Mannheim – 15.10.2018
Jahrestagung der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e. V. vom 17. bis 20. Oktober 2018 in Mannheim
Menschen mit Schmerzen werden in Deutschland nicht ausreichend versorgt. Das belegt die jedes Jahr steigende Zahl der Patienten mit chronischen Schmerzen. Da in der Schmerzmedizin vorwiegend kommunikative und medikamentöse Wirkfaktoren eine Rolle spielen, sehen Experten in der Telemedizin und in Apps ein großes Potential, um die schmerztherapeutische Versorgung zu verbessern. Allerdings brauche es nicht nur mehr Forschungsprojekte, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Gesundheits- und Medizin-Apps zu bewerten, sondern auch Standards zum Datenschutz und zur Datensouveränität sowie zur Steuerung von Risiken dieser neuen Anwendungen, fordern Schmerzexperten im Vorfeld des Deutschen Schmerzkongresses 2018 vom 17. bis 20. Oktober in Mannheim.
Die Gründe für die insgesamt unzureichende schmerztherapeutische Versorgung in Deutschland sind vielfältig. Manche Menschen leben weit entfernt von spezialisierten Zentren oder Praxen, sie sind nicht ausreichend mobil oder haben keine Informationen darüber, wie und bei wem sie eine für sie geeignete Schmerzbehandlung finden können. Dadurch sind sie von einer adäquaten Versorgung abgeschnitten. „Wer nicht frühzeitig und angemessen versorgt wird, hat ein höheres Risiko, dass seine Schmerzen chronisch werden. Häufig stellen sich emotionale Störungen ein, die Lebensqualität sinkt, Arbeitsanforderungen können nicht mehr bewältigt werden, es drohen Erwerbslosigkeit oder Invalidität“, sagt Professor Dr. med. Carla Nau, Kongresspräsidentin des Deutschen Schmerzkongresses 2018 und Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Patienten, die unzureichend therapiert werden, beanspruchen später das Gesundheitssystem erheblich häufiger und verursachen hohe Behandlungskosten. „Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist es mittlerweile auch gesundheitspolitisches Ziel, die schmerztherapeutische Versorgung weiterzuentwickeln, auszubauen und zu differenzieren“, erklärt die Kongresspräsidentin.
Telemedizin und Apps haben besonders in der Schmerztherapie ein großes Potenzial. Sie bieten die Chance, therapeutische Beratung und Behandlung über die Grenzen spezialisierter Schmerzzentren hinweg auszuweiten. „Die Schmerztherapie nutzt vorwiegend kommunikative und medikamentöse Wirkfaktoren. Einige Projekte belegen, dass sich Telemedizin, eHealth und Apps besonders in der Schmerztherapie gut einsetzen lassen“, sagt Nau. Die Expertin verweist auf einige Pain-Apps mit sogenannten Store-and-Forward-Applikationen, mit denen der Patient und/oder sein Arzt Daten elektronisch speichern und zu einem späteren Zeitpunkt sichten und auswerten kann. Dazu gehören die Erfassung der Schmerzstärke und -lokalisation in einem Schmerztagebuch, die Auswertungen von Schmerztests, das Erlernen von Selbstmanagementstrategien und das Teilen von Informationen mit Dritten, beispielsweise mit dem behandelnden Arzt oder anderen Betroffenen.
Einige Untersuchungen zeigten, dass die Zufriedenheit der Patienten bei denjenigen höher war, die die App häufiger nutzten. „Allerdings hatte die Häufigkeit der Anwendung keinen Effekt auf die Stärke der Schmerzen oder die Aktivität des Patienten“, räumt Nau ein. Store-and-Forward-Methoden sind in der Schmerzmedizin weit verbreitet, leicht zugänglich und kostengünstig. „Über die Qualität und Wirksamkeit dieser Smartphone-Apps wissen wir leider noch nicht genug. Es fehlen regulatorische Vorgaben und eine wissenschaftlich fundierte Auswertung“, gibt Privatdozent Dr. med. Tim Jürgens, Kongresspräsident des Deutschen Schmerzkongresses 2018 und Ärztlicher Leiter des Kopfschmerzzentrums Nord-Ost, Universitätsmedizin Rostock, zu bedenken. „E-Health-Anwendungen, Telemedizin und Apps müssen eine wissenschaftliche Evidenz haben, bevor sie ‚offiziell‘ in den Behandlungsalltag eingehen können“, betont Jürgens. Erfüllen sie diese Voraussetzung, könnten sie ergänzend zur konventionellen schmerztherapeutischen Behandlung einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
Abhilfe schaffen möglicherweise die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geförderten Forschungsprojekte. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. begleitet derzeit zwei solche eHealth-Projekte. Mithilfe von SMARTGEM – Smartphone-gestützte Migränetherapie können Patienten ihre Kopfschmerzen dokumentieren und mögliche auslösende Faktoren identifizieren. Ein integriertes Therapiemodul unterstützt sie bei Entspannungsübungen oder Ausdauersport und schult sie in Bezug auf individuelle verhaltenstherapeutische Ansätze. Die Kommunikation zwischen Patient und Arzt wird zudem durch ärztlich moderierte Foren und Expertenchats intensiviert. MOMO (Modules on migraine onset, früher Child*M*FIRST) richtet sich an Kinder mit Migräne. Diese multimodale, interdisziplinäre Frühintervention hat das Ziel, die Lebensqualität und Langzeitprognose für diese Kinder zu verbessern. Hierzu tragen als Kernelemente eine standardisierte Migränediagnostik durch den Kinder- und Jugendarzt sowie eine interdisziplinäre Frühtherapie bei. Beide Versorgungsformen werden mittels einer kontrollierten Studie untersucht.
Thomas Isenberg, Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V., empfiehlt den Patienten, Schmerz-Apps im Vorfeld genau zu prüfen. Dabei kann es hilfreich sein, nachzusehen, wer der Herausgeber ist, ob es ein Siegel oder ein Zertifikat gibt, wie die App finanziert wird (Sponsoren/Fördergelder) und wie mit dem Datenschutz umgegangen wird.
Weitere Informationen:
SMARTGEM – Smartphone-gestützte Migränetherapie
Momo – Entwicklungsbezogene, multimodale, interdisziplinäre Frühintervention im Rahmen eines strukturierten Therapiekonzeptes für Kinder mit Migräne – Modules on migraine onset.
Die Schmerz-App der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.: Umfassende, von Schmerzexperten zusammengestellte Informationen zu Schmerz, Schmerzerkrankungen und Schmerztherapien – inklusive Schmerzfragebogen und Schmerztagebuch:
Der Migräne-Radar der Deutschen Kopfschmerz- und Migränegesellschaft (DMKG) beinhaltet einen Kopfschmerz-Kalender und gibt registrierten Nutzern eine individuelle Auswertung ihrer Daten.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit hat eine Checkliste für die Nutzung von Gesundheits-Apps entwickelt.
Literatur:
Nau, C.: Telemedizin: Chancen in der Schmerztherapie. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52(02): 118-126. DOI: 10.1055/s-0042-108714.
Terminhinweise:
Pressekonferenz
im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2018 (18. bis 20. Oktober) der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.
Termin: Donnerstag, 18. Oktober 2018, 11:00 bis 12:00 Uhr
Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, Raum „Christian Cannabich“
Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim
Programm der Pressekonferenz
SY23 – eHealth und mHealth in der Schmerzmedizin – Status quo und Ausblick
Termin: Freitag, 19. Oktober 2018, 17:30 bis 19:00 Uhr
Vorsitz: C. Nau (Lübeck), M. Papenhoff (Duisburg)
Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, „Gustav Mahler 1“
Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim
PC02 (Pro und Contra) – Apps in der Kopfschmerztherapie – Ist das smart? / CRPS – streicheln oder treten? – Mobilisation in der Therapie des CRPS
Termin: Freitag, 19. Oktober 2018, 17:30 bis 19:00 Uhr
Vorsitz: L. Neeb (Berlin), J. Gierthmühlen (Kiel)
Ort: Congress Center Rosengarten Mannheim, „Musensaal“
Anschrift: Rosengartenplatz 2, 68161 Mannheim
Öffentlicher PATIENTENTAG 2018
Organisation: T. Sprenger & C. Geber
Termin: Samstag, 20. Oktober 2018, 11:00 bis 14:00 Uhr
Ort: Dorint Kongresshotel, Raum „Ludwig van Beethoven“
Anschrift: Friedrichsring 6, 68161 Mannheim
Weitere Informationen im Kongressprogramm
Medienpartnerschaft:
Die Ärzteplattform esanum ist auch 2018 wieder Medienpartner des Deutschen Schmerzkongresses. Weitere Infos hier.
Zum Deutschen Schmerzkongress:
Der jährlich stattfindende Deutsche Schmerzkongress reflektiert die enorme Bedeutung des Symptoms Schmerz in sämtlichen Bereichen der Medizin und das stetige Bemühen der Schmerzexperten, den Schmerz wirksam(er) zu bekämpfen. Unter dem Kongress-Motto FIT FÜR DIE ZUKUNFT werden aktuelle Themen der Medizin wie Telemedizin und eHealth sowie schmerzmedizin-spezifische Fragestellungen wie Qualität der stationären Akutschmerztherapie, Schmerzregister, Migräne-Prophylaxe und neue Schmerzkonzepte behandelt.
Mit etwa 40 wissenschaftlichen Symposien, Workshops und Dutzenden Kursen und Seminaren deckt der Schmerzkongress das gesamte Themenspektrum der Schmerzdiagnostik und -therapie ab. Rund 2000 Teilnehmer – Mediziner verschiedener Fachgebiete, Psychologen, Pflegende, Physiotherapeuten, Apotheker und andere – werden erwartet.