Dresden – Das Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen hat einen offenen Brief an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt gesendet. Darin kritisieren die Bündnispartner die aktuellen Äußerungen der Ministerin sowie deren Kurs in der Gesundheitspolitik. Der Brief im Wortlaut:
An Bundesministerium für Gesundheit Frau Bundesministerin Ulla Schmidt Friedrichstraße 108 10117 Berlin
Offener Brief Dresden, 11. Dezember 2006
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
die vier nationalen Protesttage und der Aktionstag “Patient in Not – diese Reform schadet allen” haben mit überwältigender Kraft gezeigt, dass die Heilberufe nicht bereit sind, die geplante Gesundheitsreform umzusetzen, weil sie die aktuellen Probleme verstärkt und in eine Staatsmedizin sowie zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung führt.
Der Gesetzentwurf ist ein fauler Kompromiss der großen Koalition zulasten der Patienten und der Heilberufe, um sich die jeweils beste Position für die anstehende Bundestagswahl zu sichern. In diesem Gesetzentwurf ist ein grundlegend systematischer Fehlansatz enthalten, der das bisherige paritätische System der Krankenversicherung aushebelt und den Patienten mit seinen Leiden allein lässt. Denn er, der Patient, durchschaut die geplante Reform nicht und muss aber am Ende höhere Krankenkassenbeiträge bei weniger Leistung bezahlen. Auch aus diesen Gründen ist es eine Beleidigung, wenn Sie behaupten, dass die Ärzte ihre Patienten in Geiselhaft nehmen.
Die große Koalition greift mit der Arroganz der Macht in die bewährten Strukturen ärztlich medizinischer Versorgung ein und gefährdet diese in den Praxen, Kliniken und im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Damit wird das Vertrauen der Patienten in die Medizin nachhaltig erschüttert, Verunsicherung greift um sich und die Beschäftigten im Gesundheitswesen sind zunehmend demotiviert.
Anstatt mehr Freiheit mit dem bisherigen Slogan “Vorfahrt für die Selbstverwaltung” heißt es nun der “Staat hat das Sagen”. Und so werden wir in Ostdeutschland nach einem anfänglich pluralistisch demokratischem Gesundheitssystem erneut Zeugen des Umbaus und Abbaus von den selbstverwalteten, föderalen Gesundheits- und Sozialstrukturen hin zu einer bürokratielastigen Staatsmedizin. Die weitere Einschränkung der Therapiefreiheit durch eine Zuteilungsmedizin ruft bei uns Ostdeutschen Ärzten Ablehnung, Frustration und so manches Déjà-vu Erlebnis hervor.
Mit den vorgelegten Maßnahmen wird die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens nicht ausgeglichen, Engpässe in der Versorgung und verdeckte Rationierung werden eher verschärft. Die geplanten Steuerzuschüsse kompensieren nicht die Streichung des Bundeszuschusses aus der Tabaksteuer!
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Ihr mehrmaliges Versprechen, die Krankenkassenbeiträge zu senken, haben Sie schon wiederholt gebrochen. Ihre Ankündigungen, das System wettbewerbsfähig zu machen, sind nie eingetreten und werden auch nicht eintreten, weil die Gesetze aus Ihrem Haus meist ohne die Fachleute und gegen deren konstruktiven Vorschläge erarbeitet werden.
Die medizinische Versorgung in Deutschland auf hohem Niveau ist nur möglich, weil es die Beschäftigten im Gesundheitswesen durch ihre altruistische Haltung stützen. Das trifft im besonderen Maße gerade auf Sachsen mit dem Problem des Ärztemangels zu. Diese Haltung wollen Sie zulasten der dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausnutzen, um Kosten zu senken.
Eine flächendeckende und wohnortnahe ambulante wie stationäre Versorgung der Patienten ist nicht mehr möglich, wenn das Gesetz unverändert in Kraft treten sollte. Durch die Atomisierung der Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten wird die Kontinuität der Akut-, Notfall- sowie der Regelversorgung gefährdet.
Das Hauptziel der Reform, dauerhaft sichere Finanzierungsstrukturen im Gesundheitswesen zu schaffen, wird verfehlt. Die Regierung verschärft dagegen die chronische Unterfinanzierung des Gesundheitswesens, weil Zusatzbelastungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch neue Quersubventionierungen zugunsten anderer Sozialversicherungsbereiche nicht ausgeglichen werden.
Durch Ihre Reform, Frau Bundesministerin, werden tausende Arbeitsplätze vernichtet und Patienten allein gelassen. Stoppen Sie diese Reform und drücken Sie die Reset-Taste. Vorschläge haben die Gesundheitsberufe schon mehrfach vorgelegt, wie zum Beispiel die Einrichtung eines Bundesgesundheitsrates zur Vorbereitung gesetzlicher Entscheidungen.
Ihre plumpe Polemik zu dem Aktionstag der Heilberufe, diesen nur wegen des “schnöden Mammons” initiiert zu haben, weisen die Ärzte mit aller Entschiedenheit zurück!
Wenn diese sogenannte Reform nicht für die Heilberufler sondern für die Patienten sein soll, dann fragen wir Sie, wie Sie dem Patienten erklären wollen, dass künftig in verstärktem Maße Zuzahlungen, beträchtliche Limitierungen, Therapieausschlüsse und Wartelisten auf ihn zukommen werden.
Die Heilberufe verstehen dieses Programm als einen weiteren Eingriff in die Freiberuflichkeit, die gekoppelt ist mit Bürokratie, die auch den Ärztemangel massiv verstärken wird!
Das Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen war und ist jederzeit zu konstruktiven Gesprächen bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze Sprecher Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen
Was ist das Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen? Als Reaktion der verfassten Ärzteschaft auf überstürzte Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Gesundheitsreform wurde am 14. Juli 1999 in Dresden ein Sächsisches Aktionsbündnis ärztlicher und nichtmedizinischer Berufe gegründet. Seit dem arbeiten kontinuierlich 35 Berufsverbände, Vereine, Körperschaften und Patientenvertreter in diesem Bündnis zusammen. Ziel des Bündnisses ist es, eine breite Öffentlichkeit von Patienten, Gesundheitsberufen und Politikern landesweit über Regierungspläne zur Gesundheitsreform zu informieren und zu sensibilisieren, wenn es sich um eine systemverändernde Strukturreform handelt, die das Versorgungs- und Betreuungsniveau in Deutschland gefährdet. Das Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen will weiterhin einen konstruktiven Dialog führen, um mit Sachverstand, Konzepten und Alternativen notwendige Reformen im Gesundheitswesen voranzubringen.
Die Bündnispartner Aktionsbündnis der niedergelassenen Fachärzte, Hausärzte und Psychotherapeuten Aktionsbündnis der Psychotherapeutenverbände in Sachsen Verband medizinischer Fachberufe e.V. – Landesverband Berlin/Brandenburg/Sachsen bpa Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. Deutscher Verband für Physiotherapie / Zentralverband der Physiotherapeuten Deutsches Rotes Kreuz Schwesternschaften Sachsen e.V. Freier Verband Deutscher Zahnärzte e.V. – Landesverband Sachsen Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände in Sachsen Gesellschaft ambulante Krankenpflege e.V. Hartmannbund – Landesverband Sachsen und Sachsen-Anhalt Kassenärztliche Vereinigung Sachsen Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte Sachsen e.V. – LAG Landesinnung für Orthopädietechnik Sachsen Landesinnungsverband Orthopädieschuhtechnik Sachsen Landesverband Hauskrankenpflege Sachsen e.V. Verband Physikalische Therapie e.V. Landeszahnärztekammer Sachsen Marburger Bund – Landesverband Sachsen NAV-Virchow-Bund ÖTV Gesundheitswesen Sächsische Krankenhausgesellschaft e.V. Landesapothekerkammer Sachsen Sächsische Landesärztekammer Sächsischer Apothekerverband e.V. Sächsischer Hausärzteverband e.V. im Deutschen Hausärzteverband e.V. Sächsischer Heilbäderverband e.V. Sächsischer Pflegerat VDB – Physiotherapieverband e.V. Berufs- und Wirtschaftsverband der Selbständigen in der Pysiotherapie – Landesverband Sachsen Verband der Ergotherapeuten, Landesverband Sachsen Verband der Krankenhausdirektoren e.V. Verband Psychologischer Psychotherapeuten im Berufsverband Deutscher Psychologen Zahntechnikerinnung Dresden-Leipzig Zahntechnikerinnung Westsachsen