drei Jahren von 70 auf 75 Prozent. Mit Beginn des Jahres 2025 sollen dann auch die allgemeinen Leistungssätze der Pflegeversicherung steigen: Statt beispielsweise bisher 1.775 Euro pro Monat bei Pflegegrad 4 gibt es dann 1.855 Euro (plus 4,5 Prozent).