Bethel – Anfang Januar 2019 wird die neue Kinder- und Jugendpsychiatrie, kurz KJP des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) eröffnet. Damit wird endlich die Lücke im Behandlungsangebot für psychisch kranke Kinder und Jugendliche in Bielefeld geschlossen. Der Chefarzt für die stationäre Einrichtung mit Tagesklinik ist bereits gefunden: Prof. Dr. Michael Siniatchkin.
Die Bauarbeiten im Haus Abendstern, einem ehemaligen Altensitz der Diakonissen, laufen auf Hochtouren. Helle großzügige Räumlichkeiten, viel Glas und gute Aussichten auf einen Spielpark, der im Frühjahr angelegt wird, geben einen kleinen Eindruck davon, wie es hier im Januar aussehen wird. Die Umbaukosten für die neue Klinik liegen bei 4,2 Millionen Euro. Anfang 2017 hat das EvKB den Zuschlag für die Kinder- und Jugendpsychiatrie vom Land Nordrhein-Westfalen erhalten. Das Klinikum wurde damit beauftragt, eine wohnortnahe kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung für die Stadt Bielefeld sicherzustellen. Bislang gab es kein stationäres Angebot für psychisch kranke Kinder und Jugendliche in Bielefeld. „Mit diesem Angebot wird endlich eine Lücke in der Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen geschlossen.“, erklärt Dr. Rainer Norden, Vorsitzender Geschäftsführer des EvKB und Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwingschen Stiftungen.
Ängste, Erschöpfung, Depression oder Kopfschmerzen und Magendrücken: Immer mehr Schülerinnen und Schüler leiden an psychischen Erkrankungen und klagen über Beschwerden, die keine organischen Ursachen haben. Eine aktuelle Datenerhebung (Oktober 2018) der Kaufmännischen Krankenkasse belegt, dass bundesweit bis zu 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen sein können. Es ist keine einfache Zeit für Kinder und Jugendliche, die immer häufiger auch stationär Hilfe brauchen. „Unser Ziel ist es, dass die jungen Patienten aus unserer Klinik heraus ohne große Reibungsverluste wieder in ihrer gewohnten Umgebung leben können. Dafür arbeiten wir eng mit den niedergelassenen Ärzten, Ämtern, Schulen und der Jugendhilfe zusammen, um eine integrative Behandlung anzubieten“, erklärt der neue Chefarzt der Klinik, Prof. Dr. Michael Siniatchkin. Der habilitierte Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einer W3-Professur war zuletzt Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie und Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulanz am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Der 47-Jährige arbeitet in einer idealen Kombination aus Praxis und Forschung.
Anfang Januar 2019 wird er mit seinem Team aus Ärzten, Pflegekräften, Therapeuten sowie Sozialarbeitern die Kinder- und Jugendpsychiatrie eröffnen. Rund 70 Mitarbeitende werden in der Klinik beschäftigt sein, in der schwerpunktmäßig Kinder und Jugendliche aus der Stadt Bielefeld aufgenommen werden, die unter Krankheitsbildern wie Ängsten, Depressionen, sozialen Schwierigkeiten, Autismus, Aufmerksamkeitsstörungen, Substanzmissbrauch sowie Psychosen, Ticks und Zwängen leiden.
Im Gebäude am Remterweg 13 a, das aus den 80er Jahren stammt, werden zukünftig ein stationärer Bereich mit 27 Betten und eine Tagesklinik mit 16 Plätzen untergebracht sein. Kinder von circa 5 Jahren bis hin zu Jugendlichen bis 18 Jahren werden hier behandelt. Die Stationen sind Altersklassen zugeordnet. „Ideal ist die Verzahnung mit dem Kinderzentrum Bethel, zu dem die neue Klinik organisatorisch gehören wird, und die Zusammenarbeit mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie für den Erwachsenenbereich“, erklärt Dr. Maren Thäter, Geschäftsführerin des EvKB, die das Projekt ‚Kinder- und Jugendpsychiatrie‘ von Beginn an geleitet hat.
Der neue Chefarzt wird direkt von Kiel nach Bethel ziehen. Prof. Dr. Michael Siniatchkin absolvierte sein Studium von 1988 bis 1995 an den Universitäten Saratow und Moskau in Russland. Bereits während seines Studiums gab es erste Kontakte mit der Universität in Kiel, an der Siniatchkin ein Jahr lang (1993-1994) im Bereich der Verhaltensneurobiologie forschte. Seinen Doktortitel der Medizin erhielt er 1997 für die Arbeit über die Pathophysiologie der Migräne und Panikstörung. Für seine Habilitation forschte er zur Entwicklungsneurobiologie; 2010 erhielt Michael Siniatchkin die Lehrbefugnis, zunächst als Privatdozent. In demselben Jahr wurde er zum Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und zum W2-Professor der Universität Marburg berufen. Ein Jahr später übernahm er eine W2-Professur an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität in Frankfurt, die mit der Stellung des Leitenden Oberarztes und Stellvertretenden Direktors der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters der Universitätsklinik einherging. 2014 kehrte er als W3-Professor nach Kiel zurück, von dort aus geht es nun nach Bielefeld als Chefarzt. Siniatchkin: „Ich möchte zurück in die Klinik, in die stationäre Psychiatrie. Der Aufbau der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ermöglicht es mir, klinische und psychosoziale Versorgung sowie Forschung miteinander zu vereinen. Für diese Vernetzung ist Bethel bundesweit bekannt.“
Der 47-jährige Chefarzt, der verheiratet ist und mit seiner Ehefrau Anna zwei erwachsene Kinder hat, bringt ein spannendes Forschungsprojekt mit dem Titel STIPED (STImulation in PEDiatrics) mit nach Bielefeld. Siniatchkin entwickelt eine neuartige nicht-invasive Behandlungsmethode für Kinder mit ADHS oder Autismus. “Das Gerät, das wir entwickeln, soll sich in den Alltag von Kindern und Jugendlichen einfach integrieren lassen. Bei dieser Methode werden Hirnareale von außen stimuliert, um ihre Funktion zu verbessern.” Das Forschungsprojekt ist 2017 gestartet und auf fünf Jahre angelegt. Die Europäische Kommission fördert das Projekt im Programm “Horizon 2020” mit 6 Millionen Euro.
Das Behandlungsspektrum der neuen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie auf einem Blick:
· Ängste, Phobien
· Soziale Schwierigkeiten (einschl. Mutismus)
· Emotionale Störungen
· Aufmerksamkeitsstörungen, ADS, ADHS
· Aggressives, dissoziales und oppositionelles Verhalten
· Tiefgreifende Entwicklungsstörungen / Autismus
· Belastungsstörungen, Traumafolgestörungen
· Bindungsstörungen
· Depressivität
· Einkoten und Einnässen
· Essstörungen
· Psychosomatische Störungen (zum Beispiel Schmerzen)
· Lern-, Leistungs-, Teilleistungsstörungen
· Schulvermeidung oder -angst
· Selbstverletzendes Verhalten
· Tic-Störungen
· Zwänge
· Schlafstörungen
· Erkrankungen, die mit Denkstörungen oder Realitätsverkennung einhergehen („Psychose“, Schizophrenie)
· Substanzmissbrauch und Sucht (einschließlich Internet- und Computersucht)