Berlin – Verlieren Menschen die Freude am Leben und die Kraft dafür, spricht man von Lebensmüdigkeit. Woran Angehörige Lebensmüdigkeit oder sogar Suizidgedanken bei pflegebedürftigen Menschen erkennen und wie sie damit umgehen können, erklärt der neue Kurzratgeber „Wenn ältere pflegebedürftige Menschen lebensmüde sind“ aus der ZQP-Reihe EINBLICK.
Ältere pflegebedürftige Menschen leben häufig mit mehreren fortschreitenden Erkrankungen, mit verschiedenen körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen. Dazu gehören zum Beispiel stark nachlassende eigene Fähigkeiten, chronische Schmerzen, Angst vor zunehmender Hilfebedürftigkeit, Verluste von Beziehungen oder mangelnde soziale Einbindung. Dies kann zu einer inneren Krise führen und die Motivation nehmen, weiterzuleben. Dann wird von Lebensmüdigkeit gesprochen. Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Desinteresse oder starker Rückzug deuten darauf hin. Sätze wie „Ich will nicht mehr“ oder „Ich möchte einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen“ können dem Ausdruck verleihen. Lebensmüdigkeit kann bis zur Suizidalität reichen.
Mitunter werden entsprechende Anzeichen bei älteren pflegebedürftigen Menschen vielleicht nicht bemerkt, nicht ernst genommen oder ignoriert. Sie sind aber in der Regel Ausdruck von hohem Leidensdruck und sollten auch so verstanden werden. Dann können entsprechende Hilfsangebote gemacht werden, deren Ziel es ist, das zugrunde liegende Leid zu mildern und die Lebenssituation zu verbessern. Aber wenn Angehörige dabei unterstützen möchten, stoßen sie nicht selten an ihre Grenzen. Dies greift das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) mit seinem neuen Kurzratgeber auf, der in Kooperation mit dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) entstanden ist. Darin wird in einfachen Worten erklärt, was man eigentlich unter Lebensmüdigkeit und Suizidalität versteht, was die Ursachen dafür sind und welche Warnsignale darauf hindeuten. Zudem werden konkrete Tipps gegeben, wie man helfen kann.
„Was genau gegen Lebensmüdigkeit und Suizidalität zu tun ist, hängt von der individuellen Situation ab. Grundlage dafür ist, dass man der betroffenen Person gut zuhört und einfühlsam nachfragt. Denn es ist wichtig herauszufinden, was die konkreten Ursachen sind und was die pflegebedürftige Person besonders belastet. Dann kann man passende Hilfe suchen, zum Beispiel praktische, soziale oder psychotherapeutische Unterstützung“, erklärt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP. Zudem sollte man sich dafür einsetzen, dass körperliche oder psychische Beschwerden bzw. Erkrankungen wirksam behandelt werden, etwa durch die Therapie von Depressionen und Schmerzen. Auch palliative Versorgung kann zur Linderung belastender Symptome in Betracht gezogen werden. Bei der Suche nach Unterstützung ist es ratsam, fachlichen Rat einzuholen. Damit Hilfe letztlich wirksam werden kann, ist eine wichtige Voraussetzung, dass diese auch angenommen wird. Trotzdem muss akzeptiert werden, wenn Hilfsangebote von Betroffenen abgelehnt werden.
Mit Lebensmüdigkeit oder sogar Suizidgedanken eines pflegebedürftigen Angehörigen umzugehen, kann sehr belastend sein. Darum informiert der neue EINBLICK auch über Beratungs- und Hilfsangebote für pflegende Angehörige. Suhr dazu: „Insbesondere pflegende Angehörige sind nicht selten über Jahre mit den Themen Lebensende, Sterben und Tod konfrontiert. Das kann sehr traurig machen sowie auch erhebliche Folgen für die Pflegesituation oder für andere persönliche Beziehungen haben. Daher ist es wichtig, dass Unterstützungs- und Entlastungsangebote für Angehörige bereitstehen und genutzt werden.“
Der EINBLICK ist in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft „Alte Menschen“ des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro) entstanden. Der vierseitige Ratgeber ist werbefrei und kann kostenlos über die Webseite des ZQP bestellt sowie als PDF-Datei heruntergeladen werden: www.zqp.de/bestellen.
Pressekontakt | Torben Lenz | Tel: 030 275 93 95 – 15 | E-Mail: torben.lenz@zqp.de
Bedeutung von Suizidprävention im Kontext Alter und Pflegebedürftigkeit
Lebensmüdigkeit und Suizidalität sind Themen über die nicht gerne gesprochen wird. Sie betreffen jedoch viele Menschen – gerade auch im Kontext Alter und Pflegebedürftigkeit. Aufklärung dazu ist von zentraler Bedeutung. Denn laut dem Statistischen Bundesamt starben 2020 in Deutschland über 9.200 Menschen durch Suizid. Etwa 30 Prozent von ihnen war mindestens 70 Jahre alt. Die Suizidrate in der Altersgruppe 70 plus ist im Verhältnis zur Suizidrate in der Gesamtbevölkerung also überproportional hoch. Insbesondere bei älteren pflegebedürftigen Menschen könnte zudem die Dunkelziffer von Suiziden nicht unerheblich sein. Denn diese werden möglicherweise gar nicht als solche wahrgenommen und folglich amtlich nicht erfasst.
Wenn Menschen lebensmüde oder gar suizidal sind, kann das unterschiedliche Gründe haben. Meist kommen mehrere Faktoren zusammen, die insbesondere auch ältere pflegebedürftige Menschen betreffen können: Dazu gehören zum Beispiel stark nachlassende körperliche oder geistige Fähigkeiten, chronische Schmerzen, Verluste von nahestehenden Personen oder Konflikte mit ihnen sowie Einsamkeit. Ein relevanter Risikofaktor für Suizidalität ist Depression – eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter, die behandelbar ist.
Auch für pflegende Angehörige kann es sehr schwer sein, mit Lebensmüdigkeit bis hin zu Suizidalität des pflegebedürftigen Menschen, zum Beispiel des Lebenspartners oder Elternteils, umzugehen, etwa Gespräche dazu zu führen oder deren Belastung auszuhalten. Mitunter sind sie über Jahre mit den Themen Sterben und Tod bei dieser Person konfrontiert. Dabei gelten pflegende Angehörige ohnehin als psychisch überdurchschnittlich belastet.
Suiziden vorzubeugen ist geboten, möglich und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn Suizidwünsche zu äußern, bedeutet nicht unbedingt, dass die betreffende Person gerne sterben möchte, sondern weist zunächst darauf hin, dass sie ihre Lebensumstände als unerträglich wahrnimmt. Suizidversuche erfolgen zudem oft vor dem Hintergrund psychischer Erkrankungen. Suizidprävention verlangt daher danach, die individuelle Situation von suizidalen Menschen zu verstehen und passende Hilfsangebote zu unterbreiten.
Hierzu erklären
Prof. Dr. Reinhard Lindner, geschäftsführende Leitung des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland: „Konflikte in familiären Pflegebeziehungen und in Partnerschaften, bei denen eine Person die andere pflegend versorgt gehören zu den Risikosituationen für Suizidalität im Alter. Hilfen können hier sowohl die Psychotherapie als auch die Beratung und die direkte Unterstützung in der familiären Pflege sein.“
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Dr. Uwe Sperling, Sprecher der AG „Alte Menschen“ des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland: „Das Erleben von Pflegebedürftigkeit im höheren und hohen Lebensalter kann sehr belastend werden und Lebensmüdigkeit und Suizidalität auslösen oder verstärken. Angehörige und professionell Pflegende, die in dieser Situation helfen wollen, sind auf diese Situation wenig vorbereitet und fühlen sich oftmals hilflos. Hier braucht es Information und Gesprächsmöglichkeiten, um sich den Herausforderungen stellen zu können.“
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Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP: „Lebensmüdigkeit und Suizidalität werden insgesamt noch zu wenig als relevante Themen im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit gesehen. Zu einer guten Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen gehört, dass Anzeichen für entsprechende Krisen von allen Akteuren im Versorgungsmix sowohl wahr- als auch ernstgenommen werden. Dies gilt insbesondere auch in der aktuellen Pandemiesituation.“