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Kinder und Jugendliche mit höchsten Süßigkeitenverzehr haben niedriges Risiko für Übergewicht und Adipositas

Neue Großstudie im Top-Journal der American Society for Nutrition

Eschborn – Eine aktuelle Großanalyse von 19 Studien, veröffentlicht im American Journal of Clinical Nutrition, dem wissenschaftlichen Top-Journal der American Society for Nutrition, hat ergeben: Die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht und Fettleibigkeit war bei Kindern und Jugendlichen mit dem höchsten Konsum von Süßigkeiten und Schokolade um 18% niedriger als bei den „Normalnaschern“ (Referenzgruppe). Die von ihren eigenen Ergebnissen überraschten Autoren empfehlen: „Maßnahmen gegen Fettleibigkeit sollten andere Ernährungselemente fokussieren statt Süßigkeiten.“ [1]

Diese Studie passt zu einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen der letzten Jahre, die vermeintliche Ernährungsweisheiten ad absurdum führen – beispielsweise hatten Jugendliche mit hohem Fast Food-Verzehr einen niedrigen BMI und der Zusammenhang von Softdrinks mit Übergewicht blieb unklar [2,3]. „Fast Food, Softdrinks und Süßigkeiten werden als Dickmacher gebrandmarkt, damit ratlose Ernährungsapostel der Öffentlichkeit „Schuldige“ präsentieren können“, erklärt Ernährungswissenschaftler und Buchautor Uwe Knop, „dabei existiert kein einziger Beweis für deren Dickmacher-Effekt – ganz im Gegenteil: aktuelle Studien zeigen entweder keinen oder einen ernährungspolitisch unerwünschten Zusammenhang – und zwar, dass mit höherem Konsum der vermeintlichen Dickmacher ein niedrigeres Körpergewicht verbunden ist.“

Diplom-Ökotrophologe Knop hat für sein neues Rowohlt-Buch Ernährungswahn* mehr als 1.000 aktuelle Studien kritisch analysiert – sein Fazit ist klar: „Niemand kann sagen, was gesunde Ernährung ist – denn Ernährungsforschung gleicht dem Lesen einer Glaskugel, da dieser evidenzlimitierte Forschungszweig keine harten Beweise, sondern systembedingt nur wachsweiche Hypothesen liefert.“ (siehe dazu auch: „Wissenschaftliche Hintergrundinfos“, S.3)

Drei neue Studien: „Nahrungsmedizin“ Schokolade?

Weitere aktuelle „Schoko-Studien“ bei Erwachsenen ergaben: Schokoladen-Konsum ist mit einem niedrigen Risiko sowohl für Herz-Durchblutungsstöungen und Herzinfarkt [4] als auch für geistigen Abbau [5] verbunden. Des Weiteren zeigte eine Studie im British Journal of Nutrition: der tägliche Konsum von Schokolade stand in Zusammenhang mit einer verminderten Wahrscheinlichkeit für Insulin-Resistenz, einem wichtigen Risikofaktor des metabolischen Syndroms [6]. Ist Schokolade nun ein „ungesunder Dickmacher“ oder eine „gesunde Nahrungsmedizin“? Auch diese drei Studien bestätigen Knop zufolge das ökotrophologische Universalcredo: Nichts Genaues weiß man nicht …

LITERATURQUELLEN:

[1] Am J Clin Nutr. 2016 May; 103(5):1344-56. doi: 10.3945/ajcn.115.119883. Epub 2016 Apr 13 / Confectionery consumption and overweight, obesity, and related outcomes in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis. Abstract und Vollpublikation NO CONFLICT OF INTEREST

Am J Clin Nutr.: “The best clinical research journal in the nutrition field.”

[2] BMJ-Open 2014;4: e005813, doi:10.1136 / bmjopen-2014-005813 / Fast-food consumption and body mass index in children and adolescents: an international crosssectional study

[3] Child Obes. 2015 Aug; 11 (4): 338-46. doi: 10.1089/chi.2014.0117 Sugar-Sweetened Beverages and Obesity among Children and Adolescents: A Review of Systematic Literature Reviews

[4] Heart. 2016 Jul 1;102(13):1017-22. doi: 10.1136/heartjnl-2015-309203. Epub 2016 Mar 2 / Chocolate consumption and risk of myocardial infarction: a prospective study and meta-analysis

[5] J Alzheimers Dis. 2016 May 6;53(1):85-93. doi: 10.3233/JAD-160142. / Chocolate Consumption is Associated with a Lower Risk of Cognitive Decline

[6] Br J Nutr. 2016 May;115(9):1661-8. doi: 10.1017/S0007114516000702. Epub 2016 Mar 17. / Daily chocolate consumption is inversely associated with insulin resistance and liver enzymes in the Observation of Cardiovascular Risk Factors in Luxembourg study

[*] Ernährungswahn – Warum wir keine Angst vorm Essen haben müssen, rowohlt, Verlag rororo, Taschenbuch, 160 Seiten, 9,99 € (D), erhältlich in D/A/CH seit 22.04.2016

Journalisten können Rezensionsexemplare anfordern unter folgender Adresse: hanna.biresch@rowohlt.de Autor Uwe Knop steht für weitere Auskünfte und Interviews gerne zur Verfügung.

„Ernährungswahn. Warum wir keine Angst vorm Essen haben müssen“
Originalausgabe, 180 Seiten, 978-3-499-63149-8, rororo
Erscheinungstermin: 22. April 2016


WISSENSCHAFTLICHE HINTERGRUNDINFOS

„Bemitleidenswerte Ernährungsforschung“

Der desolate Zustand ökotrophologischer Forschung ist in der Fachwelt schon lange bekannt. So erklärte der Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien bewertet, Prof. Gerd Antes bereits 2011: „Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage. Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse“ [7]. Nur ein Jahr später ergänzte sein „Studienbewertungskollege“ vom staatlichen IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), Dr. Klaus Koch, zur Kernschwäche von Ernährungs-Beobachtungsstudien: „Epidemiologische Studien können normalerweise keine Beweise liefern. Punkt“ [8]. Daher ist für Prof. Gabriele Meyer, ehemalige Vorsitzende des DNEbM e.V. (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin) und aktuell Mitglied im Sachverständigenrat von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, klar: „Beobachtungsstudien sind nicht geeignet, präventive oder therapeutische Empfehlungen abzuleiten“ [9]. Einer der Gründe: Beobachtungsstudien liefern ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), jedoch niemals Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen/Beweise).

Auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wurde jüngst immer wieder auf die systemimmanente Kernschwäche der Ernährungsforschung hingewiesen: Viele ihrer Ergebnisse seien „völlig unglaubwürdig“ – und auch eine „weitere Million Beobachtungsstudien“ würde keine endgültigen Lösungen liefern [10]. Aufgrund zahlreicher Schwächen dieser Untersuchungen werden Politiker zu „größerer Vorsicht bei Ernährungsempfehlungen“ angemahnt, da diese primär auf Beobachtungsstudien basieren, die nicht durch klinische Studien bestätigt wurden [11].

„Nicht genügend wissenschaftliche Evidenz“

Dem entsprechend war es nur eine Frage der Zeit, bis im Februar 2016 Prof. Peter Stehle, Präsidiumsmitglied der DGE e.V. (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) öffentlich offenbarte, dass die Ernährungsforscher ein Problem haben: „Wir können nicht genügend wissenschaftliche Evidenz liefern.“ Denn das sei „tatsächlich schwierig, das Liefern von Belegen.“ Die beobachteten Ergebnisse der Ernährungsforschung seien daher „argumentativ natürlich sehr, sehr schwach. Aber das war immer so und wird so bleiben.“ Denn zu diesen Studien, die harte Evidenz, also Beweise für beispielsweise gesunde Ernährung liefern, erklärt Stehle: „Solche Interventionsstudien wird es nie geben.“ Auch auf die Frage, wie hoch der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit (Verfassung) ist, spricht Stehle Klartext: „Das lässt sich nicht quantifizieren. Niemand weiß das“ [12]. Dementsprechend dünn ist auch das Fazit zu gesunder Ernährung von Prof. Jana Rückert-John, Hochschule Fulda: „Was am Ende dann bleibt, ist sich ausgewogen zu ernähren.“ Dabei solle man von allem essen und die „Lust und den Spaß am Essen im Zuge des ganzen Gesundheitswahns nicht verlieren.“ [13]


[7] Süddeutsche Zeitung „Falsche Früchtchen“

[8] Spiegel online, „Überschätze Gesundheitsstudien: Wer zu viel glaubt, bleibt dumm“

[9] Novo Argumente, „Ernährungsregeln – wo bleiben die Daten?“

[10] Implausible results in human nutrition research – Definitive solutions won’t come from another million observational papers or small randomized trials

[11] Limitations of Observational Evidence: Implications for Evidence-Based Dietary Recommendations

[12] Bonner General Anzeiger, „Der Verbraucher versteht das Wort Risiko nicht“

[13] n-tv.de: „Günstiges Essen ist Wohlstandsindikator“