Köln, 13. Oktober 2017 – von Betroffenenvertreter im Stiftungsrat der Conterganstiftung, Andreas Meyer und Christian Stürmer
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Die von den Conterganopfern gewählten Betroffenenvertreter im Stiftungsrat der Conterganstiftung, Andreas Meyer (56) und Christian Stürmer (56) – beide gleichfalls contergangeschädigt – haben alle Conterganopfer dazu aufgerufen, sich am 16.10.2017 um 11:00 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Berlin zu versammeln.
Stürmers und Meyers Aufgabe im Stiftungsrat sollte es eigentlich sein, den Stiftungsvorstand zu kontrollieren und über alle grundsätzlichen Fragen des Aufgabenbereichs der Stiftung mit zu beschließen. Der Stiftungsvorstand soll lediglich ausführendes Organ sein und die Geschäfte der Stiftung führen.
Meyer und Stürmer werfen dem noch SPD-geführten BMFSFJ u.a. vor, seine per Gesetz ihm auferlegte Aufsicht über die Conterganstiftung dazu zu missbrauchen, um in aller Eile in der empfindlichen Phase der Regierungsbildung und Konstituierung des parlamentarischen Fachausschusses unumkehrbare Fakten schaffen zu wollen.
Durch eine hastig für den 16.10.2017 (2 Monate vor der nächsten Stiftungsratssitzung) einberufenen außerordentlichen Sitzung wolle das Ministerium eine weitere Person in den Stiftungsvorstand hieven und zudem die Geschäftsstelle der Conterganstiftung nach Berlin verlegen lassen, um die Stiftung noch besser kontrollieren zu können. Mit einer Geschäftsstelle in Berlin wäre eine Verlagerung des Stiftungssitzes von Köln nach Berlin zu erwarten. Dann entfiele auch die Zuständigkeit des relativ conterganopferfreundlichen Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts Münster.
Anstatt aber die Zuständigkeit der Geschäftsstelle auf Vorstand und Stiftungsrat gleichermaßen auszurichten, wolle man offensichtlich in dem hierzu zu verändernden Stiftungsgesetz die einseitige Ausrichtung auf den Vorstand weiter manifestieren, obwohl gerade die Betroffenenvertreter im Stiftungsrat bei der Stiftungsarbeit dringend eine Unterstützung durch Schreibkräfte und die Übersetzung ihrer Anliegen in Gebärdensprache und in Fremdsprachen sowie weitere Bürounterstützung dringend nötig hätten.
Meyer und Stürmer als Betroffenenvertreter seien von diesen Vorhaben völlig überrascht worden. Tagelang hätten beide versucht herauszufinden, was der Grund und der Gegenstand für die so eilig einberufene Stiftungsratssitzung sei. Sie seien von dem Stiftungsratsvorsitzenden, Christoph Linzbach (BMFSFJ) u. a. mit der Antwort hingehalten worden, dass der Vorstand „wegen der Vielzahl von noch offenen Themen“ z.B. die Geschäftsstudie um eine Sondersitzung gebeten habe.
Seit März 2017 verschweige das BMFSFJ zudem, dass es konspirativ, an Stürmer und Meyer vorbei, ein Gutachten zur Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der Neuorganisation einer Geschäftsstelle der Conterganstiftung in Eigenregie des Vorstandes in Auftrag gegeben habe. Regelmäßig seien solche Gutachten bisher von der eigentlich von staatlichen Einflüssen unabhängig agierenden Conterganstiftung selbst in Auftrag gegeben worden. Das habe man aber seitens des BMFSFJ bewusst nicht getan. „Denn, wenn die Stiftung der Auftraggeber für diese Studie gewesen wäre, dann hätten wir als Betroffenenvertreter im Stiftungsrat die rechtliche Handhabe gehabt, auf das Studienprofil Einfluss zu nehmen“, sagen Meyer und Stürmer. Dies hätte man auf Seiten des Ministeriums bewusst verhindern wollen.
Dies würde schon allein durch die Tatsache deutlich werden, dass auf der letzten Stiftungsratssitzung am 5. April 2017 der Stiftungsratsvorsitzende (BMFSFJ) und der Stiftungsvorstand dem Stiftungsrat und damit den Betroffenenvertretern die Existenz dieses Gutachtens gemeinschaftlich verschwiegen hätten. Im April hätte man genügend Zeit gehabt, eine Verlegung der Geschäftsstelle offen und fair zu diskutieren. Dies sei nun bewusst nicht geschehen. „Damit hat sich der vom BMFSFJ gestellte Stiftungsratsvorsitzende des Organs, das den Vorstand kontrollieren soll, mit dem Vorstand verbündet, um eine Kontrolle des Vorstandes durch die von den Conterganopfern gewählten Vertreter zu verhindern.“ sagen Stürmer und Meyer.
Schon 2016 sei das SPD-geführte BMFSFJ zusammen mit der ebenfalls der SPD angehörenden Stiftungsvorsitzenden Marlene Rupprecht bei der Evaluation des Conterganstiftungsgesetzes an dem parlamentarischen Widerstand gescheitert, die beiden Betroffenenvertreter im Stiftungsrat schlichtweg dadurch kalt zu stellen, in dem man durch eine Gesetzesänderung das Kontrollorgan „Stiftungsrat“ völlig entmachtet und gleichzeitige dem Vorstand die alleinige Ausführung und Entscheidung über die Geschicke der Conterganstiftung überlässt, sagen Stürmer und Meyer nachdenklich: „Wir haben wohl unseren Kontrolljob zu gut gemacht.“
Als Wermutstropfen hätten das SPD-Ministerium und die der SPD angehörende Vorsitzende erreichen können, dass nach 45 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit der Stiftungsorgane im Jahr 2017 eine Evaluation der Organstrukturen der Conterganstiftung stattfinden sollte. Damit die Betroffenenvertreter – entgegen aller öffentlichen Versprechungen – wieder keinen Einfluss auf den anstehenden Evaluationsprozess nehmen können, hat wieder das SPD-geführte BMFSFJ und nicht die Conterganstiftung die auf Steuerrecht spezialisierte Anwaltskanzlei Flick, Gocke, Schaumburg mit der „Erstellung einer Studie zu Begutachtung der Struktur der Conterganstiftung für behinderte Menschen unter Beteiligung der Betroffenenvertreterinnen und -vertreter und Formulierungen von Empfehlungen zur Umgestaltung der Stiftungsstruktur § 25 des 4. Gesetzes zur Änderung des Contergan Stiftungsgesetzes“ beauftragt.
Meyer und Stürmer: „Indem das BMFSFJ zur Analyse der stiftungsinternen Probleme die Wahl der Gutachter autokratisch alleine in die Hand nimmt, ohne sich selbst als eventueller Urheber der Probleme einzubeziehen, macht es sich selbst vom Bock zum Gärtner.“
Allein, die Tatsache, dass die Betroffenenvertreter nicht mehr als Mitgestalter einer Evaluation des Stiftungsgesetzes in einem parlamentarischen Prozess betrachtet würden, sondern im Rahmen dieser Studie lediglich als Workshop-Teilnehmer mitwirken könnten, zeige, dass man die Betroffenenvertreter seitens des Ministeriums an die Degradierung in die zukünftige Rolle gewöhnen wolle, in der das Ministerium die Betroffenenvertreter am liebsten sehen würde; in der Rolle der bedeutungslosen Statisten!
„Die Statistenrolle hat man uns bereits seit 2009 auf den Leib gebrannt. Denn seit dieser Zeit sitzen den 2 Betroffenenvertreter im Stiftungsrat einer Mehrheit von 3 Ministerienvertretern gegenüber. Damit haben wir keinerlei Chance, auch noch so berechtigte Anliegen gegen die Mehrheit der Ministerienvertreter durchzusetzen. Wir können noch nicht einmal ohne einen Ministerienvertreter eine Stiftungsratssitzung einberufen“, sagt Christian Stürmer.
„Dies wird den historischen Gegebenheiten des Conterganskandals alles andere als gerecht“, fährt Stürmer fort. „Wir haben unsere Forderungen gegen Grünenthal in Milliardenhöhe in die Stiftung eingebracht, weil uns das Stiftungsgesetz zugunsten Grünenthals hinsichtlich dieser Forderungen enteignet hat. Die bestehenden Mehrheitsverhältnisse entsprechen nicht dem damaligen Konsens mit unseren Eltern. Solange wir als Hauptstifter in dieser Stiftung in der Minderheit sind, wird zugunsten Grünenthals staatlich organisierte Geschichtsverklitterung betrieben. Denn hierdurch wird der Eindruck erweckt, dass der Conterganskandal kein Verbrechen sondern lediglich eine unabwendbare Tragödie gewesen ist, dessen bedauerliche Opfer man mit den Wohltaten des Sozialstaats auffangen muss.“ erläutern Stürmer und Meyer.
Wie dreist man diese Kumpanei mit Grünenthal bereits betrieben habe, belege der folgende Umstand: „Mindestens 30 Jahre lang hat das BMFSFJ die Conterganopfer an die Firma Grünenthal ausgeliefert, indem es zuließ, dass der ehemalige Leiter der Rechtsabteilung und des Ressorts Marketing Grünenthals, Rechtsanwalt Herbert Wartensleben, den Vorsitzposten der Medizinischen Kommission innehatte. In dieser Position hat Wartensleben beeinflussen können, wer als contergangeschädigt anerkannt ist und wer nicht. Eine sehr komfortable Position für Grünenthal.“ erinnern Stürmer und Meyer.
Nicht nur die spezifischen historischen Gegebenheiten des Conterganskandals sondern auch die UN-Behindertenkonvention forderten Teilhabe nach dem Motto:
„Nichts ohne uns über uns!“
Auf die Frage, was sie mit der Kundgebung erreichen wollen, antworten Meyer und Stürmer:
„1. Weg mit dem aufsichtsführenden Bundesfamilienministerium!
2.Absolute Mehrheit der Betroffenenvertreter im Stiftungsrat nach Vorbild des britischen Thalidomide Trust!
3.Vollständige und gleichberechtigte Einbeziehung der Betroffenenvertreter bezüglich struktureller Veränderungen der Conterganstiftung, unter anderem auch bei der Auswahl entsprechender Gutachter – nach dem Motto: Nichts ohne uns über uns!“
4.Die Geschäftsstelle muss von einem privaten und ministeriumsunabhängigen Dienstleister betrieben werden und allen Organen der Conterganstiftung zur Verfügung stehen!
5.Grünenthal freie und damit unabhängige Finanzierung der Medizinischen Kommission!
6.Unabhängige Gutachter der medizinischen Kommission!“
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Die Kundgebung wird für die Medienvertreter zeitweise wie eine Pressekonferenz abgehalten, bei der die Journalisten direkte Fragen stellen können.
Für solche Gelegenheiten wird insbesondere in der Zeit von 12h-13h gesorgt!
Die Kundgebung findet statt:
Ort: Bundesfamilienministerium, Glinkastraße 24,10117 Berlin – Zeit: 16.10.2017 ab 11:00h