Gießen, Hannover, Köln – Jeder kennt seltene Briefmarken, seltene Ereignisse und auch seltene Tiere – doch dass es auch Seltene Erkrankungen (SE) gibt, ist vielen Menschen nicht bekannt. Dabei ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankung hoch. Häufig verursachen SE keine spezifischen Symptome und sind deswegen schwer zu diagnostizieren. Einige SE betreffen direkt die Leber oder haben eine Lebermitbeteiligung, sodass sie zu einer Leberschädigung führen. Im Vorfeld des 25. Deutschen Lebertages am 20. November 2024 machen die Ausrichter auf die Herausforderungen bei Diagnose und Therapie der seltenen Lebererkrankungen aufmerksam. Der Deutsche Lebertag wird von der Gastro-Liga e. V., der Deutschen Leberhilfe e. V. und der Deutschen Leberstiftung ausgerichtet. Mit dem diesjährigen Motto „Leber gut – alles gut“ betonen die Ausrichter die Bedeutung der Leber als zentrales Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers und klären über Lebererkrankungen auf.
In der Europäischen Union (EU) wird eine Erkrankung als selten eingestuft, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Insgesamt gibt es mehr als 6.000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen (SE), und jährlich werden circa 250 Erkrankungen neu als SE eingestuft. Trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankung ist die Gesamtzahl der Betroffenen hoch: In der EU sind es geschätzt circa 30 Millionen Betroffene. Für Deutschland gehen Schätzungen von etwa vier Millionen Menschen mit einer SE aus – betroffen sind auch viele Kinder und Jugendliche. Mehr als 70 Prozent der SE haben eine genetisch bedingte oder mitbedingte Ursache und sind zudem nur selten heilbar.
Seltene Lebererkrankungen können sehr unterschiedliche Ursachen haben: So gibt es angeborene genetische Krankheiten, bei denen bestimmte Stoffe oder Enzyme im Körper entweder zu gering vorhanden sind oder sich in schädlichem Maße anreichern. Des Weiteren gibt es autoimmune Erkrankungen, bei denen die Leber das Angriffsziel des eigenen fehlgeleiteten Immunsystems ist. Andere seltene Lebererkrankungen haben infektiöse oder toxische Ursachen oder können als Komplikation anderer Krankheiten auftreten, wenn z. B. der Blutfluss durch die Leber durch Thrombosen gestört wird. Die Gemeinsamkeiten dieser seltenen Lebererkrankungen sind, dass sie oft fortschreitend verlaufen, meistens die Lebenserwartung senken und häufig aufgrund der unspezifischen Symptome nur schwer zu diagnostizieren sind.
Zu den autoimmunen Lebererkrankungen gehören die Autoimmunhepatitis (AIH), die Primär Biliäre Cholangitis (PBC) und die Primär Sklerosierende Cholangitis (PSC).
Die Autoimmunhepatitis (AIH) ist eine chronische Entzündung der Leber, die durch eine Fehlregulation des Immunsystems verursacht wird. Das Immunsystem greift fälschlicherweise die Leberzellen an, was zu einer fortschreitenden Leberschädigung führt. Zu typischen Symptomen, die wie bei anderen Lebererkrankungen auch eher unspezifisch sind, zählen unter anderem Müdigkeit, Juckreiz und Bauchschmerzen. Die Diagnose wird häufig durch erhöhte Leberwerte, spezifische Autoantikörper und eine Leberpunktion gestellt. Immunsuppressive Medikamente können die Erkrankung unter Kontrolle bringen.
Die Primär Biliäre Cholangitis (PBC) betrifft hauptsächlich die kleinen Gallengänge der Leber. Sie wird durch eine autoimmune Zerstörung dieser Gallengänge verursacht, was zu einer Ansammlung von Galle und schließlich zu einer Schädigung des Lebergewebes führt. Betroffene klagen oft über Juckreiz, Müdigkeit und Gelenkbeschwerden. Die Diagnose wird durch den Nachweis spezifischer Autoantikörper wie der Anti-Mitochondrien-Antikörper (AMA) gestellt. Medikamente wie z.B. spezielle Gallensäuren oder PPAR-Agonisten können den Verlauf der PBC deutlich abmildern.
Die Primär Sklerosierende Cholangitis (PSC) ist eine fortschreitende Erkrankung, die durch eine chronische Entzündung und Vernarbung der intra- und extrahepatischen Gallengänge gekennzeichnet ist. Diese Vernarbung führt zu einer Verengung der Gallengänge und kann schwere Leberschäden verursachen. PSC ist oft mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa assoziiert. Symptome umfassen Bauchschmerzen, Gelbsucht und wiederkehrende bakterielle Cholangitis. Nach geeigneten medikamentösen Therapien der PSC wird in Studien geforscht.
Alle drei Erkrankungen erfordern eine langfristige medizinische Betreuung und haben das Potenzial, zu schweren Komplikationen wie Leberzirrhose und Leberversagen zu führen. Fortschritte in der Diagnostik und Therapie haben jedoch die Prognose für viele Betroffene verbessert. So gibt es aktuell für die Behandlung von Patienten mit PBC vielversprechende neue Studienergebnisse: Eine effektive Zweitlinientherapie für Patienten, die kein adäquates Ansprechen oder eine Unverträglichkeit auf die Medikamente der Standardtherapie zeigen, kann die Therapiemöglichkeiten erweitern und möglicherweise die Prognose und Lebensqualität von Patienten mit PBC optimieren.
„Neben den drei relevanten autoimmunen Lebererkrankungen AIH, PBC und PSC gibt es angeborene Krankheiten, die zunächst in keinem Zusammenhang mit der Leber stehen, die jedoch im Verlauf oder durch notwendige medizinische Eingriffe zu einer seltenen Lebererkrankung führen können“, erläutert Prof. Dr. Peter R. Galle, Direktor der 1. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und nennt ein Beispiel, bei der die Grunderkrankung das Herz betrifft: „Die Fontan assoziierte Lebererkrankung, kurz FALD, tritt nur bei Menschen mit einem seltenen Herzfehler auf, die im Kindesalter eine spezielle lebensrettende und lebensverlängernde Herzoperation, die sogenannte Fontan-Operation hatten. Durch die verlängerte Lebenszeit werden zunehmend Langzeitfolgen beobachtet, die unter anderem die Leber schädigen können. Noch ist nicht eindeutig geklärt, auf welchem Weg eine FALD zu Leberschäden wie Leberzirrhose und Lebertumor wie beispielsweise dem hepatozellulären Karzinom führt. Spätestens ab dem zehnten Jahr nach einer Fontan-Operation sollten die Patienten auch auf mögliche Leberkomplikationen überwacht werden. Wenn ein Lebertumor bei FALD diagnostiziert wird, richtet sich die Behandlung nach den aktuellen Lebertumor-Leitlinien.“
Im Vorfeld des 25. Deutschen Lebertages am 20. November 2024 erinnern die Ausrichter alle Ärzte und Patienten daran, bei unspezifischen Beschwerden die Leberwerte zu kontrollieren und auch seltene Lebererkrankungen als Ursache in Betracht zu ziehen.
Mehr Informationen zum 25. Deutschen Lebertag und alle bislang im Rahmen des diesjährigen Deutschen Lebertages veröffentlichten Presseinformationen finden Sie unter: www.lebertag.org.
Ausrichter und Ansprechpartner des 25. Deutschen Lebertages:
Deutsche Leberhilfe e. V.
Prof. Dr. Christoph Sarrazin, Vorstandsvorsitzender
Krieler Straße 100, 50935 Köln
info@leberhilfe.org
www.leberhilfe.org
Deutsche Leberstiftung
Prof. Dr. Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender
Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover
presse@deutsche-leberstiftung.de
www.deutsche-leberstiftung.de
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Krankheiten von Magen, Darm und Leber sowie von Störungen des Stoffwechsels und der Ernährung (Gastro-Liga) e. V.
Prof. Dr. Peter R. Galle, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats
Friedrich-List-Straße 13, 35398 Gießen
geschaeftsstelle@gastro-liga.de
www.gastro-liga.de