Brüssel – “Das Chaos um die Empfehlung zur Impfung gegen die Neue Grippe, das unter anderem durch Äußerungen von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hervorgerufen wurde, muss dringend beendet werden.” Dies fordert der gesundheitspolitische Sprecher der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Dr. Peter Liese. Schmidt hatte vor einigen Tagen im Interview erklärt, dass sie persönlich dazu rate, Kinder erst im Frühjahr gegen die Neue Grippe zu impfen. “Es gibt eine berechtigte Diskussion über die Sicherheit der Impfstoffe und wir alle gemeinsam müssen sehr vorsichtig sein. Aber niemand der vielen Experten, mit denen ich gesprochen habe, rät dazu, Kinder erst im Frühjahr zu impfen. Wenn wir mit einer Gefahr durch die Neue Grippe rechnen müssen, dann wird dies im Herbst oder Winter sein. Eine Impfung im Frühjahr macht daher sehr wenig Sinn”, so der Mediziner Liese. Das European Union Health Security Committee hat vor wenigen Tagen eine offizielle Empfehlung herausgegeben. Darin heißt es sogar, dass alle Personen ab sechs Monate (d.h. auch Kinder), die an chronischen Krankheiten, wie Atemwegserkrankungen oder Herzerkrankungen leiden, prioritär geimpft werden sollen. Die gleichlautende Empfehlung wurde auch von der Weltgesundheitsorganisation gegeben. Auch die schwedische Ministerin für Volksgesundheit, Maria Larsson und die Direktorin des Europäischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von Krankheiten, Zsuzsanna Jakab, konnten die Äußerungen der Ministerin nicht nachvollziehen.
“Ich halte es für unverantwortlich, dass Ulla Schmidt in einem so sensiblen Thema ihre persönliche Meinung ohne sachlich fundierte Argumente wiedergibt. Die Informationslage ist ohnehin unübersichtlich und bei der Bevölkerung herrscht große Unsicherheit. Dies darf nicht noch durch tollpatschige Ministerinnen verstärkt werden,” so Liese.
Insgesamt warnte Liese im Zusammenhang mit der Neuen Grippe sowohl vor Panikmache als auch vor einer Unterschätzung der Erkrankung. Bisher seien die Verläufe in der Europäischen Union eher harmlos, jedoch gibt schon 105 Todesfälle zu beklagen. Weltweit gibt es mittlerweile 2992 Todesfälle, vor allen Dingen auf der südlichen Erdhalbkugel. Experten gehen davon aus, dass im Herbst und Winter auch in Europa die Zahlen zunehmen. Frau Jakab sprach davon, dass sich im schlimmsten Fall bis zu 30% der Bevölkerung in der Europäischen Union infizieren können. Besonderes Augenmerk muss nach Ansicht Lieses, der vor seiner Wahl ins Europäische Parlament als Stationsarzt in einer Kinderklinik gearbeitet hat, der Situation von Kindern gewidmet werden. Aus Kapazitätsgründen wird der antivirale Wirkstoff Oseltamivir zurzeit nicht in Form einer Suspension (Saft) hergestellt, sondern nur in Form von Kapseln. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Kapseln zu öffnen und etwa mit Apfelmus oder Saft den Kindern zu verabreichen, aber Liese sieht praktische Probleme. “Gerade Eltern aus sozial schwachen Schichten oder Eltern, die der jeweiligen Landessprache nicht mächtig sind, werden damit erfahrungsgemäß ein Problem haben, sodass Kinder nicht optimal behandelt werden können”, so Liese abschließend.
Hintergrundinformationen zur “Neuen Grippe”
(Aussagen von Zsuzsanna Jakab, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten)
Bisher sind in der Europäischen Union 46.635 Personen an der Neuen Grippe erkrankt. Bis Mittwoch dieser Woche gab es 105 Todesfälle zu beklagen. Die Zahl der Erkrankten ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da insbesondere in den Ländern mit hohen Erkrankungsraten nicht mehr alle auffälligen Personen getestet werden.
Es ist nicht mehr möglich die Ausbreitung der Neuen Grippe komplett zu vermeiden, sondern man sollte die Auswirkungen eingrenzen. Nach Ansicht von Frau Jakab handelt es sich bisher um eine moderate Pandemie. Es ist zu erwarten, dass der Verlauf der Erkrankung in Herbst und Winter in Europa so ist wie jetzt in der südlichen Hemisphäre verläuft. Das ECDC erwartet eine starke Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, insbesondere der Einrichtungen zur Beatmung von Patienten. Besonders gefährdet sind kleinere Kinder, schwangere Frauen und Personen mit einer chronischen Erkrankung wie zum Beispiel Asthma, Diabetes oder eine Herzerkrankung.