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Pick-up-Stellen: Schafft den Unsinn endlich ab!

Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland/ Ausgabe November 2010

Essen – Nichts anderes als ein Verbot des Versandhandels von Arzneimitteln, zumindest aber eine rigorose Beschneidung des Wildwuchses in Form der „Pick-up-Stellen“ – Abholstellen für im Versandhandel bestellte Medikamente in Drogeriemärkten, Blumenläden und Tankstellen – fordert die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland in ihrer Novemberausgabe 2010. Weder werden Pick-up-Stellen von den dafür zuständigen Amtsapothekern kontrolliert – ein eklatanter Verstoß gegen die geltenden Sicherheitsbestimmungen auf dem Arzneimittelmarkt – noch verbessern sie die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, da die notwenige Beratung durch den Apotheker fehlt. Dass bei der Bestellung von rezeptpflichtigen Medikamenten bei ausländischen Versandhändlern auch noch die latente Gefahr des Missbrauchs der persönlichen Daten besteht, rundet das Bild ab: Weg mit dem unseligen Erbe aus Ulla Schmidts Zeiten! Die Gesundheitspolitiker sind gefordert.

Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint jeden Monat mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren deutschlandweit und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.

ARZNEIMITTEL SIND KEINE GUMMIBÄRCHEN Warum die Regierung „Pick-up-Stellen“ verbieten muss

Das Wort hat gute Chancen, „Unwort“ des Jahres zu werden. Eine „Pick-up-Stelle“ – was ist das eigentlich? Der Begriff kommt natürlich aus dem Englischen, woher sonst? „Pick up“ hat viele Bedeutungen. Doch im täglichen Sprachgebrauch heißt „to pick up“ einfach „abholen“.

„Pick-up-Stellen“ sind also nichts weiter als „Abholstellen“. Was kann daran schon schlimm sein? Ist es nicht bequem, wenn man irgendwo das bestellte Paket abholen kann? Etwa beim täglichen Einkauf in einem Supermarkt, einer Tankstelle, einer Imbissbude oder einem Blumenladen?

Doch Vorsicht – das „Abholen“ hat seine Tücken. Es kommt darauf an, was man abholt. Ist es ein Buch oder eine CD – kein Problem.

Bei den „Pick-up-Stellen“ geht es hingegen um etwas ganz anderes: um Arzneimittel.

Konkret: Bestellt man Medikamente bei einem ausländischen Arzneimittel-Versandhändler, dann kann es sein, dass dieser einen Vertrag mit inländischen Firmen – Drogeriemärkten, Blumenläden, Tankstellen oder Imbissbuden – geschlossen hat. Die fungieren dann als „Pick-up-Stellen“, also Abholstellen. Dorthin schickt der Versandhändler die bestellten Arzneimittel. Und die liegen dann da, bis sie abgeholt werden. Ohne Beratung und ohne staatliche Kontrolle durch den Amtsapotheker, weil Regulierungsvorschriften fehlen.

Dass der Staat seit Jahren einen solch laxen Umgang mit hochwirksamen Medikamenten duldet, ist an sich schon ein Skandal: Arzneimittel sind und bleiben eine „Ware besonderer Art“.

Das sahen auch die Gesetzesväter der Bundesrepublik so. Sie nahmen ihre Verantwortung ernst. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden zahlreiche Gesetze und Verordnungen rund um das Arzneimittel erlassen. „Arzneimittelsicherheit“ wurde großgeschrieben. Arzneimittelgesetz, Apothekengesetz, Apothekenbetriebsordnung, Großhandelsbetriebsordnung, Betäubungsmittelgesetz – eine endlose Kette von oftmals lebenswichtigen Vorschriften regelt den Weg vom Hersteller über den pharmazeutischen Großhandel und die Apotheke bis hin zum Patienten. Keine andere Produktgruppe hat bis heute eine solch umfassende gesetzliche Regelung erfahren.

Warum? Das ist in § 2 des Arzneimittelgesetzes nachzulesen. Da heißt es: „Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen … Körper bestimmt sind …“

Es ist diese „Anwendung im oder am menschlichen Körper“, die das Arzneimittel zu einer „Ware besonderer Art“ macht. Alle Regierungen, alle Gesundheitsminister haben das respektiert. Bis Ulla Schmidt (SPD) kam. Sie war es, die 2004 dafür sorgte, dass in Deutschland der Versandhandel mit Arzneimitteln zugelassen wurde. Notwendig war das nicht. Das hat der Europäische Gerichtshof inzwischen bestätigt.

Ob Bestellung per Post oder per Internet – mit dem Versandhandel von Arzneimitteln kamen die Auswüchse und Gefahren. Das Bundeskriminalamt (BKA) weiß ein Lied davon zu singen: Soeben erst lief europaweit die Operation „PANGEA III“, ein Schlag der Polizei gegen illegale Internetseiten, auf denen gefälschte und daher oftmals lebensgefährliche Arzneimittel angeboten werden. „Professionell aufgemacht“ und von „mutmaßlich deutschen Anbietern betrieben“ – so das BKA laut einem Bericht des Branchendienstes „Gesundheit adhoc“ – würden die illegalen Internetseiten es dem Kunden kaum noch ermöglichen, seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden.

Ein anderer Auswuchs des Versandhandels von Arzneimitteln waren die „Pick-up-Stellen“. Nehmen wir zu Ulla Schmidts Ehrenrettung an, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass als Folge der Zulassung des Versandhandels Medikamente jetzt in Blumenläden auf ihre Abholung warten. Doch der Bürger nimmt fassungslos das offensichtliche Desinteresse an den Folgen einer so weitreichenden Entscheidung für die Sicherheit von Arzneimitteln und Patientendaten zur Kenntnis.

Ja – auch von Patientendaten. Zwar regt sich ganz Deutschland über „Google Street View“ auf – Google fotografiert dazu ganze Straßenzüge und Privathäuser, um sie für die Routenplanung per Internet zur Verfügung zu stellen –, doch niemand scheint sich dafür zu interessieren, dass sensible Patientendaten ins Ausland gehen. Denn um ein verschreibungspflichtiges Medikament zu bestellen, muss das Rezept an den ausländischen Arzneimittelversender geschickt werden – mit vollständiger Adresse.

Gibt es sensiblere Daten als die persönlichen Krankheitsdaten? Und weiß der Besteller, was mit seinen persönlichen Daten im Ausland passiert? Daten dieser Art lassen sich gut verkaufen.

Jetzt hätten die Regierung und Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die Chance, die Fehler der vorigen Regierung zu korrigieren und die „Pick-up-Stellen“ zu verbieten. Das hat man im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch der Bundesrat ist dafür. Man könnte sogar den Versandhandel mit Arzneimitteln wieder ganz verbieten. Der Europäische Gerichtshof hätte nichts dagegen.

Doch die Bedenkenträger im Innen- und Justizministerium, die mögliche juristische Fallstricke befürchten, halten dagegen. Für sie ist die Berufsfreiheit einiger weniger offensichtlich wichtiger als die Arzneimittelsicherheit und der Datenschutz für viele. Das ist mehr als peinlich.

Verboten bleibt hingegen der Versandhandel von Tierarzneimitteln, soweit es sich um Tiere handelt, die der menschlichen Ernährung dienen. Damit soll verhindert werden, dass durch übermäßigen, unkontrollierten Gebrauch von Medikamenten in der Tierzucht viele Menschen durch den Genuss des Fleisches zu Schaden kommen.

Mit anderen Worten: Jeder einzelne Bürger darf sich durch den Versandhandel mit Arzneimitteln potenziell gefährden. Nur wenn eine größere Zahl von Bürgern gleichzeitig betroffen ist, sieht der Staat plötzlich Handlungsbedarf. Eine seltsame Auffassung von Fürsorgepflicht.

In einem solchen Falle spielt auch die Berufsfreiheit der Versandhändler keine Rolle mehr, weil das Gemeinwohl stärker wiegt. Das Wohl des einzelnen Bürgers scheint dagegen nur ein Leichtgewicht zu sein.