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Mehrwertsteuersenkung: wieder nicht Arzneimittel
Karikatur zum Download auf www.neue-allgemeine.de

Mehrwertsteuersenkung: wieder nicht Arzneimittel

Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland/ Ausgabe Februar 2010

Essen – Jüngst senkte die Bundesregierung die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe von 19 auf 7 Prozent. Das kostet den Staat 1 Milliarde €. Hotelketten und kleine Pensionen profitieren gleichermaßen davon, denn aktuellen Meldungen zufolge wird die Senkung mitnichten an den Endverbraucher weitergegeben. Die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel bleibt derweil bei 19 Prozent. Und das, obwohl dieser hohe Steuersatz eine massive Belastung für die gesetzliche Krankenversicherung und damit für das gesamte, schon seit langem geschröpfte Gesundheitswesen darstellt. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift die Thematik im Leitartikel der Februar-Ausgabe auf und begründet, warum eine Mehrwertsteuersenkung auf Arzneimittel längst überfällig ist.

Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung erscheint monatlich deutschlandweit mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.

7 % Mehrwertsteuer statt 19 % WARUM HOTELS? WARUM NICHT ARZNEIMITTEL?

Horst Seehofer, der bayrische Ministerpräsident, bekräftigte es am 15. Juli 2009 auf einer Veranstaltung des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes: Er wolle so lange für eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes im Gastgewerbe eintreten, bis sie wirklich da sei. Lange mussten die großen Hotelketten und die kleinen Wirte nicht darauf warten. Zum 1. Januar 2010 hat die Bundesregierung den Mehrwertsteuersatz für das Hotelgewerbe von 19 % auf 7 % gesenkt. Fassungslos fragt sich die Öffentlichkeit: Warum?

In Deutschland gibt es zwei Mehrwertsteuersätze, den allgemeinen Steuersatz und den ermäßigten Steuersatz. Im Jahre 1983 betrug der allgemeine Steuersatz 14 %. Seitdem stieg er über 15 % (ab 1993) und 16 % (ab 1998) auf 19 % (ab 2007). Der ermäßigte Steuersatz von 7 % blieb hingegen für diesen langen Zeitraum unverändert.

In Deutschland gibt es seit dem 22. Dezember 2009 auch ein „Gesetz zur Beschleunigung des Wachstums“ – sperrig kurz „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ genannt. Darin wird festgelegt, dass „die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen“ ab dem 1. Januar 2010 nur noch mit 7 % Mehrwertsteuer abgerechnet zu werden braucht. Steuerverlust für den Staat pro Jahr: 1 Milliarde Euro.

Aber was ist heute schon 1 Milliarde? Von der Süddeutschen Zeitung in einem Interview am 11.12.09 auf diesen Steuerverlust angesprochen, reagierte Bundesfinanzminister Schäuble lapidar: „Das war nicht meine Idee. Politik heißt aber nun einmal, Kompromisse zu schließen.“

„Schwarz-Gelb lässt deutsche Hoteliers jubeln“, titelte hingegen „Die Welt“ in ihrer Online-Ausgabe vom 26. Oktober 2009, als sich die drei Regierungsparteien auf dieses Geschenk an das Hotelgewerbe geeinigt hatten. Denn dass es ein Geschenk ist, an dem die Hotelgäste nur in seltenen Fällen teilhaben, wurde jüngst vom Hotelpreisvergleichsdienst „Trivago“ bewiesen. Der teilte in einer Presseerklärung mit, dass die deutschen Hotelpreise im Januar trotz der Mehrwertsteuersenkung nicht gefallen, sondern im Gegenteil um 1 % gestiegen seien.

Nichts anderes ergaben Recherchen des ZDF-Magazins „WISO“, ausgestrahlt am 11. Januar 2010: Nur 3 von 50 befragten Hotels hatten ihre Preise gesenkt, und das auch nur minimal.

Dennoch – die Öffentlichkeit nahm die Mehrwertsteuersenkung erstaunlich gelassen hin. Erst als der „Spiegel“ am 16. Januar veröffentlichte, August Baron von Finck, Mitinhaber der Hotelkette Mövenpick, habe über Firmen seines Imperiums der CSU 820.000 Euro und der FDP 1,1 Millionen Euro an Spenden zukommen lassen, schlugen die Wogen der Empörung hoch. Genau diese beiden Parteien waren ja besonders energisch für die Senkung eingetreten. Nicht, dass nicht alles rechtens gewesen wäre – Christian Lindner, Generalsekretär der FDP, verwahrte sich ebenso gegen Verdächtigungen der Opposition, die FDP sei „käuflich“, wie FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle. Doch das „Geschmäckle“ bleibt, wenn es nicht sogar ein „Geschmack“ ist.

Die Medien sahen es unisono ähnlich. „Die FDP macht sich den Staat zur Beute“ zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast. Und der „Spiegel“ titelte am 17.1. in seiner Online-Ausgabe: „Große Geschenke erhalten die Freundschaft“.

Was treibt Parteien nur dazu, sich so leichtfertig den eigenen Handlungsspielraum für neue Ansätze in der Finanzierung des Gesundheitssystems zu beschneiden? Für Bundesgesundheitsminister Rösler (FDP) wird es jetzt nicht leichter.

Denn dass das Gesundheitswesen trotz aller Beteuerung von Gesundheitspolitikern und Krankenkassen weniger ein Ausgabenproblem, sondern vielmehr ein Einnahmenproblem hat, war unter Experten schon immer unumstritten.

Schuld daran sind nicht die Beitragszahler, schuld daran sind auch nicht die Unternehmen, die trotz allen Jammerns über zu hohe Lohnnebenkosten nach wie vor vom Grundsatz her zur solidarischen Finanzierung stehen. Die Schuld trägt der Staat. Er hat, vertreten durch die jeweiligen Regierungen, das Gesundheitswesen immer als „Melkkuh“ benutzt. Die dämmert nun, weil sie seit Jahrzehnten zu stark gemolken wird, langsam dem Siechtum entgegen. Wo gemolken wird? Zum einen waren es immer schon die Belastungen mit den sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“. Das sind Kosten in Milliardenhöhe, die die Politik dem Gesundheitswesen aufgebürdet hat, die aber nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun haben. Bestes Beispiel dafür waren die horrenden Kosten der Wiedervereinigung, die größtenteils nicht über Steuern auf alle Bürger verteilt wurden, sondern durch eine beispiellose „Plünderung der Sozialkassen“ weitgehend den Beitragszahlern der Kranken- und Rentenversicherungen aufgebürdet wurden.

Zwar hatte sich der Staat im GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 verpflichtet, dafür in den nächsten Jahren einen steigenden Zuschuss an die Gesetzliche Krankenversicherung zu leisten, doch schon 2007 wurde diese Verpflichtung wieder verwässert.

Ein weiteres Beispiel: Die Bundesagentur für Arbeit erstattet der GKV für jeden Empfänger von Arbeitslosengeld II eine viel zu geringe Pauschale. „Würde man … die Pauschalen auf 180 Euro pro Monat (und damit auf die Höhe der Durchschnittskosten aller Versicherten) erhöhen, hätten die Kassen Zusatzeinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr und die medizinische Versorgung der Empfänger des Arbeitslosengeldes II wäre sachgerecht finanziert“, so der GKV-Spitzenverband in einer Presseerklärung vom 7.10.2008. Verschiebebahnhof erster Klasse.

Und ein drittes Beispiel: In Europa liegt Deutschland mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 % für Arzneimittel unangefochten in der Spitzengruppe. Die meisten Staaten belasten verschreibungspflichtige Arzneimittel mit Steuersätzen weit unter 10 %; Schweden, Irland und Großbritannien erheben überhaupt keine Mehrwertsteuer auf rezeptpflichtige Medikamente. Fünf Milliarden Euro – das hat der GKV-Spitzenverband errechnet – entzieht der deutsche Staat auf diese Weise jährlich dem Gesundheitswesen.

Dabei fordern seit Jahren viele gesellschaftliche Gruppierungen, Verbände und selbst Parteien eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für rezeptpflichtige Arzneimittel zumindest auf den ermäßigten Steuersatz von 7 %, um die Krankenversicherung zu entlasten. Ob der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV oder die ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, ob der Verband der privaten Krankenversicherungen PKV oder die Bundesärztekammer, ob der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie BPI oder die Apothekergenossenschaft NOWEDA – sie und viele weitere Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens fordern seit Jahren, es den anderen europäischen Ländern gleichzutun und die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken.

Insbesondere der mächtige Sozialverband VdK mit seinen 1,5 Millionen Mitgliedern drängt immer wieder auf eine Reduzierung der Mehrwertsteuerbelastung für Arzneimittel – vergebens. Selbst eine Unterschriftenaktion im Jahre 2007, der sich 2,3 Millionen Menschen anschlossen, konnte die Regierung nicht erweichen. Vehement erneuerte der VdK zuletzt in einer Presseerklärung vom 17.12.2009 seine Forderung nach einer Entlastung der Patienten durch eine „längst überfällige Steuerabsenkung bei lebens-notwendigen Arzneimitteln“.

Von den Parteien ist es insbesondere die FDP, die sich schon seit Jahren für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel einsetzt. In einer Presserklärung vom 2. November 2007, verfasst vom damaligen gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Daniel Bahr, heute parlamentarischer Staatssekretär in Röslers Gesundheitsministerium, heißt es wörtlich: „Es ist nicht akzeptabel, dass Deutschland neben Dänemark und Österreich das einzige EU-Land ist, das den vollen Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel erhebt.“ Wie wahr.

Jetzt kann die FDP zeigen, ob sie bei den Hoteliers nicht schon ihr Pulver verschossen hat.

WIR SIND BANANENREPUBLIK Ein Kommentar der Redaktion

In punkto „Parteispendenaffären“ sind wir in Deutschland nicht unerfahren. Immer wenn ein Skandal dieser Art hochkommt, denkt man, das sollte doch nun wirklich das letzte Mal sein. So dumm können Parteien doch nicht sein. Anfang der achtziger Jahre war es die „Flick-Affäre“, ein Parteispendenskandal, der das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik tief erschütterte und den damaligen Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff zurücktreten ließ. Als Folge des Skandals hätte es das Wort „Bananenrepublik“ 1984 beinahe zum „(Un-) Wort des Jahres“ geschafft: Spötter meinten – in Anlehnung an die Korruption in Ländern Mittelamerikas – in jenen Tagen, „BRD“ bedeute nichts anderes als „Bananen-Republik Deutschland“. Jetzt sind wir wieder so weit. Nicht dass FDP und CSU sich haben korrumpieren lassen – das nie und nimmer. Aber dass Parteien so dumm sind, sich der Verdächtigung auch nur auszusetzen, zeugt von ungeheurer Instinktlosigkeit. Mit einem solchen Klotz am Bein kann man nur schwer vernünftige Reformpolitik durchsetzen.