Brüssel – Die spezifischen Belange von Kindern werden, wie so oft in der Medizin, auch bei der Neuen Grippe nicht ausreichend berücksichtigt. Darauf wies der CDU-Europaabgeordnete Dr. med. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten), hin.
“Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern haben einen anderen Stoffwechsel und viele Besonderheiten müssen bei Erkennung, Vorsorge und Behandlung von Krankheiten berücksichtigt werden. Dies wird auch bei der Neuen Grippe von den Verantwortlichen nicht im ausreichenden Maße beachtet.” Peter Liese, der vor seiner Wahl ins Europäische Parlament in einer Kinderklinik gearbeitet hatte, nannte für dieses Einschätzung drei konkrete Beispiele:
Die Behörden in Deutschland und offensichtlich auch in anderen Mitgliedstaaten haben für den Notfall große Mengen des antiviralen Medikamentes Oseltamivir (Tamiflu) geordert. Leider haben sie aber nur die Tablettenform für Erwachsene und nicht den am Markt verfügbaren und zugelassenen Saft für Kinder geordert. Unter anderem dadurch ist es jetzt zu Produktionsengpässen gekommen und der Saft ist nicht verfügbar. Das heißt, dass Kinder, die sich an der Neuen Grippe infizieren, nicht optimal behandelt werden können.
Ein weiteres Beispiel für diese Einschätzung ist eine Empfehlung des Robert-Koch-Instituts. Die dem Bundesgesundheitsministerium unterstehende Behörde hat Kinderärzte in Kliniken und Praxen angewiesen, alle Kinder, die mit einer Temperatur von über 38°C und Husten in die Praxis oder Klinik kommen, als Verdachtfälle der Neuen Grippe zu behandeln. “Bei Erwachsenen ist eine Temperatur von 38°C und Husten so selten, dass man ein solches Vorgehen begründen kann. Bei Kindern ist es aber durchaus normal, dass zehn oder mehr Patienten pro Tag diese Symptome aufweisen und in der Regel sind dafür ganz banale Erkältungen verantwortlich. Eine Behandlung mit Schutzkleidung, eine Isolierung und die Verdachtsmeldung stellen die Kinder- und Jugendärzte sowie Kliniken vor fast unlösbare Aufgaben. Die Flut von Meldungen trage zu einer größeren Verunsicherung der Bevölkerung bei und können von den Gesundheitsämtern gar nicht sorgfältig behandelt werden. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Kompetenz über die spezifischen Belange von Kinder im Gesundheitswesen nicht ausreichend ausgeprägt ist, so Liese.
Insbesondere die Problematik der Versorgung mit antiviralen Medikamenten scheint nach Ansicht Lieses ein europaweites Problem zu sein. Liese hat sich deshalb auch an die Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou gewandt, um diesbezüglich schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen.
Eine Empfehlung von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zur Impfung von Kindern gegen die Neue Grippe sorge zudem für weitere Verwirrung bei Eltern und für blankes Entsetzen in der Fachwelt. Ulla Schmidt hatte in einem Interview im Deutschlandfunk wörtlich gesagt: Ich persönlich würde die Impfung von Kindern weiter verschieben, weil die klinischen Studien an Kindern wahrscheinlich erst im Frühjahr nächsten Jahres fertig sind. So waren meine Informationen, das weiß ich nicht.
Liese kritisierte die Äußerung in scharfer Form: Ich bin schockiert, in welch unqualifizierter Form die noch amtierende Bundesgesundheitsministerin über ein so sensibles Thema redet. Auch nach intensiven Diskussionen mit Zulassungsbehören, dem Berufsverband der Kinderärzte und vielen Experten, so zum Beispiel von Universitätskliniken, habe ich niemanden finden können, der diese Äußerung in irgendeiner Form nachvollziehen kann. In der Fachwelt herrscht blankes Entsetzen. Selbstverständlich gibt es auch unter Experten Diskussionen darüber, ob die Impfung gegen die sogenannte Neue Grippe notwendig- und angesichts der Nebenwirkungen medizinisch vertretbar ist. Die Diskussion bezieht sich aber nicht speziell auf Kinder und insbesondere ist niemandem eine klinische Studie bekannt, die im Frühjahr fertig sein soll. Es scheint auch absurd, ausgerechnet dann zu impfen, wenn die Verbreitung der Grippe nach allen uns vorliegenden medizinischen Erkenntnissen wieder abflaut. Wenn wir mit einer gefährlichen Grippewelle durch H1N1 rechnen müssen, dann im Herbst und im Winter, aber wohl nicht im Frühjahr.
Die vorherrschende Empfehlung unter medizinischen Experten lautet daher, das Risiko einer Impfung und das Risiko einer möglichen Infektion sorgfältig abzuwägen und insbesondere solche Kinder zu impfen, die man auch gegen die saisonale Grippe impfen würde, das heißt zum Beispiel immungeschwächte Kinder. Auf jeden Fall sollte man den behandelnden Arzt und, falls erforderlich, auch zusätzliche Experten konsultieren. Die Äußerung ist ein weiteres Indiz dafür, dass Frau Schmidt in vielen Bereichen des Gesundheitswesens redet, wie ein Blinder von der Farbe. Es wird dringend Zeit, dass sie abgelöst wird, so Peter Liese.