Bochum – Die Finanzmittel aus dem Gesundheitsfonds werden infolge eines offensichtlichen Methodenfehlers bei der Zuweisungsberechnung für ältere und kranke Versicherte fehlerhaft zugunsten von jungen und gesunden Versicherten verteilt, darauf weist der Erste Direktor der Knappschaft, Dr. Georg Greve hin. In Expertenkreisen und bei den Fachleuten im Gesundheitsministerium ist das kein Geheimnis, so Greve weiter. Auf diesen Fehler weisen der wissenschaftliche Beirat und das Bundesversicherungsamt schon seit langem hin; die gravierenden Auswirkungen auf die Finanzsituation der davon betroffenen Kassen sind bekannt.
An diesem unerträglichen Zustand, der erhebliche negative Auswirkungen für die Versorgung kranker und älterer Menschen hat, soll entgegen dem Rat unabhängiger Experten offensichtlich keine Veränderung erfolgen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates, das den genannten Methodenfehler identifiziert, wird unter Verschluss gehalten. Darüber hinaus ist vorgesehen, künftig ein Großteil der stationären Diagnosen, die für die Bestimmung von Erkrankungen älterer Menschen von Bedeutung sind, zu entwerten. Bei der Umsetzung dieses Vorschlages würde den Kassen weitere Finanzmittel zur Versorgung alter und kranker Versicherter entzogen.
Mittel fehlen für die Versorgung der benachteiligten Personengruppen
Die Konsequenzen sind offensichtlich: Den Krankenkassen fehlen auf Dauer die Mittel zur Finanzierung der Leistungen für alte und kranke Versicherte. Das deutsche Gesundheitssystem wird seine hochwertige Versorgungsqualität einbüßen, aber nach wie vor eines der teuersten Systeme weltweit bleiben; denn durch die o.g. fachlich methodischen Fehler wird das Volumen des Gesundheitsfonds nicht abgesenkt, sondern lediglich falsch verteilt. Darüber hinaus droht langfristig ein Kassensterben, das allerdings nicht unwirtschaftliche Kassen betrifft, sondern Kassen mit vielen alten und kranken Versicherten. Der von der Politik gewünschte Wettbewerb unter den Krankenkassen findet damit faktisch nicht statt.
Die Knappschaft appelliert an das Bundesgesundheitsministerium, unverzüglich das Gutachten des neutralen und unabhängigen wissenschaftlichen Beirates zu veröffentlichen, damit die Zielgenauigkeit der Zuweisungsberechnung aufgrund der Evaluationsergebnisse der Wissenschaftler verbessert werden kann. Damit kann der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich die Aufgabe übernehmen, für die er geschaffen wurde: Das Setzen verbindlicher, gerechter und nicht-diskriminierender Rahmenbedingungen im Wettbewerb der sozialen, solidarischen Gesetzlichen Krankenversicherung.
Zum Hintergrund:
Das Ziel des Risikostrukturausgleiches (RSA) besteht darin, einen Ausgleich für die unterschiedlichen Versichertenstrukturen der einzelnen Krankenkassen zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2005 das damals bestehende RSA-Verfahren kritisch gewürdigt und festgestellt, dass Anreize zur Risikoselektion und damit zu einem Risikoselektionswettbewerb bestehen, was einer Verfehlung der gesetzlichen Hauptziele des RSA gleichkommt. Ferner wurde zur Erzielung eines adäquaten Solidarausgleiches damals ein Ausgleichskonzept mit direkter Morbiditätsorientierung (Morbi-RSA) empfohlen.
Hat der Morbi-RSA in seiner bisherigen Ausgestaltung diese Zielsetzung erreicht? Auf der einen Seite werden auf Basis immer differenzierterer Datengrundlagen aufwändige Berechnungsverfahren entwickelt, um die Zielgenauigkeit der Zuweisungsermittlung zu erhöhen. Auf der anderen Seite aber zeigen die Ergebnisse des Jahresausgleiches 2009 nach wie vor grobe Fehlverteilungen. Während bei gesunden Versicherten mit geringen Ausgaben die Zuweisungen die Ausgaben im Durchschnitt um das Fünffache übersteigen, sind bei kranken Versicherten mit Ausgaben ab 4.000 Euro p.a. die Zuweisungen stets zu gering. Dabei gilt die Regel: je mehr Ausgaben ein Versicherter verursacht, umso größer ist die Unterdeckung durch die Zuweisungen aus dem Morbi-RSA. Dieser Tatbestand gilt GKV-weit und kann daher nicht dem Handeln einzelner Kassen angelastet werden.