Essen – Das neue Medium der Apotheken, das Patienten und Kunden mit Informationen zu Gesundheit und Gesundheitspolitik versorgt, und bisher unter dem Titel “Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland” erschien, trägt ab Juni den Titel “Die Apotheke hilft”. Die Zeitung, die monatlich in einer Auflage von 1 Million Exemplaren in Apotheken abgegeben wird, erhielt von Reed Business Information GmbH, München, eine einstweilige Verfügung, da der Verlag die “Ärztliche Praxis Gesundheitszeitung” herausgibt und Titelschutzrechte an dem Begriff “Gesundheitszeitung” geltend macht. Die Berechtigung des Anspruchs wird gerichtlich geklärt.
In der aktuellen Ausgabe beschäftigt sich die Titelseite der Zeitung “Die Apotheke hilft” ausführlich mit den Bestrebungen großer Konzerne, den deutschen Apothekenmarkt durch Apothekenketten zu zerstören. Arbeitsplätze und eine kontrollierte Arzneimittelversorgung würden dadurch gefährdet:
HEUSCHRECKEN ODER ÄHNLICH wgk. “Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben”.
Als Franz Müntefering im November 2004 in einer Rede zum ersten Mal das einprägsame Bild von den “Heuschrecken” benutzte, ahnte er nicht, dass er Wirtschaft und Gesellschaft in eine bis heute anhaltende Diskussion stürzen würde. Oder doch? Im April 2005 legte er in der “Bild am Sonntag” nach: “Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter…”
Wer auch immer sich seitdem öffentlich mit dem Begriff der “Heuschrecken” beschäftigte, er bezog eindeutig Stellung: dafür oder dagegen. Inzwischen hat sich die Diskussion zwar versachlicht, aber das Grundproblem bleibt: Immer wenn ein großes Unternehmen verkündet, es müsse tausende Arbeitsplätze abbauen, lassen sich entsprechende Assoziationen weder in den Medien noch in den Köpfen der Menschen verhindern. Längst hat das Volk den Begriff der “Heuschrecken” neu interpretiert.
Doch Arbeitsplätze lassen sich auch leise abbauen. Nur in Fachkreisen erregte es Aufsehen, als Celesio, Europas bedeutendster Arzneimittel-Großhändler und Betreiber von Apothekenketten, bekanntgab, er wolle die holländische Versandapotheke “DocMorris” kaufen. Die ist hierzulande gerade dabei, über ein “Franchise-System” eine Apothekenkette aufzuziehen. Celesio, ein Unternehmen des Haniel-Konzerns, zu dem auch die Metro gehört, ist fest entschlossen, den Ausbau dieser Apothekenkette zu forcieren.
Dazu müssten allerdings die deutschen Gesetze geändert werden. Immer noch ist der Besitz von bis zu vier Apotheken nur Apothekern erlaubt. Zum Verbot des “Fremd- und Mehrbesitzes” hat sich der Bundestag zuletzt am 28. September 2006 mit überwältigender Mehrheit bekannt.
Wohl unter dem Motto “das Recht folgt der Politik” hatte zuvor Josef Hecken, CDU, Minister für Justiz, Gesundheit und Soziales im Saarland und vor seiner Rückkehr in die Politik im Jahre 1999 Abteilungsleiter bei der Metro AG, bereits am 29. Juni 2006 der holländischen Kapitalgesellschaft das Betreiben einer Apotheke in Saarbrücken erlaubt. Die Eilfertigkeit, mit der Hecken angeblich europäisches Recht (zum deutschen Fremd- und Mehrbesitzverbot gibt es noch keine richterliche Entscheidung) über deutsches Recht stellte, verblüffte selbst die Ministerkollegen in den Bundesländern. Jetzt liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof. Hilfe für Freunde von Apothekenketten kommt auch von Bündnis 90/Die Grünen. Sie hatten am 5. September 2006 einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzes im Bundestag eingebracht. Selbst linke Pharmazeuten und Parteimitglieder waren darüber fassungslos. In einem Brief an die Parteispitze monierten sie die Naivität der Auffassung, dass “multinationale Konzerne für eine vergleichbare Arzneimittelsicherheit sorgen werden wie die bisherige Apothekenstruktur”. Die Partei vertrete darüber hinaus ein “nicht akzeptables Arzneimittelverständnis”, wenn man die Arzneimittelabgabe für “so unproblematisch wie den Verkauf von Brötchen” halte. Braucht Deutschland Apothekenketten? Jenseits aller renditegetriebenen Planspiele von Konzernen sehen Experten und Politiker keinen Bedarf. Dr. Wolf Bauer, CDU-Abgeordneter, am 28. September 2006 im Bundestag: “Das Verbot des Fremd- und uneingeschränkten Mehrbesitzes dient dem Zweck, eine geordnete, verlässliche und kontrollierte Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.”
Die ist auch dringend notwendig. Ob seitens der Weltgesundheits-Organisation (WHO) oder des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, ob seitens der Gesundheitsämter oder der Krankenkassen – die Warnungen vor gefälschten Arzneimitteln im Internethandel nehmen dramatisch zu. Zur zunehmenden Nutzung dieses unkontrollierten Vertriebsweges hat nicht zuletzt die voreilige Freigabe des Arzneimittel-Versandhandels zum 1. Januar 2004 durch die damalige Bundesregierung beigetragen. Wird man den gleichen Fehler zweimal machen?
Ketten können nur Geld verdienen, wenn sie Personal einsparen. Dass mit der Zulassung von Apothekenketten zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wissen nicht nur die Experten: In Ketten sucht der Verbraucher oft verzweifelt nach dem Berater. Aber Arzneimittel vertragen kein Beratungsvakuum. Das glauben nur Gesunde. “Wer Netze knüpft, will Beute machen”, formulierte einmal Dr. Johannes Pieck, ehemals Hauptgeschäftsführer der ABDA-Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Beute aber gibt es nur da, wo die meisten Verbraucher sind. Auf dem Land hingegen würden die Wege zu einer Apotheke bald so weit sein wie die zum Krankenhaus. Deutschland will keine Apothekenketten.
REIFE LEISTUNG Ein Kommentar der Redaktion
Deutschland ist eine hoch entwickelte Volkswirtschaft. In hoch entwickelten Volkswirtschaften schafft nur noch der Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze; nicht die Landwirtschaft und auch nicht die Industrie. Die muss rationalisieren, globalisieren und “outsourcen”. Damit Deutschland konkurrenzfähig bleibt. Der Dienstleistungssektor muss es also richten. Der “Jobmotor” aber stottert. Seit zehn Jahren ist Sand im Getriebe. Da tut sich wenig in Richtung Arbeitsplätze. Da hilft auch der augenblickliche kleine Wirtschaftsaufschwung nicht drüber weg. Experten sagen: Das hält nicht.
Warum das so ist? Die Erklärung ist einfach: Die Politik versteht es nicht. Sie drangsaliert den “Dienstleistungssektor” und verhindert damit hunderttausende neuer Arbeitsplätze. Das Zauberwort heißt “Liberalisierung”. Das hört sich gut an. Unter dieser Flagge kann man dem arbeitsplatzschaffenden Mittelstand und den freien Berufen in Ruhe den Garaus machen, kann dem Handwerk die Meisterprüfung nehmen und den Architekten die Honorarordnung, den Rechtsanwälten das Beratungsprivileg und den Fachgeschäften den Ladenschluss. Und dann noch der Gesundheitssektor! Das ist Dienstleistung pur. Aber da kann man auch etwas tun. Zum Beispiel die Krankenhäuser durch zu niedrige Fallpauschalen erst “vergammeln” lassen und dann in den Bankrott treiben. So als gäbe es keine älter werdende Gesellschaft, die mehr statt weniger Krankenhäuser brauchen wird. Und man kann den Versandhandel mit Medikamenten erlauben. Da entstehen die Arbeitsplätze wenigstens im Ausland. Immerhin. Jetzt fehlen in Deutschland nur noch Apothekenketten. Damit auch da jede Menge qualifizierte Frauen-Arbeitsplätze verschwinden. Und Ausbildungsplätze. Die Grünen sind dafür. Sie haben im September 2006 einen Gesetzentwurf eingebracht, zugunsten der Konzerne, denn nur die können Apothekenketten betreiben.
Verkehrte Welt.