Berlin – Gestern wurde von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, Bundesjugendministerin Ursula von der Leyen und Bundesforschungsministerin Annette Schavan die Initiative “Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn” in Berlin vorgestellt.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: “Essstörungen wie Magersucht und Bulimie sind keine Bagatelle, sondern ein ernstzunehmendes Problem. Mit der Initiative wollen wir uns im Schulterschluss mit den gesellschaftlichen Gruppen für die Prävention von Essstörungen einsetzen. Besonders junge Mädchen, aber auch Jungen orientieren sich stark an dem Schönheitsideal, das sie in der Werbung, in der Mode, in Journalen und in Fernsehspots häufig vorgelebt bekommen. Wir müssen die (Vor-)Bilder ändern und ein realistisches Maß finden. Mit der Mode- und Werbebranche werden Gespräche mit dem Ziel geführt, mittelfristig konkrete Vereinbarungen bis hin zu Selbstverpflichtungen zu treffen.”
Bundesministerin Ursula von der Leyen: “Essstörungen betreffen vor allem Frauen und Mädchen. Sie beginnen oft schon im Kindesalter und sind ein verzweifelter Ausdruck für Ablehnung der eigenen körperlichen Entwicklung und Rolle im Übergang von Pubertät zum Erwachsenenalter. Deswegen kommt es entscheidend auf Prävention an. Erziehende, Ärztinnen und Ärzte, aber vor allem die Eltern müssen in der Lage sein, Warnsignale zu deuten und so früh wie möglich gezielt gegenzusteuern. Dabei helfen leicht zugängliche Informationen über das Krankheitsbild ebenso wie passgenaue Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Parallel gilt es, die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken und rigoros gegen Propagandisten des Schlankheitswahns vorzugehen – zum Beispiel durch Verbote extremer Internetseiten.”
Bundesforschungsministerin Annette Schavan: “Wir müssen alles dafür tun, um die Ursachen und Folgen von Essstörungen zu bekämpfen. Sie sind ein großes Problem für Betroffene und Angehörige. Wir setzen vor allem auf wirksame Prävention und Aufklärung, damit Kinder oder Erwachsene gar nicht erst falsche Körperideale entwickeln. Außerdem brauchen wir sichere Verfahren zur Diagnose und gezielte therapeutische Maßnahmen. Hierzu schafft die Forschung die wesentlichen Grundlagen. Daher werden wir unser Engagement in den nächsten Jahren noch einmal deutlich ausbauen.”
Mehr als jedes fünfte Kind zwischen 11 und 17 Jahren leidet nach den jüngsten Daten des Kinder- und Jugend-Gesundheitssurveys (KIGGS) unter Symptomen einer Essstörung. Das sind 1,4 Millionen junge Menschen. 56 % Prozent der 13- bis 14Jährigen wollen nach einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dünner sein. 63 % Prozent sagen, dass sie gerne besser aussehen würden. Diese Zahlen beunruhigen (http://www.kiggs.de).
Die beteiligten Ministerien sehen folgende Maßnahmen vor:
· Essstörungen werden im Rahmen des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten thematisiert. Er wird gemeinsam mit den Ländern und Kommunen erarbeitet und im Frühjahr 2008 beschlossen.
· Der 13. Kinder- und Jugendbericht, der bis Ende 2008 im Auftrag der Bundesregierung erstellt wird, rückt das Thema Gesundheit erstmals in den Mittelpunkt der Kinder- und Jugendpolitik. Er soll Erkenntnisse und konkrete Handlungsempfehlungen liefern zur Vermittlung gesunder Essgewohnheiten und der selbstbewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, zu Maßnahmen gegen Essstörungen und neue Angebote der Kinder und Jugendhilfe im Bereich gesundheitsbezogener Prävention, aber auch Vorschläge für passgenauere Beratungs- und Unterstützung für Familien, in denen Kinder schon von der Krankheit betroffen sind.
· Essstörungen haben verschiedene Ursachen. Mit der Mode- und Werbebranche werden Gespräche mit dem Ziel geführt, mittelfristig konkrete Vereinbarungen bis hin zu Selbstverpflichtungen zu treffen. Essstörungen “Magermodels” gehören weder auf den Laufsteg noch in die Werbung. Wir appellieren an die Verbände, sich an der Initiative zu beteiligen.
· Wir wollen die jungen Menschen in ihrem Alltag erreichen. Im Mittelpunkt aller Bemühungen steht die Aufklärung. Prävention von Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie gehört in die Schule, in die Jugendarbeit, in die Sportvereine, in die Gespräche zwischen Arzt bzw. Ärztin und Patientin bzw. Patient. Die Entwicklung eines positiven Körpergefühls als ein wichtiger Schutzfaktor vor Essstörungen ist ein integraler Bestandteil unserer Maßnahmen zur Sexualaufklärung für Jugendliche, Eltern und Multiplikatoren. Zur Unterstützung hat die BZgA umfangreiches Informationsmaterial entwickelt (http://www.bzga-essstoerungen.de) und ein Beratungstelefon eingerichtet (0221 – 802031).
· Dem Sport kommt ebenfalls eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, junge Menschen zu erreichen. Er bietet in einem bundesweiten Netz von über 90.000 Sportvereinen, Kindern und Heranwachsenden Bewegungs- und Sportangebote, die die ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit und die Gesundheit in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht fördern. Das Bundesgesundheitsministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) werden hier zusammenarbeiten.
· Das Bundesgesundheitsministerium wird 2008 die Selbsthilfe bei Essstörungen durch ein Modellprojekt stärken. Ziel ist, die Selbsthilfepotentiale der Betroffenen zu fördern und Handlungsempfehlungen für die Zusammenarbeit der Beratungseinrichtungen mit der Selbsthilfe modellhaft zu erarbeiten. Dafür werden in den kommenden drei Jahren rund eine Viertel Million Euro zur Verfügung gestellt.
· Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesfachverband Essstörungen und der Barmer Ersatzkasse bundesweit die verschiedenen Beratungsangebote bewerten und damit den Betroffenen eine Entscheidungsgrundlage geben. Diese Informationen stehen Ende 2008 im Internet zur Verfügung.
· Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert derzeit Forschungsprojekte zum Thema Essstörungen mit mehr als 7 Millionen Euro. Ziel ist eine schnelle Anwendung der Forschungsergebnisse in der Praxis. Beispiele für geförderte und anlaufende Projekte:
Im Bereich Psychotherapie arbeitet der Forschungsverbund EDNET (Eating Disorders Diagnostic and Treatment Network). Die Forscher optimieren Verhaltenstherapien und entwickeln Methoden gegen Rückfälle. Gemeinsam mit anderen Experten haben die Mitglieder des EDNET im März 2006 die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) gegründet.
Im Bereich Präventionsforschung arbeitet in Jena das Projekt “PriMa – Primärprävention Magersucht”: Mädchen ab der sechsten Klasse bearbeiten am Beispiel von Barbie-Puppen typische Situationen einer Magersucht. Sie lernen dabei, die Dynamik aus idealisierter Schlankheit, Sehnsucht nach Anerkennung und rück-sichtsloser Instrumentalisierung des eigenen Körpers zu durchbrechen.
Im Bereich der “Ernährungsbildung” leistet das BMBF im Ganztagsschulprogramm einen wichtigen Beitrag, dass Kinder und Jugendliche ein gesundes Essverhalten entwickeln.
Kurz vor dem Start steht das krankheitsbezogene Kompetenznetz Adipositas, für das in den nächsten Jahren 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Adipositas und Magersucht stellen die beiden Extreme dar, zu denen Essstörungen führen können. Aus der Adipositas-Forschung ergeben sich deswegen vielfältige Erkenntnisse für das Verständnis der Magersucht.
· Eine Qualitätsoffensive von Bund und Ländern in der Kindertagesbetreuung will den Kindergarten als Lernort auch für gesunde Ernährung und ein positives Körpergefühl etablieren. Sie soll Grundregeln ausgewogener Ernährung vermitteln, Kindern Wege zum Umgang mit Stress aufzeigen und ihnen Hilfestellung zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit geben.
· Das Bundesfamilienministerium wird in Kooperation mit den Ländern, Kontrollinstanzen und Verbänden die Medienkompetenz von Eltern und Kindern stärken und darauf drängen, dass auf allen zuständigen Ebenen rigoros gegen den “Schlankheitswahn” fördernde Medien und Inhalte vorgegangen wird. Hinweise nehmen beispielsweise entgegen: jugendschutz.net, internet-beschwerdestelle.de, bundespruefstelle.de.
· Ein Expertengremium mit den relevanten Akteuren der Fachverbände und den beteiligten Ministerien wird in den nächsten Monaten unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums konkrete Maßnahmen erarbeiten. Ziel ist die Bündelung von Aktivitäten. Die Ergebnisse werden auf einem Kongress vorgestellt.
Weitere Informationen zu Essstörungen, zu der Initiative, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagen finden Sie unter: http://www.bmg.bund.de, http://www.bmfsfj.de, http://www.rki.de oder http://www.bmbf.de sowie http://www.bzga-essstörungen.de.