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Migräne und Clusterkopfschmerz: Patienten könnten schneller vom therapeutischen Fortschritt profitieren – Europäischer Kopfschmerztag am 12. September

Presseinformation

Frankfurt am Main – Migräne und Clusterkopfschmerz werden häufig unterdiagnostiziert, weil viele Patienten gar nicht erst einen Facharzt aufsuchen oder keine korrekte Diagnose erhalten. Anlässlich des Deutschen Kopfschmerztags am 5. September und des Europäischen Kopfschmerztags am 12. September wies PD Dr. Tim Jürgens, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), darauf hin, dass immer noch ein hoher Optimierungsbedarf in der Versorgung von Menschen mit Kopfschmerzen besteht. Unter den Kopfschmerzerkrankungen zeigt der Clusterkopfschmerz die heftigsten Kopfschmerzattacken; teilweise werden sie aber mit Migräne oder mit anderen Kopfschmerzarten verwechselt. Experten der DMKG plädieren dafür, bei Verdacht auf Clusterkopfschmerzen bei einem Neurologen vorstellig zu werden und das Kopfschmerzprofil (zeitliches Auftreten, Intensität und Begleiterscheinungen) genau zu dokumentieren, weil es für eine korrekte Diagnose hilfreich ist. „Migräne und Clusterkopfschmerzen sind mit bewährten und neuen Therapieoptionen gut behandelbar. Allerdings sind die Verschreibungsmöglichkeiten von neuen Optionen noch nicht zufriedenstellend. Patienten könnten schneller von therapeutischen Fortschritten profitieren“, so die Einschätzung von Jürgens, Chefarzt an der Klinik für Neurologie im KMG Klinikum Güstrow.

Neue Optionen zur Akuttherapie der Migräne: Lasmiditan und Rimegepant

„CGRP ist einer der wichtigsten Neurotransmitter bei Migräne, den auch aktuelle Medikamentenentwicklungen adressieren“, erläuterte Jürgens. In der Akuttherapie von Kopfschmerzen haben sich CGRP-basierte Therapien (CGRP, Calcitonin Gene-Related Peptide) wie Triptane schon lange bewährt. Neue CGRP-basierte Therapien wie Ditane (Lasmiditan, EMA-Zulassung: 08/2022) und Gepante wie Rimegepant (EMA-Zulassung: 04/2022) ergänzen das Therapiespektrum. Darunter ist Rimegepant nicht nur das erste zugelassene Gepant, sondern auch die erste Substanz, die sowohl zur Akuttherapie als auch zur Prophylaxe eingesetzt werden kann, betonte Jürgens.

Monoklonale Antikörper wirken bei Migräne besonders schnell

Vom Wirkmechanismus her blockieren Ditane, etwa Lasmiditan, wie die etablierten Triptane präsynaptisch die Ausschüttung von CGRP, wohingegen Gepante am CGRP-Rezeptor binden. In der Klasse der gegen CGRP gerichteten monoklonalen Antikörper (Erenumab, Galcanezumab, Fremanezumab) ist seit Neuestem Eptinezumab (EMA-Zulassung: 01/2022) hinzugekommen. „CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe zum Beispiel bei Erwachsenen ab 4 Migränetagen pro Monat sind eine willkommene Alternative mit besonders schneller Wirkung und günstigem Nebenwirkungsprofil. Allerdings dürfen sie nur verschrieben werden, wenn sämtliche Therapiemöglichkeiten zuvor erfolglos ausgeschöpft wurden“, sagte Jürgens. Hier wäre zum Beispiel eine breitere Verordnungsfähigkeit im Sinne der Patienten wünschenswert, auch weil monoklonale Antikörper den konventionellen Therapien hinsichtlich Verträglichkeit und Wirksamkeit überlegen scheinen, argumentierte Jürgens.1

Mögliche Vorteile der Gepante bei Migräne

Eine orale Therapie mit Rimegepant ist in der Akutphase der episodischen Migräne (EM) zwar nicht so effektiv wie Triptane, ein großes Plus ist laut Jürgens jedoch, dass einige Gepante prophylaktisch angewendet werden können. Aktuelle Erkenntnisse am Mausmodell zeigen keine Gefahr für die Entwicklung eines Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerzes (Medication Overuse Headache, MOH).2 „Anders als für Triptane wie Sumatriptan bekannt, fanden sich im Modell keine Hinweise auf die Erzeugung einer zentralen Sensitivierung durch die häufige Einnahme von Gepanten, die die Entstehung eines MOH begünstigen würden“, erläuterte Jürgens.3

Ditane weisen eine höhere Wirksamkeit als Gepante auf, ähnlich hoch wie Triptane. Gerade für Kopfschmerzpatienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren ist Lasmiditan eine weitere Option. So wurden in zulassungsrelevanten Studien (SAMURAI und SPARTAN) teilweise auch Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren (KHK, Arrhythmien und unkontrollierter Hypertonie) eingeschlossen (SAMURAI). Gepoolte Sicherheitsdaten aus beiden Studien zeigten keine erhöhte Rate an ischämischen Komplikationen wie Herzinfarkt, Myokardinfarkt, TIA, Schlaganfall oder Angina pectoris.4

Auch für die Gepante ergaben sich Hinweise auf eine hohe kardiovaskuläre Sicherheit5. Ein weiterer Vorteil von Lasmiditan und auch der Gepante ist die Wirksamkeit auch bei Patienten, die bislang nicht auf Triptane ansprachen.6

Clusterkopfschmerz – selten, aber stark belastend für die Patienten

Der Clusterkopfschmerz tritt mit einer Prävalenz von 0,1 % (ca. 80.000 Menschen in Deutschland) zwar seltener auf als Migräne, ist aber aufgrund der immensen Krankheitslast und Beeinträchtigungen extrem relevant: „Die episodische Verlaufsform ist häufiger als die chronische. Patienten beschreiben die einseitigen Schmerzen an Auge, Stirn oder Schläfe häufig so, als ob ihnen ein heißes Eisen in den Schädel gestochen wird“, berichtete Dr. Katharina Kamm, Ärztin an der neurologischen Klinik und Poliklinik der LMU München. Begleitend kommt es auf der betroffenen Seite zum Tränen und/oder einer Rötung des Auges, Schwellung oder Herabhängen des Augenlids, einer verengten Pupille, laufender oder verstopfter Nase. Darüber hinaus spüren Patienten, anders als bei Migräne, einen ausgeprägten Bewegungsdrang bzw. Unruhe, hob Kamm hervor.

Neuer Fragebogen unterstützt Anamnese bei Clusterkopfschmerz

Um die Auswirkungen von Clusterkopfschmerz in der neurologischen Sprechstunde besser einzuschätzen, entwickelte Kamm zusammen mit Kollegen den Fragebogen CHIQ („Cluster Headache Impact Questionnaire“) mit 8 Fragen, um aktuelle Beeinträchtigungen durch die Erkrankung in der Anamnese effektiv herauszufiltern.7 Der CHIQ-Fragebogen wurde an 254 Patienten mit chronischem und episodischem Clusterkopfschmerz getestet und validiert. Er erwies sich als zuverlässiges und einfach anwendbares Werkzeug zur Erhebung der Krankheitsbeeinträchtigung in der klinischen Routine und Forschung, erläuterte Kamm.7

CGRP sei das relevanteste Peptid auch bei Clusterkopfschmerzen, so reduziere der CGRP-gerichtete Antikörper Galcanezumab (s.c. 1x/Monat, prophylaktisch) signifikant die Häufigkeit von Clusterkopfschmerz-Attacken bei der episodischen, nicht jedoch bei der chronischen Verlaufsform, so Kamm.8,9 Aktuelle Fallberichte deuten auf eine Wirksamkeit von CGRP-(Rezeptor-) Antikörpern hin, die derzeit erneut zum Beispiel mit Erenumab (s.c.) bei chronischem Clusterkopfschmerz untersucht werden.

Kopfschmerzregister unterstützen

Kamm wirbt dafür, das deutschlandweite Kopfschmerzregister der DMKG (www.kopfschmerzregister.de) auch zum Thema Clusterkopfschmerz aktiv zu unterstützen, um praxisrelevante Erkenntnisse hinsichtlich Epidemiologie, Attackenfrequenz und -dauer sowie Wirksamkeit und Sicherheit von Akutmedikation und prophylaktischer Therapie zu gewinnen.

Quellen

1 Reuter U, Ehrlich M, Gendolla A, et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia. 2022;42(2):108-118. doi:10.1177/03331024211053571

2 Croop R, Goadsby PJ, Stock DA, et al. Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet for the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2019;394(10200):737-745. doi:10.1016/S0140-6736(19)31606-X

3 Navratilova E, Behravesh S, Oyarzo J, Dodick DW, Banerjee P, Porreca F. Ubrogepant does not induce latent sensitization in a preclinical model of medication overuse headache. Cephalalgia. 2020;40(9):892-902. doi:10.1177/0333102420938652

4 Krege JH, Rizzoli PB, Liffick E, et al. Safety findings from Phase 3 lasmiditan studies for acute treatment of migraine: Results from SAMURAI and SPARTAN [published correction appears in Cephalalgia. 2021 Aug;41(9):1035]. Cephalalgia. 2019;39(8):957-966. doi:10.1177/0333102419855080

5 Hutchinson S, Silberstein SD, Blumenfeld AM, Lipton RB, Lu K, Yu SY, Severt L. Safety and efficacy of ubrogepant in participants with major cardiovascular risk factors in two single-attack phase 3 randomized trials: ACHIEVE I and II. Cephalalgia. 2021; 41(9):979-990. doi: 10.1177/03331024211000311

6 Joyner KR, Morgan KW. Novel Therapies in Acute Migraine Management: Small-Molecule Calcitonin Gene-Receptor Antagonists and Serotonin 1F Receptor Agonist. Ann Pharmacother. 2021; 55(6):745-759. doi: 10.1177/1060028020963574

7 Kamm K, Straube A, Ruscheweyh R. Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ) – a short measure of cluster headache related disability. J Headache Pain. 2022;23(1):37. Published 2022 Mar 18. doi:10.1186/s10194-022-01406-y

8 Goadsby PJ, Dodick DW, Leone M, et al. Trial of Galcanezumab in Prevention of Episodic Cluster Headache. N Engl J Med. 2019;381(2):132-141. doi:10.1056/NEJMoa1813440

9 Dodick DW, Goadsby PJ, Lucas C, et al. Phase 3 randomized, placebo-controlled study of galcanezumab in patients with chronic cluster headache: Results from 3-month double-blind treatment. Cephalalgia. 2020;40(9):935-948. doi:10.1177/0333102420905321

Zur besseren Lesbarkeit wurde teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.

Die Aufzeichnung der Pressekonferenz finden Sie hier: Online-Pressekonferenz

Terminhinweis
Online-Patientenseminar zum Europäischen Kopfschmerztag
Die DMKG veranstaltet am Montag, 12. September 2022, um 18 Uhr ein Patientenseminar in Kooperation mit der MigräneLiga Deutschland e. V. und dem Bundesverband der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppen (CSG) e. V. Mehr dazu hier.

Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG, www.dmkg.de) ist seit 1979 die interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kopf- und Gesichtsschmerzen, in der Ärzt:innen, Psycholog:innen, Physiotherapeut:innen, Pharmakolog:innen und Apotheker:innen organisiert sind. Die DMKG setzt sich für die Verbesserung der Therapie der vielen Millionen Patient:innen in Deutschland mit akuten und chronischen Kopfschmerzen ein. Die Fachgesellschaft fördert die Forschung und organisiert Fortbildungen für medizinische Fachberufe sowie einmal jährlich gemeinsam mit der Deutschen Schmerzgesellschaft den Deutschen Schmerzkongress.

Mit der Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen« will die DMKG die Kopfschmerzversorgung verbessern. Im Fokus stehen Migräne, Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Clusterkopfschmerz. Das Angebot richtet sich an alle, die in der Versorgung von Kopfschmerzpatient:innen tätig sind: www.attacke-kopfschmerzen.de. Die Initiative wird finanziell unterstützt von den Unternehmen AbbVie, Lilly, Lundbeck, Novartis und Teva. Alle fachlichen Inhalte sind von Expertinnen und Experten aus den Reihen der unabhängigen DMKG ehrenamtlich verfasst und nicht von Werbebotschaften beeinflusst.