Statement von SBK-Vorständin Dr. Gertrud Demmler zum Vorschlag der Koalitionäre, ein Primärarztsystem einzuführen.
Morgen wird über den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD entschieden. Ein Vorschlag darin lautet, ein Primärarztsystem einzuführen: GKV-Versicherte sollen im Krankheitsfall zunächst in ihre Hausarztpraxis gehen, in der eine Ersteinschätzung stattfindet. Anschließend sollen sie bei Bedarf an die Facharztpraxen überwiesen werden. Zudem sollen Möglichkeiten geschaffen werden, die Ersteinschätzung auch digital oder telemedizinisch durchzuführen. Dieser Vorschlag ist zu kurz gedacht, findet Dr. Gertrud Demmler, Vorständin der SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, in ihrem aktuellen Statement.
Auch die Ressource der Hausärzte und Hausärztinnen ist ein knappes Gut. Statt nur eine Arztgruppe als Einstieg in die Versorgung zu etablieren, sollten wir auf ein Primärversorgungssystem setzen. Darin arbeiten hausärztliche und fachärztliche Praxen, nichtärztliches Personal und digitale Tools zusammen. Sie haben die wichtige Aufgabe, die Versorgung zu organisieren und zunächst zu klären, ob ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt überhaupt nötig ist.
Welche Lösungsansätze sind erfolgsversprechend?
- Digitale Ersteinschätzung verpflichtend machen: Einen sinnvollen Ansatz liefert das Koalitionspapier: Es soll die Möglichkeit einer digitalen Ersteinschätzung geschaffen werden. Das ist gut. Und geht trotzdem nicht weit genug. Aus meiner Sicht braucht es eine Verpflichtung dazu. Um diese umsetzen zu können, benötigen Patientinnen und Patienten die Wahl zwischen verschiedenen Kanälen – von App bis zur (Video-)Telefonie. Im weiteren Verlauf einer Behandlung müssen analoge und digitale Methoden sinnvoll ineinandergreifen.
- Medizinischem Personal mehr Kompetenzen geben: Was nicht im Papier steht, aber dringend notwendig ist: Wir müssen medizinisches Fachpersonal viel stärker in den Versorgungsprozess einbinden. Eine Ersteinschätzung zum Beispiel muss nicht immer von approbiertem Personal vorgenommen werden. Eine Umfrage des GKV-Spitzenverbandes zeigte jüngst, dass die Versicherten diesem durchaus positiv gegenüberstehen.
- Gesundheitskompetenz stärken: Und was mir nicht zuletzt wichtig ist, ist die Gesundheitskompetenz der Menschen zu steigern. Ihnen – ganz unabhängig von der Ersteinschätzung – die Entscheidung zu erleichtern, wann ein Arztbesuch überhaupt nötig ist und wann nicht.
Im Ausland längst Standard: Digitale Ersteinschätzung und mehr Verantwortung für nichtärztliches Personal
Ein Blick über den Tellerrand zeigt übrigens, dass diese Vorgehensweise woanders schon gang und gäbe ist.
In Dänemark beispielsweise können Konsultationen über ein Internetformular und anschließendes Telefonat durchgeführt werden. Dies wird genauso wie einfache medizinische Tätigkeiten an „Arztsekretäre“ delegiert und damit Ärzte entlastet.
In den Niederlanden wird ein telefonisches Triage-Tool genutzt, um die Dringlichkeit der Anliegen vor dem Hausarztbesuch zu klären. Beratungen, etwa zum Lebensstil, werden auch hier an medizinisch ausgebildetes Personal weitergegeben.
In Finnland übernehmen speziell ausgebildete „Nurse Practitioner“ oder „Physician Assistants“ eine erste Triage der Patient*innen und können auch manche Medikamente selbstständig verschreiben. Telemedizinische Angebote werden für die Überbrückung der großen Distanzen genutzt.
Wir brauchen kein Primärarztsystem, sondern ein Primärversorgungssystem
Das Primärarztsystem muss zu einem hybriden Primärversorgungssystem weiterentwickelt werden. In diesem wirken digitale Tools, nichtärztliches Personal und Ärztinnen und Ärzte optimal zusammen. Dann haben wir eine realistische Chance, den Zugang zu Versorgung wieder in Bahnen zu lenken, in denen Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. In denen Wartezeiten auf Termine auf ein Normalmaß sinken. Und in denen die Zeit in den Arztpraxen vor allem für die richtigen und wichtigen Dinge investiert wird.
Über die SBK:
Die SBK Siemens-Betriebskrankenkasse ist die größte Betriebskrankenkasse Deutschlands und gehört zu den 20 größten gesetzlichen Krankenkassen. Als geöffnete, bundesweit tätige Krankenkasse versichert sie mehr als eine Million Menschen und betreut über 100.000 Firmenkunden in Deutschland – mit rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 86 Geschäftsstellen.
Seit über 100 Jahren setzt sich die SBK persönlich und engagiert für die Interessen der Versicherten ein. Sie positioniert sich als Vorreiterin für einen echten Qualitätswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung. Voraussetzung dafür ist aus Sicht der SBK mehr Transparenz für die Versicherten – über relevante Finanzkennzahlen, aber auch über Leistungsbereitschaft, Beratung und Dienstleistungsqualität von Krankenkassen. Im Sinne der Versicherten vereint die SBK darüber hinaus das Beste aus persönlicher und digitaler Welt und treibt die Digitalisierung im Gesundheitswesen aktiv voran.