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Pharmabranche: “Es geht nur gemeinsam”

Pressebericht über 14. Handelsblatt Jahrestagung „Pharma 2009.“, 4. und 5.2.2009, Frankfurt

Frankfurt, 10. Februar 2009 – • Wirtschaftsstaatssekretär Schauerte: „Angst raus – Vertrauen rein“ • Pharmaindustrie: „Eine Innovationsbremse jagt die nächste“ • AOK-Rabattverträge: „Apotheken haben keine Sicherheiten“ • Kassen-Vertragsmodelle: „Schublade ist voller Ideen“

So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, sie sitzen alle in einem Boot: Pharmahersteller, Apotheken, Krankenkassen und Ärzte unterliegen teils schwer durchschaubaren Regularien, haben mit Wettbewerbsdruck, hoher Kostenverantwortung oder Lieferunsicherheiten zu kämpfen – und wollen doch alle die Versorgung der Patienten gewährleisten. Auf der 14. Handelsblatt Jahrestagung Pharma in Frankfurt sagten im Februar Vertreter dieser Interessensgruppen, wie sie den Herausforderungen begegnen werden und worauf es am meisten ankommt: Gemeinsam zu arbeiten.

Eine der größten Bremsen in der deutschen Pharmaindustrie ist nach Ansicht des Tagungsvorsitzenden Prof. Dr. Dr. Christian Diercks das Dickicht an Regulierungen und Gesetzen. „Von allen Branchen ist die Gesundheitswirtschaft mit mehr als 100 Gesetzen die am meisten regulierte.“ Es sei aufgrund der Dynamik der Branche zwar nur folgerichtig, dass der Gesetzgeber mit Regelungen nachrüste, räumte der Rechtsanwalt und Arzt ein. Trotzdem müssten die Gesetze auf den Prüfstand gestellt und abgespeckt werden.

Staatssekretär Schauerte: Krise ist Angstkrise – Pharmabranche aber stabil

Warum sich die aktuelle Krise von früheren unterscheidet und deshalb andere Maßnahmen erfordert, verdeutlichte Hartmut Schauerte, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. „Frühere Krisen traten ein, wenn Produkte zu teuer waren oder zu wenig innovativ. Die jetzige Krise aber ist eine Angstkrise.“ Die Deutschen hätten dabei recht wenig falsch gemacht. „Wenn wir uns überhaupt etwas vorwerfen können, ist es unsere Exportabhängigkeit.“ Es bringe nichts, den Leuten jetzt zuzurufen, sie müssen sich einfach mehr anstrengen. „Stattdessen muss es jetzt heißen: Angst raus, Vertrauen rein.“ Die Kaufkraft sei nicht das Problem: „Wir haben ja Geld. Wir geben es nur vor lauter Angst nicht aus.“ Deutschland habe derzeit eine Sparquote von zwölf Prozent. „Hier müssen wir die Angst lockern, dann kommen wir auch wieder in Schwung.“ Der Politiker sei zuversichtlich, dass sich die Krise nicht so schlimm entwickle wie behauptet.

Run auf Kreditnehmer im Mittelstand

Der Gesundheitswirtschaft komme die Distanz zur Finanzbranche zugute: „Je weiter die Branche vom Finanzmarkt entfernt ist, desto weniger macht sich die Krise bemerkbar“, so Schauerte. Die Pharmabranche sei von jeher vergleichsweise konjunkturunabhängig gewesen und werde dies auch bleiben. Zwar seien Staatsregulierungen manchmal eine Fessel, „sie können aber auch eine sichere Bank bedeuten“. Der Staat sei bereit zuzuhören, wenn Änderungen an den Regelungen gewünscht seien. Allerdings: „Ich persönlich kann der Gesundheitsministerin nicht vorschreiben, dass sie nicht soviel regulieren soll.“

Unter den Pharmafirmen werden diejenigen die Krise stärker spüren, die für ihre neuen Maßnahmen von Finanzierungen abhängig seien. „Die könnte es erwischen.“ Dennoch sollte sich die Branche nicht zu viele Sorgen machen. „Wem wollen die Banken denn noch Geld leihen, wenn nicht Ihnen?“ rief er den Teilnehmern zu. Besonders der intakte Mittelstand würde demnächst stark von Banken umworben. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2009 sagte der Staatssekretär: „Ich gehe davon aus, dass eine bürgerliche Koalition eine steuerliche Förderung einführen würde; eine nicht-bürgerliche dagegen nicht.“

Behandlung der Demenz besonders wichtig

„Wir sind der Stabilitätsanker in der Krise“, betonte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. „Unsere Umsätze sind stabil bis leicht wachsend, wir sind subventionsfrei und rufen auch künftig nicht nach dem Rettungsschirm.“ Auch ohne Subventionen würde die Pharmaindustrie weiter Innovationen in den Markt bringen und 13 Prozent ihres Umsatzes, das seien 4,5 Milliarden Euro, in Forschung und Entwicklung investieren, kündigte Yzer an. Allerdings: „Man muss uns auch machen lassen.“ Die hohe Reglementierung bremse Innovationen aus. Wenn der deutsche Markt Innovationen gegenüber immer weniger offen sei, sei das volkswirtschaftliche Potenzial gefährdet. „Ich fordere mehr Mut zu Wettbewerb – auch im Gesundheitswesen – und ein Instrumentarium, das Innovationen weiter zulässt.“ Es müsse bei einem unmittelbaren Marktzugang bleiben. „Der Patient wartet doch darauf.“ Besonders die Behandlung der Demenz sei bedeutsam: „Wenn wir für diese Erkrankung nicht bald den Schlüssel finden, wird Deutschland nicht in der Lage sein, die älter werdende Gesellschaft mitsamt ihrem Pflegebedarf zu finanzieren.“

Yzer setzt daher auf einen Deregulierungs-Katalog nach der Bundestagswahl. Es sei außerdem an der Zeit, gesundheitspolitische Maßnahmen auf Standortverträglichkeit und Nützlichkeit zu prüfen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) habe bislang Innovationen „kästchenartig und systematisch ausgebremst“ und sei nun festgefahren. Überhaupt beobachte sie „eine Innovationsbremse nach der nächsten“. Auch der Gesundheitsfonds habe sich als konjunkturanfällig entpuppt und könne medizinischen Fortschritt nicht absichern.

Dr. Dirk Reischig, Chairman des mittelständischen Arzneimittelherstellers Dr. Willmar Schwabe Pharmaceuticals, ergänzte: „Wir brauchen eine Zulassungsbehörde, die berechenbar ist.“ Andernfalls seien Innovationen auch intern nicht durchsetzbar. Henning Anders von Astra Zeneca plädierte für klarere Rahmenbedingungen: „Wir bekommen unseren Druck nicht von den Krankenkassen, sondern aus Berlin. Ich will zum Beispiel sicherer wissen: Muss oder darf dieses oder jenes ausgeschrieben werden?“ Auch müsse die Regulierungsdichte reduziert werden. Michael Ewers, Geschäftsführer der betapharm Arzneimittel GmbH, bestätigte: „Unternehmen brauchen mehr Planungssicherheit.“ Die Regelungen seien zu kompliziert, wirkten gegeneinander und böten zuviel Interpretationsspielraum. „Hier ist mehr Eindeutigkeit gefragt.“ Dr. Frank Mathias vom Biotechnologie-Unternehmen MediGene bestätigte die Prognose der Branchenverbandschefin Yzer: „Wir werden in den kommenden Jahren massiv in Forschung und Entwicklung investieren.“ Er forderte dazu einen „Switch in der Forschung“: Krankheiten sollten stärker ursächlich statt symptomatisch erforscht und behandelt werden, zum Beispiel in Form von Impfungen gegen Krankheiten wie Alzheimer. Aber auch im Bereich der Onkologie und Gynäkologie könne „viel gemacht werden“.

Barmer: „Kassen stecken im Klimawandel – und geben Druck weiter“

Laut Detlef Böhler, Leiter der Vertragsabteilung bei der Barmer Ersatzkasse, nimmt der Druck auf Krankenkassen weiter zu. Sie würden mit allen Mitteln versuchen müssen, mit den Zuweisungen aus dem Fonds auszukommen, um keinen Zusatzbeitrag erheben zu müssen. Die Barmer zumindest, die Böhler zufolge jährlich 3,12 Milliarden für Arzneimittel ausgibt, plane in diesem Jahr keinen Zusatzbeitrag.

Der Wettbewerb und der Kostendruck würden sich weiter verschärfen – und von den Kassen an die Leistungserbringer weitergegeben. „Der Klimawandel in der GKV ist jetzt eingetreten und wird zu einem Verdrängungswettbewerb führen – unter den Kassen, aber auch unter den Leistungserbringern.“

Rabattverträge seien zwar eine gute Möglichkeit, Kosten einzusparen, aber: „Wir müssen dabei den Patienten im Blick behalten.“ Auch die Barmer werde nur überleben können, wenn sie den Versicherten eine erstklassige Versorgung garantieren könne. Nach Angaben von Insight Health und Pro Generika bestanden im letzten November 5314 Rabattverträge mit 110 Herstellern und 215 Krankenkassen. Damit sei der generische Markt weitgehend erschlossen, so Böhler. „Hier wird nur noch mit dem Löffel am Fundament gekratzt.“ Jetzt müssten Kooperationsverträge mit der pharmazeutischen Industrie im Original-Markt ausgebaut werden. Die Barmer prüfe und entwickle dafür bereits Szenarien.

Böhler erwartet künftig mehr Vertragsfreiheit. Die müsse jedoch einheitlich und gemeinsam genutzt werden, eine interdisziplinäre und sektorübergreifende Zusammenarbeit sei nötig. „Ideen gibt es genug, die Schubladen sind voll von Vertragsmodellen.“ Er mahnte an, schon kurzfristig Wirtschaftlichkeit zu erreichen: „Wir brauchen dringend bereits in diesem Jahr wirtschaftliche Erfolge.“

DAK-Chef Rebscher: Gesundheitsfonds ist eine Katastrophe

Die Kritik am Gesundheitsfonds fiel bei Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK, gewohnt scharf aus: „Er wird professionell abgewickelt. Das ist aber schon alles.“ Technisch funktioniere er, ordnungspolitisch jedoch sei er eine Katastrophe. Rebscher betrachtet den Fonds als eine Verstaatlichung der Einnahmeseite der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Er führe dazu, dass Kassen Zusatzbeiträge – Rebscher nennt sie „Zusatzprämien“ – vermeiden wie Teufel das Weihwasser. „Eine Kasse, die zum 1. Januar versucht hätte, eine Zusatzprämie zu erheben, hätte zum 1. Februar sicherlich 50 oder 100 Kunden weniger gehabt“, so seine Vermutung. Unter den Wechselwilligen befänden sich vor allem solche, die sich im Internet über Konditionen informieren, „die jungen und gesunden Menschen eben“. Und diesen solle eine Kasse erst einmal erklären, dass sie „für den Zusatzbeitrag eine tolle geriatrische Behandlung erhalten“. Den Kassen dagegen, die die Versorgungslast schulterten, drohe die Unterdeckung. „Und daran ändert auch der Morbi-RSA nichts.“ Barmer-Vertragsexperte Böhler sieht den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) positiv: „Das neue RSA-System beendet die Jagd nach den Jungen und sorgt für einen gerechteren Ausgleich.“ Mancher Arzt wisse das ganz besonders zu nutzen, wie Böhler schilderte: Ihm habe ein Arzt aus Süddeutschland geschrieben, solange die Barmer mit ihm keinen Selektivvertrag mache, schreibe er der Kasse gar keine Diagnose mehr auf. DAK-Chef-Rebscher sagte weiter, das wirklich Absurde am Morbi-RSA sei die Festlegung auf 80 Krankheiten und das Fehlen eines Klassifikationsmodells als Grundlage. In diesem Jahr würden noch Buchhalter statt Versorger in den Kassen herrschen. Aber 2010, „wenn dann alle Kassen zehn oder zwanzig Euro erheben müssen“, werde es vielleicht Vertragspartnerschaften geben. Bis dahin sei Fairness gefragt. „Wenigstens zwischen uns sollte es Transparenz geben und Verständnis für die Konfliktsituation. Wir stehen in der Verantwortung.“

Rabattverträge für Originale oder DRGs: „Jetzt wird es abenteuerlich“

Durch den Druck im System stürzten sich nun alle auf die Rabattverträge. Und gerieten Rebscher zufolge in das nächste Dilemma: „Verträge verfolgen das Ziel, langfristig gesundheitliche Eskalationen zu vermeiden. Die Zusatzprämie können wir nur mit kurzfristigen Modellen verhindern.“ So sei es kein Zufall, dass fast alle Kassen ihre Hausarztverträge gekündigt hätten. „Und da nun der Generikamarkt für Rabattverträge ausgelutscht ist, wollen manche das Modell ausweiten. Auf Originale. Auf DRGs. Und jetzt wird es abenteuerlich.“ Rabattverträge bedeuteten den Zusammenbruch der Wirtschaftlichkeitsprüfung. „Der Fonds zerstört so das, was wir in den letzten Jahren an Investitionsbereitschaft aufgebaut haben.“ Nach der Bundestagswahl müsse das Thema neu diskutiert werden. „Dann endet auch die Halbwertzeit für dieses Modell.“

Dumping contra Hinterzimmer / AOK-Manager Hermann: „Apotheken haben keine Sicherheiten“

Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvize der AOK Baden-Württemberg und AOK-Verhandlungsführer, verteidigte auf der Handelsblatt Tagung die Rabattpolitik seiner Kasse. „Unsere Rabattverträge werden immer als Inkarnation des Bösen dargestellt, dabei sind sie transparent und fair.“ Und stünden damit im Gegensatz zu exklusiven oder semi-exklusiven Rabattverträgen, für die es nie eine Ausschreibung gegeben habe: „Solche Hinterzimmer-Verträge führen zu einer deutlichen Marktkonzentration der Vertragspartner.“ Und zu Umsatzeinbußen bei den Pharmaherstellern, die außen vor gelassen wurden: „Bei denen gehen die Zahlen für ihr jeweiliges Konkurrenzprodukt in den Keller.“ Bisher hätten die benachteiligten Pharmaunternehmen jedoch nicht reagiert. Ebenso wenig wie die Aufsichtsbehörden, was Hermann ärgert: „Wir brauchen eine Aufsichtsbehörde, die diesem Namen auch Ehre erweist.“ Zur Versorgungsqualität seiner Kasse sagte er: „3,8 Millionen Versicherte sind in unserer Kasse. Freiwillig. Und ich glaube nicht, dass die sich schlecht versorgt fühlen.“

Die Frage eines Teilnehmers, auf welchen Startzeitpunkt der Rabattverträge sich Apotheker einstellen sollten, konnte er auf der Tagung nicht beantworten: „Wir tun alles dafür, dass es schneller geht, aber: Sie als Apotheker haben keine Sicherheiten.“ Und mit Blick auf die noch laufenden Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern verteidigte er sich: „Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass es länger dauert, nur, weil jemand seine Rechte in Anspruch nimmt.“

Rabattverträge: Not oder Elend

Der Geschäftsführer des Branchenverbands ProGenerika, Peter Schmidt, vermutet, dass es viele Pharmafirmen gern gesehen hätten, wenn die Ausschreibungen gescheitert wären – selbst die, die sich daran beteiligt hätten. „Wer einen Rabattvertrag hat, ist in der Not. Wer keinen hat, ist im Elend.“ Einen großen finanziellen Unterschied mache ein Rabattvertrag nicht: „Vielleicht gewinnt man dadurch mehr Marktanteile, aber was bringt das? Ein Unternehmen will ja Erträge.“ Die AOK habe mit ihren Rabattverträgen Unternehmen in einen Unterbietungsdruck gezwungen. „Eine ganze Reihe von Angeboten liegen vermutlich unter den Herstellungskosten. Mir sagte ein Unternehmer, er hätte so niedrig geboten, dass nur ein ganz schmaler Gewinn übrig bliebe. Und er erreichte unter den Bietern nur Platz elf.“ Rabattverträge führten dazu, dass Generikahersteller keine Innovationen mehr anbieten könnten, keine galenischen Verbesserungen, keine neuen Darreichungsformen. Bis 1. Januar 2011 fordert er vom Gesetzgeber eine ordnungspolitische Richtungsentscheidung: „Soll der Arzneimittelmarkt durch zentrale Kontrolle gesteuert werden oder durch Wettbewerb? Es geht nur eines, beides zusammen macht Generika platt.“

Dr. Klaus Suwelack vom Pharmahersteller Janssen-Cilag ergänzte: „Wir werden in unseren Strategien über Rabattverträge hinausgehen müssen.“ Dabei sollte nicht nur auf Arzneimittel geschaut, sondern die Behandlung gesamtheitlich betrachtet werden. „Auch wenn wir kaum Zeit dafür haben: Wir müssen an innovativen Modellen arbeiten, denn hier liegt die Zukunft.“ Auch Krankenkassen sollten in diesem Zusammenhang ihre Rolle neu verstehen. „Sie haben die Macht, sie managen 166 Milliarden Euro im System.“

Dierk Neugebauer von Novartis Pharma sagte: „Wir müssen weg von der klassischen Einsparung und hin zu Partnerschaften.“ Kassen ginge es nur darum, Geld zu sparen, um keinen Zusatzbeitrag erheben zu müssen, „Aber warum haben die keine Rückstellungen gebildet für diese Zeit? Sie wussten doch, was kommen würde.“ Seine Prognose: „In fünf bis sieben Jahren haben wir ohnehin nur noch 50 Kassen.“ Künftig werde man in Deutschland wegkommen von der freien Preisgestaltung. Dann würden Preise über die Kosten-Nutzen-Bewertung festgelegt. Vorteil: „Dann gibt es immerhin Planungssicherheit.“ Suwelack sieht diese Entwicklung skeptisch: „Ich hoffe doch, dass sich das noch etwas länger hinzieht.“ Betapharm-Geschäftsführer Ewers vertraut auf die Selbstheilungskräfte des Marktes: „Der Markt regelt sich selbst, zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung – und die wird auch hier kommen.“ Er verwies darauf, dass Rabattverträge nur kurzfristig Sinn hätten, mittelfristig brauche es andere Ideen, wie zum Beispiel Patientenpfade.

Apotheke – Kaufmannsladen oder Beratungshaus?

Die Frage nach dem künftig besten Vertriebsweg für Arzneimittel ist für Walter Frie (Ministerialrat im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen) ein sicheres Indiz, „dass etwas gehörig falsch gelaufen ist. Es sind doch die Versorgungskonzepte, um die wir uns kümmern müssen.“ Statt neuer Vertriebswege würden mehr Apotheken, mehr Betreuung und mehr Beratung gebraucht. „Wir müssen uns fragen: Ist der Apotheker Heilberufler oder Kaufmann, ist die Apotheke ein Ort der kompetenten Beratung oder ein Kaufmannsladen?“ Der Apotheker sollte Frie zufolge in seiner Apotheke stehen „wie der Arzt in seiner Praxis“ und sich als Hüter der guten Arzneimittelversorgung verstehen. Es sei die Aufgabe der Politik, eine flächendeckende Versorgung zu ermöglichen, die Qualität in der Fläche zu erhöhen, sonst gingen die Margen runter. „Und anders als mit dem Großhandel kann ich mir eine solche Versorgung nicht vorstellen.“

Auf unrealistische Vorstellungen über die Rolle des Pharmagroßhandels wies Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender des Pharmagroßhändlers Andreae-Noris Zahn, hin. „Wir sind Vollversorger, nicht Vollsortimenter. Bei derzeit rund 280.000 in Deutschland gelisteten Arzneimitteln kann niemand ein Vollsortimenter sein.“ Eine Apotheke müsse zwar frei bleiben in ihrer Entscheidung, ob sie ihre Ware beim Großhandel oder der Pharmaindustrie direkt beziehe. Aber wenn sie sich dann für den Großhandel entscheide, müsse der auch fähig sein zu liefern.

Auch den hohen Beratungsbedarf der Apotheker verdeutlichte Trümper: „Wir erhalten sehr viele Anrufe von Apothekern, die Fragen zu Produkten haben. Wer übernimmt diese Beratungsaufgabe im Direktvertrieb?“ Außerdem: Eine einzige Lieferung an eine Apotheke enthalte oft Produkte von acht oder neun verschiedenen Herstellern. „Beim Direktvertrieb erhält sie dann neun verschiedene Lieferungen – ist das ökonomisch? Was hier diskutiert wird, ist ein Wahnsinn.“ Auch die oft angenommene bessere Beratung durch den direkten Kontakt zwischen Apotheke und Hersteller erscheint ihm fraglich: „Wer da als Lieferant in die Apotheke kommt, ist doch nicht ein Pharmaexperte, sondern ein Fahrer.“ Da würden Dinge vermischt, um Politik zu betreiben. „Es gibt keine günstigere Form der Belieferung – sowohl ökonomisch als auch ökologisch – als die über den Großhandel.“ Dieser fungiere als Trichter: Der Apotheker bestelle bei nur einem Anbieter, wickele nur einen Wareneingang ab, erhalte nur eine Rechnung. Seine Aufforderung: „Lassen Sie uns in einen Wettbewerb treten, lassen Sie den Apotheker entscheiden.“

„Versorgung und Vertrieb sind kein Widerspruch“, betonte Heinz-Günter Wolf, Präsident der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA). Er berichtete von intensiven Bemühungen, den Apotheker in das Therapiemanagement einzubinden, „mehr, als das über die Kassen möglich ist.“ Während der Versandhandel ein low-level-Vertrieb sei, biete der high-level-Vertrieb über die Präsenzapotheke auch Beratung – „das Entscheidende“, so Wolf. Apotheken würden zwar nicht in einen Preiswettbewerb, aber zunehmend in die wirtschaftliche Verantwortung genommen. „Mit den fünf Playern, dem Arzt, der Kasse, dem Patienten, dem Apotheker und dem Pharmaunternehmen, haben wir keine typische Wettbewerbssituation, in der Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen.“ Die Rabattverträge würden nach der Bundestagswahl nicht wie bisher bleiben können. Die Preise würden dann zunehmend zwischen Kasse und Pharmaindustrie ausgehandelt werden. Klaus Gritschneder von der Versandhandelsapotheke Europa Apotheek Venlo konstatierte, die Politik habe dem Apotheker immer mehr Spielraum weggenommen, so dass dieser nunmehr ein Logistiker sei. „Davon müssen wir wieder wegkommen, und zwar hin zu mehr Pharmazie.“ Peter-Carsten Kilian, Leiter des Gesundheitsmanagement bei MEDICE Arzneimittel Pütter, könnte sich den Apotheker sogar künftig als Case-Manager vorstellen. Aber wenn er in die Apotheke gehe, sähe er, dass das gar nicht funktionieren würde. „Der Apotheker hat gar nicht die Zeit zu beraten. Er steht hinter seinem Computer und muss lange prüfen, welches Medikament er gerade wegen welchen Rabattvertrags abgeben darf.“ Damit Präsenzapotheken beraten könnten, müsse politisch etwas passieren. Daran, wer wirklich über die Frage nach dem besten Vertriebsweg entscheidet, erinnerte Gritschneder: „Wir sollten auf den Patienten schauen, denn der wird uns am Ende schon sagen, welche Versorgung er bevorzugt.“

Ärztevertreter fordert: Weg von der Rationierung

Dr. Kuno Winn, Vorsitzender des deutschen Ärzteverbands Hartmannbund, sieht den Arzt in einem Spannungsfeld zwischen der Gewinnorientierung der Pharmaindustrie und der gesellschaftlichen Verantwortung. „Hinzu kommt, dass ein Arzt in diesem System auch Vorposten einer Rationierungspolitik ist.“ Als solcher müsse er Arzneimittelbudgets steuern, Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchführen, und sähe sich dann auch noch Regressforderungen ausgesetzt. Allein in Sachsen habe der Durchschnittswert der Regressforderungen im Sommer 2008 150.000 Euro betragen. „Das reicht schon mal, um eine ganze Praxis zu ruinieren.“ Es existierten derzeit sehr viele Instrumente, mit denen Arzneimittel reguliert werden, so Winn. Aber nur wenige davon könne der Arzt selbst beeinflussen. „Aber er trägt die Kostenverantwortung und haftet mit seiner wirtschaftlichen Existenz.“

Die jetzige politische Situation erfordere von der Pharmaindustrie eine neue Strategie im Umgang mit Ärzten: „Die Industrie sollte die Ärzte als Partner betrachten, statt sie für ökonomische Interessen zu vereinnahmen. Wir müssen gemeinsam agieren – auf Basis gegenseitigen Vertrauens.“ Schließlich hätten beide die gleiche Zielgruppe, die gleichen Ziele: Die Heilung von Krankheiten und die Linderung von Beschwerden. „Vielleicht sollten wir hier mal eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden, die sich genau darum kümmert“, schlug Winn vor.

An die Politik gerichtet, sagte Winn: „Was da gemacht wird, führt zu einer zweifelhaften Blüte bürokratischen Kontrollwesens.“ Als Beispiel nannte er das Zweitmeinungsverfahren: Hier solle ein Arzt die Meinung eines zweiten, besonders qualifizierten Arztes einfordern, bevor er ein Arzneimittel mit hohem Risikopotenzial oder hohen Therapiekosten verordne. „Aber ein Risikopotenzial hat doch jedes Medikament“, meinte Winn. Und: Die erste Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gelte für Präparate mit jährlichen Therapiekosten zwischen 11.000 und 110.000 Euro. Außerdem seien den Ärzten Listen angekündigt worden mit Namen der besonders qualifizierten Ärzte. „Bis heute sind solche Listen nicht verschickt worden.“

Rabattverträge brechen das Spannungsfeld nicht auf, so Winn. Im Gegenteil: „Sie sind ein politisches Instrument zur Kostendämpfung, das aus Sicht der Ärzte bedenklich ist. Die Apotheken geben das kostengünstigste Medikament ab, das nicht immer das ist, was der Arzt verschrieben hat, und der Arzt haftet anschließend, wenn Nebenwirkungen auftreten.“ Das sei ein unhaltbarer Zustand.

Der Pharmaindustrie könne er aber nicht vorwerfen, sie würde sich vor der Verantwortung drücken. „Sie hat uns Ärzte nicht aus den Augen verloren, obwohl die Zusammenarbeit immer noch optimiert werden könnte.“ Risk-Sharing- und Cost-Sharing-Verträge seien gut, lösten aber nicht das Problem der Unterfinanzierung. „Was wir brauchen, ist eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens.“ Die GKV-Ausgaben gehörten von der Lohnentwicklung abgekoppelt, die Finanzierung sollte sich am Bedarf orientieren. Ferner müsse die Kostenerstattung sozial verträglich ablaufen. „Und die Ärzte müssen von der Kostenverantwortung befreit werden.“

Die nächste Handelsblatt Jahrestagung Pharma findet im ersten Halbjahr 2010 in Frankfurt statt. Der genaue Termin steht im Frühjahr 2009 fest. Weitere Informationen: http://www.konferenz.de