Hamburg – Kinder suchtkranker Menschen sind besonders schutzbedürftig, denn sie sind speziellen Risiken und Belastungen ausgesetzt. Deshalb werden substituierende Ärztinnen und Ärzte sowie Mitarbeiter von Suchtberatungsstellen und Jugendämtern in Hamburg künftig gemeinsam ein besonderes Augenmerk auf Kinder von Substitutionspatienten haben und dazu alle relevanten Informationen über die Familien austauschen. Dazu sollen sie regelmäßig von der Schweigepflicht entbunden werden. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung mit Regeln für die Zusammenarbeit und die Unterstützung der Familien ist jetzt von der Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH), den Trägern der Suchthilfe, den Bezirksämter und den zuständigen Behörden unterzeichnet worden.
„Auch Kinder von Substituierten sollen in ihrer eigenen Familie gesund aufwachsen können. Damit das gelingt, brauchen wir ein Frühwarnsystem, das uns Unterstützungsbedarf der substituierten Eltern und eventuelle Gefährdungen der Kinder rechtzeitig anzeigt. Mit dieser Vereinbarung übernehmen alle Beteiligten Verantwortung für das Wohl der Kinder und arbeiten eng zusammen“, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.
„Mit dieser Vereinbarung wollen wir erreichen, dass Ärzte schon bei Besorgnissen über Kindeswohlgefährdungen regelhaft die Jugendämter informieren und nicht erst, wenn Gefährdungen offenkundig sind oder sich bereits länger verfestigt haben“, sagt Sozial- und Familiensenator Detlef Scheele. „Das ist mehr als uns das Bundeskinderschutzgesetz abverlangt – und gut für die betroffenen Kinder.“
„Wir bekennen uns zu der gemeinsamen Verantwortung, die auch die Ärztinnen und Ärzte nicht nur für ihre Patienten, sondern auch für deren Kinder tragen. Die Familien erhalten an verschiedenen Stellen Hilfe, wir wollen das – im Sinne der Kinder – noch besser miteinander verzahnen“, sagt Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg erinnerte an die Mitverantwortung der Patienten „Mit der Substitution bieten wir einen gangbaren Weg aus der Drogenabhängigkeit“, erklärte Walter Plassmann, stellvertretender Vorsitzender der KV Hamburg. „Mit dieser Chance müssen alle Beteiligten verantwortungsvoll umgehen.“ Probleme in Einzelfällen sollten nicht zum Anlass genommen werden, die gesamte Substitutionsbehandlung in Frage zu stellen. „Das Engagement der Ärztinnen und Ärzte darf nicht durch überzogene Forderungen untergraben werden.“ Die Kooperationsvereinbarung schaffe hierfür im einem speziellen Bereich weitere Klarheit, dies werde von der KVH nachdrücklich begrüßt.
Die engere Kooperation zwischen Ärzten, Suchthilfe und Jugendhilfe wird durch die neuen Regelungen im Bundeskinderschutzgesetz erleichtert. Es regelt die Übermittlung von Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung durch Geheimnisträger wie Ärzte oder Suchtberater an die Jugendämter in einem abgestuften Verfahren. In Hamburg sollen substituierte Eltern ihre Ärztinnen und Ärzte, ihre Suchtberater und die Jugendamtsmitarbeiter künftig immer von der Schweigepflicht entbinden, damit die Beteiligten sich gegenseitig informieren können. Dann können substituierende Ärzte dem Jugendamt Patienten mit Kindern melden, die Unterstützung bei der Erziehung benötigen oder bei denen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Bei gewichtigen Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung hat, wenn der Gefahr nicht anders abgeholfen werden kann, eine Meldung an das Jugendamt zu erfolgen, auch ohne vorliegende Schweigepflichtentbindung.
Das Jugendamt muss alle notwendigen Maßnahmen einleiten, um Familien zu unterstützen und eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Um Hilfebedarf und Kindeswohlgefährdungen zu erkennen, haben die Kooperationspartner einen Katalog von Indikatoren erarbeitet.
Wenn Substituierte selbst Eltern sind oder minderjährige Kinder in ihrem Haushalt leben, wird von den Ärztinnen und Ärzten immer eine Einrichtung der Psychosozialen Betreuung (PSB) eingeschaltet. Ärzte und PSB informieren sich laufend über den Behandlungs- und Betreuungsverlauf. Die 2008 in Hamburg eingeführte Begrenzung der psychosozialen Betreuung auf maximal zwei Jahre wurde schon zur Jahreswende 2011/2012 für drogenabhängige Eltern aufgehoben.
Bei den Gesprächen zur Erarbeitung der Vereinbarung haben sich die Unterzeichner auch mit der sogenannten Take-Home-Verordnung, speziell unter dem Aspekt der Sicherheit für Kinder befasst. Die Vorgabe der Bundesärztekammer, dass eine Take-Home-Verordnung nur möglich ist, wenn „keine Hinweise für eine Fremdgefährdung bestehen“, wurde dahingehend verschärft, dass an dieses Kriterium besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn minderjährige Kinder im Haushalt der substituierten Patienten leben.
Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks: „Ich habe die KVH dringend gebeten sicherzustellen, dass die verschärften Anforderungen an Take-Home-Verordnungen in Hamburg von allen substituierenden Ärzten eingehalten werden. Wenn Kinder im Haushalt leben, muss gelten: Im Zweifel für den Kinderschutz.“
Deshalb wurde vereinbart, dass die Ärztinnen und Ärzte Entscheidungshilfen, die Bestandteil der Kooperationsvereinbarung sind, nutzen, um die Situation bewerten und entscheiden zu können, ob eine Take-Home-Vergabe verantwortet werden kann. Sollte aus diesem Grund eine Take-Home-Vergabe nicht möglich sein, so kann durch eine Überweisung an eine der Substitutionsambulanzen die Versorgung mit dem Substitut sichergestellt werden. In diesem Fall soll auch abgewogen werden, ob grundsätzlich eine Behandlung in einer Ambulanz mit erhöhter Kontaktfrequenz sinnvoll ist.
Die Kooperationsvereinbarung, die in drei Jahren hinsichtlich Wirksamkeit und Praktikabilität überprüft wird, wie auch die genannten Anlagen, sind unter www.hamburg.de/startseite-drogen-sucht online verfügbar.