Wien/Kopenhagen/Vilnius – Am ersten Tag der internationalen Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen” hissen heute Stadt Wien, das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen und das WHO Regionalbüro für Europa am Wiener Rathaus die Anti-Gewalt-Fahne, um auf ein verstecktes Problem aufmerksam zu machen, das epidemische Dimensionen hat.
Wien/Kopenhagen/Vilnius, 26. November 2013
25,4 Prozent der Frauen in der WHO Region Europa werden zumindest einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt durch einen Partner, und 5,2 Prozent Opfer von sexueller Gewalt außerhalb der Partnerschaft. Das zeigt der WHO-Bericht „Globale und regionale Schätzungen zu Gewalt gegen Frauen”.
„Gewalt gegen Frauen darf in keiner Gesellschaft toleriert werden“, sagt Zsuzsanna Jakab, WHO Regionaldirektorin für Europa. „Um Gewalt zu beseitigen brauchen wir nicht nur ein entschiedenes Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit, wir müssen auch geschlechtsspezifischen Vorurteilen entgegentreten und mit Frauen und Mädchen arbeiten – nicht nur als Gewaltopfer, sondern als Akteurinnen des Wandels. Das erfordert eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit, alle Teile der Gesellschaft müssen in ein gemeinsames Vorgehen eingebunden werden, ganz in Übereinstimmung mit dem neuen Rahmenkonzept für Gesundheitspolitik in der Europäischen Region Gesundheit 2020.“
„Gewaltschutz heißt, Frauen ihre Würde, die ihnen durch Gewalt genommen wurde, wieder zurückzugeben. Wir dürfen nicht aufhören, Gewalt gegen Frauen zu thematisieren und in den politischen Fokus zu rücken. Bewusstseinsbildung ist harte Arbeit, bringt uns aber unseren Zielen näher“, sagt die österreichische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. „So gelang in Österreich ein europaweit wegweisendes Gewaltschutzgesetz. Österreich gehörte auch zu den ersten Staaten, die das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorbehaltlos ratifiziert haben. Österreich hat mit November 2013 den Vorsitz des Europarats übernommen und wird in seiner Vorsitzführung besonders das Thema Gewaltschutz hervorheben.“
ExpertInnen, die am 25. und 26. November in Wien zusammentreffen, rufen Staaten dazu auf, die neuen WHO-Empfehlungen zu klinischen und politischen Maßnahmen umzusetzen und Gewalt gegen Frauen besser zu dokumentieren.
„Wir müssen dieses unsichtbare Verbrechen ebenso ans Licht bringen wie die vielen Formen, in denen geschlechtsspezifische Gewalt in der EU auftritt, von körperlicher und psychischer Gewalt in der Partnerschaft über sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung bis hin zu Zwangsprostitution, Menschenhandel und Genitalverstümmelung“, sagt Thérèse Murphy, Head of Operations, Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) in Vilnius, Litauen. „Alle diese Erscheinungsformen stellen besonders eklatante Menschenrechtsverletzungen dar und spielen eine wichtige Rolle in der Geschlechterdiskriminierung. Geschlechtsspezifische Gewalt, die die ungleiche Verteilung von Macht zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft widerspiegelt, wird von Männern gegenüber Frauen und Mädchen ausgeübt. Es verstärkt Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen und gefährdet die Gesundheit, Würde, Sicherheit und Autonomie der Opfer.“
Neue WHO Empfehlungen für Gesundheitspersonal
Gesundheitseinrichtungen spielen in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen eine zentrale Rolle, weil sie für Gewaltopfer sehr häufig die erste professionelle Anlaufstelle sind. Die neuen WHO-Guidelines zeigen auf, wie Gesundheitssysteme wirksam auf Gewalt gegen Frauen reagieren können. Sie enthalten Empfehlungen dazu, wie Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt als solche erkannt und klinisch betreut werden sollten, zur Erstversorgung, zur Fortbildung von Gesundheitspersonal, sowie grundsätzliche Ansätze zur Gestaltung von Hilfsangeboten oder zur Frage einer Meldepflicht von Fällen häuslicher Gewalt.
„Gewalt gegen Frauen zu beseitigen erfordert gemeinsame Anstrengungen und steht in Wien ganz weit oben auf der politischen Tagesordnung. Die Frauen-, Gesundheits- und Sozialpolitik führen die intersektoralen Bemühungen an, um Frauen, die von Gewalt betroffen sind, wirksam und nachhaltig zu unterstützen und vorbeugend einzugreifen. Das wird durch ein besonders dichtes Netz an Beratungsstellen, Krisen- und Schutzeinrichtungen und durch ein vielfältiges Angebot im Gesundheits- und Sozialbereich sichergestellt, wobei es auch spezielle Unterstützung für besonders benachteiligte und gefährdete Gruppe gibt“, so die Wiener Stadträtinnen Sandra Frauenberger und Sonja Wehsely. Zentral im Gewaltschutznetz sind die Wiener Frauenhäuser, die mit 175 Plätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder die Europarats-Vorgabe von einem Platz pro 10.000 EinwohnerInnen übererfüllen. Besonderer Wert wird auf die Sensibilisierung und Fortbildung von Gesundheitspersonal und Opferschutzgruppen in Spitälern gelegt, um sicherzustellen, dass Gewaltopfer als solche erkannt, angemessen behandelt und weiterbetreut werden.
Dringender Bedarf an zuverlässigen, vergleichbaren Daten
In der Europäischen Union und darüber haben Strategien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt höchste Priorität. Sie müssen durch zuverlässige administrative und statistische Daten über Opfer und Täter unterstützt werden, die nach Geschlecht, Alter und der Opfer-Täter-Beziehung aufbereitet sein sollten. Dieser Grundsatz wurde in der Europäischen Frauen-Charta 2010, der Strategie der Europäischen Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015, dem Stockholm Programm 2010-2014, der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) und der Strategie Gesundheit 2020 bekräftigt. Trotzdem bleibt geschlechtsspezifische Gewalt ein verbreitetes Problem, in vielen Fällen kommt es nicht zur Anzeige. Es stehen zwar in einem gewissen Ausmaß Daten zur Verfügung, diese können aber die Prävalenz von geschlechtsspezifischer Gewalt in Europa nicht ausreichend abbilden.
Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) trägt seit 2010 zur wichtigen Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Europa bei. Zwischen 2010 und 2013 hat EIGE eine Reihe von Studien zum Thema initiiert. Bei der Konferenz in Wien werden die Ergebnisse einiger dieser Studien präsentiert – zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM), zum Gender Equality Index und zu Verwaltungsdaten zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Das EU-Maßnahmenpaket für Verbrechensopfer und die Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (2012/29/EU) wird diese Diskussion weiter vorantreiben. Die Schlussfolgerungen des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz 2012 forderten eine Intensivierung der Bemühungen, in Europa gemeinsame Definitionen und Indikatoren für alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu entwickeln, und ihre einheitliche Verwendung auf Ebene der Mitgliedsstaaten und auf EU-Ebene sicherzustellen.
Die neue EIGE Studie über Verwaltungsdaten zeigt, dass es der derzeitige rechtliche Rahmen nicht ausreichend ermöglicht, vergleichbare Daten zu Gewalt gegen Frauen zu generieren. Insbesondere gilt das für Daten über Opfer und Täter, über den Zugang von Opfern zu Unterstützungsangeboten und übe deren Möglichkeiten, die Bedürfnisse der Opfer ausreichend abzudecken. „Unsere neuen Erkenntnisse zeigen sehr klar die Notwendigkeit der Harmonisierung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bei der Datensammlung auf, um die Prävalenz einschätzen und die Wirksamkeit von Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt messen zu können“, sagt Thérèse Murphy (EIGE) mit Verweis auf die neue Studie, die auf der Konferenz in Wien erstmals präsentiert wird.
Über die Konferenz „Eliminating Violence against Women – Intersectoral Approaches and Actions”
Die Konferenz findet am 25. und 26. November 2013 in Wien statt, mehr als 200 TeilnehmerInnen diskutieren über die Ergebnisse neuer Studien über Gewalt gegen Frauen, den dringenden Bedarf an zuverlässigen und vergleichbaren Daten über das Problem , die Zusammenarbeit aller Sektoren der Gesellschaft zur Bekämpfung und Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, neue internationale Leitlinien für Gesundheitseinrichtungen zum Umgang mit Gewaltopfern sowie erfolgreiche Projekte und Maßnahmen. RepräsentantInnen von Regierungen, internationalen Organisationen, ExpertInnen, WissenschafterInnen und NGO-VertreterInnen treffen bei dieser Tagung zusammen, die gemeinsam von Stadt Wien, dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) sowie dem WHO Regionalbüro Europa ausgerichtet wird.
Internationale Kampagne gegen Gewalt an Frauen
Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und bildet den Auftakt für die weltweite Kampagne „16 Tage gegen Gewalt“, aus deren Anlass die Konferenzdelegierten gemeinsam mit den Wiener Stadträtinnen Sandra Frauenberger und Sonja Wehsely sowie zahlreichen NGOs die Anti-Gewalt-Fahne der Organisation „Terre des Femmes“ am Wiener Rathaus hissten.
Hashtag für die Konferenz auf Twitter: #stopVAWvienna
Livestream der Tagung: www.viewer.dacast.com/beta/b/25779/c/34321
Weitere Informationen von WHO und EIGE:
- Global and regional estimates of violence against women (www.who.int/reproductivehealth/publications/violence/9789241564625/en/index.html);
- Responding to intimate partner violence and sexual violence against women: WHO clinical and policy guidelines ( www.who.int/reproductivehealth/publications/violence/9789241548595/en/index.html);
- Violence against women: victim support (www.eige.europa.eu/content/document/violence-against-women-victim-support-report);
- Female genital mutilation in the European Union and Croatia (www.eige.europa.eu/content/document/female-genital-mutilation-in-the-european-union-and-croatia-report); and
- 16 Days of Activism against Gender Violence (www.who.int/violence_injury_prevention/violence/global_campaign/16_days/en/).