Berlin – 15.12.2022
Medizinrechtler Dr. Stephan Rau: „Weitergehende MVZ-Regulierung mit verfassungs- und europarechtlichen Fallstricken versehen“ / BBMV sieht Handlungsbedarf auch an anderer Stelle
Die Gründungsbefugnis für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ist ein Politikum. Aktuell wird wieder verstärkt über eine Einschränkung der Gründungsbefugnis für Krankenhäuser entlang räumlicher bzw. räumlich-fachlicher Kriterien diskutiert. Bislang ist juristisch nicht zweifelsfrei geklärt, ob eine solche Regulierung überhaupt rechtskonform wäre. Der renommierte Medizinrechtlicher Dr. Stephan Rau hat sich mit dieser Frage beschäftigt und sieht in einer ersten Einschätzung verfassungs- und europarechtliche Fallstricke, die einer näheren Prüfung bedürfen.
Laut Dr. Rau käme eine solche Regelung de facto einem Berufsverbot für bestimmte MVZ-Betreiber gleich. Dies würde insbesondere auch Labore, Telemedizinanbieter und Hausarztgruppen betreffen, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern seit langem tätig sind. Sie dürften nach einer solchen Regelung zumindest nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen wachsen.
„Ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit oder auch die Eigentumsrechte bedürfe einer Rechtfertigung, die dem Grundsatz der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die reine Begründung über „Gefährdungspotentiale“ genügten mit Blick auf die Auswirkungen bei einer räumlichen bzw. räumlich-fachlichen Einschränkung nicht aus.“, so der Medizinrechtler. „Profiteure wären große private Krankenhausgruppen. Warum man diese fördern, aber wesentlich kleinere private ambulante Einheiten einem de facto Berufsverbot unterlegen will, erschließt sich nicht wirklich“.
Bislang liegen keine Erkenntnisse vor, die so tiefeingreifende Einschränkung rechtfertigen würden, so Dr. Rau und verweist dabei auf die Erkenntnisse aus dem Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums von Herrn Prof. Dr. Ladurner, Frau Prof. Dr. Jochimsen und Frau Prof. Dr. Walter.
Im BMG-Gutachten selbst wird der Forderung einer räumlichen Einschränkung ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Gutachter verwerfen die Forderung deutlich aufgrund gewichtiger Gründe und sehen im Status quo „Vorteile für die Versorgung der Versicherten, die nicht leichtfertig aufgehoben werden sollten“. Unter anderem führen sie Skaleneffekte und Effizienzgewinne, Wissens- und Erfahrungsaustausch zum Wohle der Patientinnen und Patienten sowie die Verhinderung unerwünschter „Selbstzuweisung“ in Krankenhäuser an.
Sibylle Stauch-Eckmann, Vorsitzende des BBMV e.V., sieht dann auch an anderer Stelle Handlungsbedarf: „Statt über die Einschränkung der Leistungserbringer in der vertragsärztlichen Versorgung zu diskutieren, sollte der Fokus auf die vor uns stehenden Herausforderungen gelegt werden: ein wachsender Ärzte- und Fachkräftemangel in der Versorgung, steigender Investitionsbedarf etwa in der Digitalisierung, Telemedizin und bei der Ambulantisierung. MVZ-Gruppen sind in all diesen Punkten wichtige Akteure und Partner.“
Die juristische Ersteinschätzung von Dr. Stephan Rau finden Sie hier.
Dr. Stephan Rau, M.Sc. (Econ), L.S.E. und Maître en économie appliquée (Paris – Dauphine) ist Rechtsanwalt in München und spezialisiert auf Transaktionen im Gesundheitswesen. Er vertritt Ärzte, Krankenhäuser, nicht-ärztliche Investoren und die öffentliche Hand. 2004 hat er die Zulassung der ersten MVZ-GmbH erwirkt.
Der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) e.V. setzt sich für eine breite Trägervielfalt und die bestmögliche Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten im ambulanten Gesundheitssektor ein. Die Mitglieder betreiben bundesweit medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Zweigpraxen und tragen so zur wohnortnahen haus- und fachärztlichen Versorgung bei. Um die Investitionen in die Qualität der Gesundheitsversorgung tätigen zu können, greifen sie auf private Kapitalpartner zurück.