Berlin – Schmerz-Präsident Prof. Dr. Michael Schäfer: „Qualität in der Schmerztherapie kann fächerübergreifend gemessen und fortentwickelt werden – Konkretisierung im Gesetzentwurf ist nötig“.
Anlässlich der heutigen Beratung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags zum Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) nimmt die zur Anhörung geladene Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. ausführlich Stellung (vgl. Anlage) und lobt die vorgesehene „Qualitätsorientierung“ als neue Zweckbestimmung des Gesetzes. „Gerade in Zeiten eines sich weiter verschärfenden ökonomischen Drucks auf Krankenhäuser sind Regelungen der Qualitätsorientierung notwendige Leitplanken einer hochwertigen und fachlich soliden Krankenhausversorgung“, berichtet die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.
„Qualität in der Schmerztherapie kann fächerübergreifend gemessen und fortentwickelt werden“, so Schmerz-Präsident Prof. Dr. Michael Schäfer. Der Gesetzentwurf sollte deshalb noch Präzisierungen aufnehmen, wie sie etwa die 88. Gesundheitsministerkonferenz der Länder bereits am 24./25. Juni 2015 als Empfehlung beschlossen hat. „Beispielsweise wäre es gut, würde das Gesetz konkret den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragen, für ein strukturiertes Akutschmerzmanagement der Krankenhäuser Qualitätskriterien zu entwickeln“ so der Schmerz-Präsident.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. bittet den Bundesgesetzgeber:
- Den G-BA explizit gesetzlich zu beauftragen, Qualitätskriterien für ein strukturiertes Akutschmerzmanagement inkl. geeigneter Indikatoren zu entwickeln.
- Ergänzend systematische Patientenbefragungen, auch in der Qualitätsmessung der Schmerztherapie, einzuführen.
- Die Versorgungsforschung im Bereich Schmerz auszubauen, beispielsweise durch Implementierung eines entsprechenden „Schmerz-Registers“.
Entsprechend den Empfehlungen des 117. Deutschen Ärztetags 2014 würde die Implementierung eines strukturierten Akutschmerzmanagements in die Qualitätsmanagementsysteme der Krankenhäuser mit einem möglichst sogar fächerübergreifenden Qualitätsindikator “Schmerz” analog den infektiologischen Qualitätsindikatoren „Nosokomiale Pneumonie“ oder „Dekubitusprophylaxe“ die Grundlage einer dauerhaften Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgung im Krankenhaus darstellen. Bei der Kriterien-/Indikatorentwicklung kann der G-BA u. a. auf Leitlinien (z. B. zum Thema Akutschmerz) und wissenschaftliche Projektergebnisse wie z. B. dem PROJEKT QUIPS – Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie – oder aber des europäischen PAIN OUT-Projektes sowie publizierte Daten der bereits bestehenden Zertifizierungseinrichtungen zurückgreifen.
Wie gut bzw. wie schlecht die Schmerzversorgung einer Klinik ist, ist oftmals auch eine Frage der einrichtungsinternen Qualitätsstrategie. Leider nehmen derzeit nur ca. 10 % der Kliniken an Zertifizierungs- oder qualitätsvergleichende Maßnahmen teil, obwohl die WHO Schmerz als 1 von 7 Indikatoren im ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health der WHO) explizit benennt und in Deutschland geeignete Initiativen zur Verfügung stehen, wie z. B. durch die Angebote der Gesellschaft für Qualifizierte Schmerztherapie – CERTKOM e. V., des TÜVs oder des vom Gesundheitsministerium geförderten QUIPS-Projektes.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. bittet den Gesetzgeber:
- Teilnahme an Qualitätssicherungsinitiativen für Kliniken im Bereich der Schmerztherapie verpflichtend vorzusehen oder zumindest durch Vergütungsanreize zu unterstützen.
- Sowie die Transparenz über entsprechende Zertifikate, aber auch Ergebnisqualitäten in den Routinedaten vorzunehmen und entsprechend in der Qualitätsberichterstattung abzubilden.
- Struktur- und Prozesselemente, die wissenschaftlich nachweisbar zu einer Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgungsqualität beitragen, verbindlich festzulegen (z. B. Vorhandensein und Mindestmerkmale von ASD).
Neben der Akutschmerzversorgung übernehmen die Kliniken eine wichtige Aufgabe in der (teil)stationären Versorgung oftmals chronisch schmerzkranker Patientinnen und Patienten, in Ergänzung zur ambulanten Therapie durch niedergelassene Therapeutinnen/Therapeuten.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. hat als medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft in den letzten Jahren ein Instrument (KEDOQ-Schmerz) zur Qualitätssicherung in der multimodalen Schmerztherapie fachlich entwickelt und sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich mit der Einführung begonnen.
Zudem empfiehlt die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.,
- dass der G-BA bei einer schmerztherapeutischen Behandlung eine Beteiligung an KEDOQ-Schmerz oder einem vergleichbaren und mit diesem kompatiblen Instrument der Qualitätssicherung vorsieht und fördert.
Im Rahmen der Landeskrankenhausplanung sollten zudem
- Schmerzbetten auch der (teil-)stationären Versorgung explizit ausgewiesen werden,
- sichergestellt werden, dass in den Kliniken eine interdisziplinäre, multimodale Versorgung stattfindet und diese mit der ambulanten Nachbehandlung verschränkt ist,
- die Vertragspartner von den an der Schmerzversorgung beteiligten Gesellschaften entwickelte Strukturkriterien zur Versorgungsplanung bzw. deren Ausgestaltung nutzen. Zudem sollte der regionale Versorgungsbedarf auch im ambulanten Bereich berücksichtigt werden, beispielsweise u. a. durch Thematisierung im gemeinsamen Landesgremium nach § 90a SGB V
Wichtig ist, dass die Schmerztherapie in den Einrichtungen des Gesundheitswesens multimodal und interdisziplinär erfolgt. Dazu ist es nötig, dass diese auch hinreichend spezialisierte Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Psychologen und Ärzte haben. Entsprechende Curricula wie z. B. Pain-Nurse/Algesiologische Fachassistenz oder aber Zusatzqualifikationen für Physiotherapeuten oder aber spezielle Fort- und Weiterbildungen bei Ärzten und Psychologen existieren und werden bundesweit u. a. von den Fachgesellschaften organisiert bzw. geprüft. Die Effekte einer spezialisierten Fort- und Weiterbildung, etwa im Bereich der Pflege, sind wissenschaftlich dokumentiert. Diesbezüglich verweisen wir u. a. auf die erfolgreiche Arbeit des DNQP (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege) beispielsweise mit deren Expertenstandards zu Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten und chronischen Schmerzen.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. bittet den Gesetzgeber, im Rahmen des Pflegestellen-Förderprogramms explizit auch Schmerz spezialisierte Pflegestellen vorzusehen.
Wir laden die Akteure des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik ein, die jeweiligen Handlungsfelder u. a. im Rahmen des jährlich tagendenden Nationalen Schmerzforums (vgl. www.nationales-schmerzforum.de ) zu vertiefen. Ergänzende Fragestellungen ergeben sich auch aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage (Drucksache 17/14631) zum Thema Versorgungslage chronisch schmerzkranker Menschen sowie dem HTA-Bericht 126 des DIMIDI zum Thema „Akutschmerztherapie auf operativen und konserverativen Stationen“.
Unabhängig von der Qualitätsorientierung des KHSG setzt die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. große Hoffnungen auch in das im Rahmen des Versorgungsstärkungsgesetz bereits verankerte Zweitmeinungsverfahren von planbaren Operationen sowie in den laufenden Erarbeitungsprozess eines DMP-Rückenschmerz. Das Thema „Schmerz“ muss weiter zum TOP-Thema auch der Gesundheitspolitik werden. Diesbezügliche Details erörtert die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. regelmäßig im Nationalen Schmerzforum, das zentrale Akteure jährlich zusammenführt (vgl. www.nationales-schmerzforum.de ). Das 2. Nationale Schmerzforum findet am 17. September 2015 im Hotel Abion in Berlin statt.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. ist mit rund 3.400 persönlichen Mitgliedern die größte wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft im Bereich Schmerz in Europa. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. ist Mitglied der IASP (International Association for the Study of Pain) sowie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Sie ist zudem die interdisziplinäre Schmerzdachgesellschaft von derzeit 15 mitgliederstarken weiteren medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Bereich Schmerz. Diese Fachgesellschaften repräsentieren über 60.000 Mitglieder. Ihre Mitgliedschaft ist interdisziplinär und interprofessionell und besteht aus Schmerzexperten aus Praxis, Klinik, Psychologen, Pflege, Physiotherapie u. a. sowie wissenschaftlich ausgewiesenen Schmerzforschern aus Forschung, Hochschule und Lehre.
Etwa 23 Mio. Deutsche (28 %) berichten über chronische Schmerzen, 95 % davon über chronische Schmerzen, die nicht durch Tumorerkrankungen bedingt sind. Legt man die „Messlatte“ der Beeinträchtigung durch die Schmerzen zugrunde, so erfüllen 6 Mio. Deutsche die Kriterien eines chronischen, nicht tumorbedingten, beeinträchtigenden Schmerzes. Die Zahl chronischer, nicht tumorbedingter Schmerzen mit starker Beeinträchtigung und assoziierten psychischen Beeinträchtigungen (Schmerzkrankheit) liegt bei 2,2 Mio. Deutschen.