Gegen Jahresende das nicht unerwartete Schneechaos und kurzer Blackout. Ganz-jährig hingegen wetterunabhängiges gesundheitspolitisches Chaos und Reformstillstand. Bund – Länder – Parteien – Zoff und Blockadehaltung, statt der einer – noch – führenden Industrienation mit kulturellem Hintergrund gebührenden und vernunftbasierten Streit- und Diskussionskultur. Mit reduzierten Sprechstunden in den Praxen, weniger verfügbaren Betten in den Kliniken und maximaler Unzufriedenheit aller als logische Folge eines qualitativen Fachkräftemangels in wichtigen Entscheidungsgremien.
Fast möchte man meinen, die angesagte Revolution im Gesundheitswesen sei schon verraucht, weil die Erfahrung lehrt, dass dann erst Probleme und Mangelversorgungen richtig losgehen, wie es derzeit fast der Regelfall ist. 2023 war und ist nicht einmal mehr die Basisversorgung vom verordneten Abwärtstrend verschont geblieben. Eine banale Schnittverletzung wird nicht mehr selbstverständlich vor Ort und zeitnah versorgt, sondern kann schon mal eine ähnliche Odyssee durch den Landkreis und seine Kliniken nach sich ziehen, wie sie nicht erst seit heute bei dringenden Notfällen üblich geworden ist. Es geht im Notfall lebensentscheidende wertvolle Zeit verloren, und im übrigen Versorgungsalltag jegliches Verständnis für jede weitere gesundheitspolitisch – ideologische Experimentierfreude.
Beherrschbare Notfälle dürfen nicht weiter durch lange Kliniksuchfahrten in einem Labyrinth aus Inkompetenz und Unwissen über konkret verfügbare Kapazitäten endgültig entgleisen. Medizinisch notwendige Haus- und Facharzttermine müssen ebenfalls bedarfsgerecht und ausreichend zur Verfügung stehen auch wie ihre leistungsgerechte und kostendeckende Vergütung. Dies zu gewährleisten ist die Kernaufgabe einer funktionalen Ordnungs- und Gesundheitspolitik. Und nicht, sich hämisch und polemisierend über Einkommen und Freizeitverhalten von Ärzten und ÄrztInnen auszulassen.
Nicht nur für alleinstehende und v.a. ältere Menschen ist der zur Realität gewordene Versorgungmangel der schlimmste anzunehmende gesellschafts- und sozialpolitische Fall schlechthin und Ausdruck einer deutlich verschlechterten Lebensqualität. Gleiches gilt seit einer gefühlten Ewigkeit für das alles andere als vorbildliche klinische Entlassungsmanagement, für das es sogar eine G-BA – Richtlinien (17.12.2015) gäbe. Ähnlich wie Meteoriten in Kratern einzuschlagen pflegen, fallen Entlassungstermine auf den Freitagnachmittag, garniert mit einer lückenhaften Kommunikation und einer immer noch bestehenden und bestens durch Lobbyisten bewachten stationär/ambulanten Sektorengrenze.
Keiner der jeweiligen Verhandlungsführer inner- und außerhalb der Selbstverwaltung traut dem anderen noch über den Behandlungspfad und meidet den Tag der immer wieder verschobenen Einigung zur gemeinsamen sektorenfreien Patientenversorgung. Parallelen zur Politik sind nicht zufällig, sondern unvermeidlich, da partei- bzw. berufspolitisch bedingte personelle Schnittstellen das Geschehen dominieren. Alles, was nur zusammen Sinn und Nutzen bei der Patientenversorgung ergibt, darf nach ihrer Doktrin nicht zusammenwachsen. Und wohin mit den vielen, die eigene Existenz sichernden Vorurteilen. So versteigen sich drei verantwortliche Nichtmediziner in der DKI-Studie zum ambulanten Operieren im Krankenhaus zu der dreisten Behauptung, Kliniken müssten die ambulant in Praxen operierten Patienten nachversorgen. Dass dies unter millionenfach ambulant durchgeführten Eingriffen und Narkosen in Ausnahmefällen stattfindet, ist wie im umgekehrten Fall möglich, aber nicht im Sinne und Verständnis des BAO und seiner Mitglieder und schon gar nicht die Regel.
Es wäre statt billiger DKI-Polemik angebrachter, leerstehende Betten – der Minister spricht von einem Drittel! – schon längst für kurzstationäre und ambulante Behandlungsfälle mit prolongierter Nachbetreuung zu Verfügung zu stellen. Auch Maximalversorger benötigen dringend periphere Partnerkliniken, wohin sie PatientInnen nach komplexen Behandlungen und Operationen zur Weiterversorgung verlegen können, um wieder freie Kapazitäten für schwierige Behandlungsfälle zu gewinnen. Diese patientenorientierte Kooperationsform funktioniert nicht, weil – oft noch von fachfremden Entscheidungsträger – nicht gewünscht. Medizinischer Fortschritt wird auf diese Weise immer wieder vom ordnungspolitischen Rückschritt regelrecht ausgebremst zum Schaden der betroffenen PatientInnen, aber auch des gesamten Gesundheitssystems. Dies leider bisher mit beachtlichem Erfolg.
Die vom BAO seit nahezu 30 Jahren eingeforderte sektorengleiche Vergütung für gleiche ambulant erbrachten operativ – anästhesiologischen Leistungen bei gleich hohen fachlichen Qualitätsstandards könnte ebenso lange schon Realität sein wie die damit einhergehenden positiven Auswirkungen auf das deutsche Gesundheitssystem und dessen Ressourcen. Nach zähem Ringen ist seit einem Jahr mit dem § 115f im SGB V offiziell die gesetzliche Basis dafür geschaffen – und passiert ist bisher wieder nichts. Wenn man von einem Last Minute – Referentenentwurf einmal absieht, der gemessen am verstrichenen Zeitkontingent die nötige gedankliche Reife, das erforderliche Problembewusstsein und das ehrliche Bemühen um faire und nachhaltige Rahmenbedingungen eindeutig vermissen lässt. Wer in der aktuell angespannten Situation politisch so fahrlässig handelt, hat fortgesetzt bewusstes Scheitern zum kategorischen Diminutiv seiner Gesundheits- und Gesellschaftspolitik erhoben und für 2024 auf dem Programmzettel der Ampelkoalition stehen.
Diese hat voraussichtlich bzw. bestenfalls noch insgesamt zwei Jahre vor sich. Da wird die Zeit immer knapper, verursachten Schaden zu kompensieren und weiteren zu unterlassen, so dass jeder Tag zählt! Und jeder nicht nur in Talkrunden untätig vergeudete Tag einem Bekenntnis gegen PatientInnen und Gesundheitsberufen gleichkommt. Medial großmündig angekündigte Krisensitzungen können ebenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, warum es erst dazu kommen musste und wer dafür die politische Hauptverantwortung trägt, ohne sich dazu öffentlich bekennen zu wollen.
Wer den im Gesetz stehenden und mit Vertrauensvorschuss verbundenen Begriff Ermächtigung mit beratungsresistenter Eigenmächtigkeit verwechselt, hat dieses Vertrauen verspielt und bedarf der engmaschigen Kontrolle durch das Parlament und die Zivilgesellschaft. Deren mehrheitlich erklärtes Ziel wird sein, dass sich dieser inakzeptable Ist – Zustand mit seinen die Würde und demokratischen Grundrechte von PatientInnen und Gesundheitsberufen verletzenden Sollbruchstellen alternativlos bereits ab Jahresbeginn 2024 ins Positive verändert.
Dr. Christian Deindl,
Präsident des BAO e.V.