Hamburg –
- Verbesserungen der Medizintechnik bietet hinreichende Bedingung für den Erfolg internetmedizinischer Versorgungsanlässe.
- Deckelung und Höhe der Vergütung würdigen nicht die Versorgungsrealität und orientieren sich nicht am Patientenwunsch.
- Beschlussfassung für Bewertung der Online-Videosprechstunde bietet Hinweis auf Digitale Phobie im deutschen Gesundheitswesen.
- Bewertung verhindert Investitionen bei motivierten Ärzten, die digitale Gesundheit in Deutschland gestalten wollen.
Mit ärgerlichem Unverständnis nimmt der Bundesverband Internetmedizin den Beschlussentwurf des Bewertungsausschusses zur Einführung der Videosprechstunde zur Kenntnis.
Die Videosprechstunde soll mit 137 Punkten bewertet werden und so zu einem Erlös von 14,43 Euro führen. Gleichzeitig soll ein Punktwertvolumen je Arztpraxis von 2393 Punkten im Quartal gebildet werden. Nach Ansicht des Bundesverbands Internetmedizin steht die Bewertung der Online-Videosprechstunde, die gegenüber der telefonischen Beratung lediglich um den Faktor 1,6 höher liegt, in keiner sinnvollen Relation zu der ärztlichen Leistung, die im Rahmen einer Videosprechstunde erbracht wird.
Heutige und künftige Möglichkeiten der Medizintechnik – insbesondere auf dem Gebiet der Sensorik – werden dazu führen, dass Untersuchungen, wie z.B. die Messung der Herz- und Lungenfunktion online unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt und befundet werden können. Bislang waren derartige Prozeduren nur in der konventionellen Sprechstunde möglich. In der jetzt angedachten Bewertung der Online-Videosprechstunde lässt sich nicht ablesen, dass diese hinreichende Entwicklung berücksichtigt wird.
Die absehbare Gleichstellung von konventioneller und digital unterstützter Sprechstunde muss in einer adäquat höheren Vergütung abgebildet werden.
Weiterhin bedeutet die Deckelung der Anzahl der Videosprechstunden, dass die Videosprechstunde lediglich 17,5 Mal im Quartal erbracht werden kann. Unabhängig von der Zahl der Ärzte in der Praxis. Diese Rationierung der Online-Videosprechstunden bedeutet rein rechnerisch, dass jährlich in Deutschland etwas mehr als 5 Millionen vergütete Videosprechstunden durchgeführt werden könnten. Angesichts von jährlich ca. 600 Millionen Arztkontakten scheint man im Bewertungsausschuss von einem Substitutionspotenzial von weniger als einem Prozent ausgegangen zu sein.
Anders ausgedrückt dürfte ein Patient jeden hundertsten Arztkontakt online durchführen. Ausgehend von durchschnittlich 9 Arztkontakten je Jahr, würde ein Patient statistisch gesehen ca. alle 11 Jahre die Möglichkeit einer Online-Videosprechstunde bekommen.
Gleichzeitig ist bekannt, dass jeder zweite Patient die Online-Videosprechstunde nutzen würde. Das ging bereits 2015 aus einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung hervor. Damit zeigt sich, dass der Beschlussentwurf sowohl an der Versorgungsrealität als auch maximal an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten vorbeigeht.
Die Chance, durch die breite Anwendung der Videosprechstunde solchen Patientinnen und Patienten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, eine adäquate Versorgung anzubieten, wird verpasst. Auch die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten mit Infektionskrankheiten online und somit ohne die Gefährdung der Infektionsübertragung im Wartezimmer zu behandeln, wird weitestgehend ignoriert.
„Die Beschlussfassung zeugt einmal mehr von der Digital-Phobie des Deutschen Gesundheitswesens“, so Dr. Markus Müschenich, Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin e.V.. „Die künstliche und unnötige Verknappung der Online-Sprechstunde erinnert an frühere Zeiten, als für Online-Shops Ladenschlusszeiten gefordert wurden, um digitale Prozess-Innovationen aktiv auszubremsen”, resümiert Müschenich.
- Der Bundesverband Internetmedizin e.V. fordert, dass die Vergütung der Online-Videosprechstunde angemessen erhöht wird und sich in der Tendenz den medizin-technischen Entwicklungen und dem Patientenwillen anschließt. Die Vergütung muss sich am konventionellen Arztbesuch orientieren. Schon heute kann die Online-Videosprechstunde diesen in erheblichem Umfang ergänzen und in der Zukunft in vielen Anwendungsfällen auch ersetzen.
- Die Deckelung der Online-Videosprechstunde ist aufzuheben. Stattdessen erwartet der Verband, der für mehr digitale Gesundheit eintritt, ein stärkeres Bewusstsein der Verantwortlichen. Der Bundesverband Internetmedizin e.V. fordert Anreize statt Indikationsstellungen für Online-Sprechstunden mit Restriktionen zu belegen. Allein der ärztlichen Einschätzung in Abstimmung mit den Patientinnen und Patienten sollte es obliegen, Online-Videosprechstunden einzusetzen. Das entspräche dem tatsächlichen Bedarf für Online-Videosprechstunden heute und in Zukunft.
Internetmedizin bezeichnet die interaktive Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen unter Nutzung des Internets und seiner Applikationen. (Vorberg/Müschenich 2013)