Eschborn – Um der zunehmend bedrohlichen Resistenzsituation entgegenzuwirken, empfehlen die Autoren der aktuellen S3-Leitlinie „unkomplizierte Harnwegsinfektionen“ die Indikation zur Antibiotikatherapie kritisch zu stellen und neue Therapiestrategien ohne Antibiotika einzusetzen. Bei häufig rezidivierender Zystitis werden dort unter anderem Kapuzinerkresse und Meerrettich (wie in ANGOCIN® Anti-Infekt N) empfohlen[1]. „Die Pflanzenkombination sollte in der Leitlinie künftig auch zur Therapie von akuten unkomplizierten Harnwegsinfektionen ergänzt werden“, so der Konsens eines interdisziplinären Expertentreffens deutscher und Schweizer Ärzte, Wissenschaftler und Apotheker Ende 2018 in Frankfurt am Main[2]. Die gute Wirkung und Verträglichkeit der Isothiocyanate (ITC, Senföle) ist in mehreren klinischen Studien bei Harn- und Atemwegsinfektionen belegt[3-6]. Zahlreiche Forschungsarbeiten bestätigen u. a. die antibakterielle[7-14] und antiphlogistische[15-23] Wirkung. Bei Bakterien wird die Entwicklung möglicher Resistenzmechanismen gegen die ITC aufgrund des multimodalen Wirkmechanismus dieser Pflanzenstoffe deutlich erschwert[7,10].
„Aufgrund der guten Studienlage empfehle ich seit Jahren die primäre Phytotherapie mit Senfölen sowohl bei akuten als auch bei häufig wiederkehrenden, akuten Infektionen der ableitenden Harnwege“, erklärte Dr. med. Wolfgang Bühmann, Facharzt für Urologie, Sylt OT Morsum. Der wissenschaftliche Schriftleiter des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V. plädierte für den initialen Einsatz der ITC bei den ersten Anzeichen der Beschwerden. Das sei besser als abzuwarten, ob ein Antibiotikum nötig werde. „Wenn ich einem Patienten sage: Wir können abwarten oder ich kann ihnen etwas Pflanzliches empfehlen, dann wird die pflanzliche Lösung auf jeden Fall bevorzugt“, so Bühmann. Um ein Aufsteigen der Bakterien und damit eine potentiell gefährliche Besiedelung der Nierenbecken zu verhindern, sollte bei der Wahl des alternativen Arzneimittels die antibakterielle Wirkung im Vordergrund stehen und eine Therapie mit nur schmerzstillenden, durchspülenden oder antiadhäsiven Effekten sorgfältig abgewogen werden, so der Konsens der Experten.
Dr. Gero Beckmann, Fachtierarzt für Mikrobiologie aus Bad Bocklet, bemängelte, dass Antibiotika – sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin – immer noch viel zu früh, ungezielt und flächendeckend eingesetzt werden. Er plädierte für einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen hochwirksamen Substanzen und wies auf die Anfertigung eines Antibiogramms vor der Verordnung von Antibiotika hin.
Mit ITC gegen Biofilm-bildende Bakterien
Eine besondere Rolle für die Therapieresistenz der Antibiotika spielen sogenannte bakterielle Biofilme. Wenn sich bakterielle Erreger großflächig zu derartigen komplexen, widerstandsfähigen Verbänden zusammenschließen, können traditionelle Antibiotika kaum mehr etwas bewirken. Sie dringen gar nicht in den Biofilm ein oder entfalten nur eine oberflächliche Wirksamkeit. „Bei den ITC handelt es sich um hochvolatile Substanzen, die sehr mobil sind und bis in tiefe Schichten der Biofilme infiltrieren bzw. diese abtöten können“, erläuterte Professor Dr. Frank Guenther, Facharzt für Mikrobiologie aus Marburg. Auch eine Kombination der Senföle mit konventionellen antimikrobiellen Wirkstoffen sei vielversprechend, betonte Guenther. So könne die gute Biofilmwirksamkeit der Senföle unter Umständen genutzt werden, um die Erreger biofilmassoziierter Infektionen für die konventionellen Wirkstoffe besser zugänglich zu machen.
Den Blick auf die Wünsche der Patienten schärfen
Das Umdenken, das auf der Seite der Ärzte und Apotheker bereits eingesetzt hat, muss nun konsequent in die Bevölkerung getragen werden. Die Bonner Urologin Dr. Sigrid Tapken riet deshalb davon ab, den Patienten Urin-Teststreifen an die Hand zu geben. Dabei komme es häufig zu falsch-positiven Ergebnissen. Dies berge die Gefahr, dass Betroffene Eigendiagnosen stellen und zur Behandlung dann ein Antibiotikum fordern. Viele Patienten sind belehrbar. So berichtete PD Dr. Winfried Vahlensieck, Chefarzt der Urologie in der Kurpark-Klinik Bad Nauheim, dass „die meisten Patienten bei ausreichender Aufklärung über die Kollateralschäden von Antibiotika für eine phytotherapeutische Behandlung offen sind“. Die Pflanzenkombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettich sei ein gutes Beispiel dafür, dass Substanzgemische effektiver sind als Einzelsubstanzen. Die Senföle wirken nicht nur antibakteriell[7-14], sondern zusätzlich antiadhäsiv[24], antiinflammatorisch[15-23] und sogar gegen Viren[25-27].
Antibiotika nicht prophylaktisch verordnen
Die Schweizer Fachärztin für Urogynäkologie und Geburtshilfe Prof. Dr. med. Annette Kuhn forderte dazu auf, „prophylaktische Antibiotikagaben zu vermeiden und – wann immer möglich – pflanzliche Alternativen einzusetzen“. Präventiv eingesetzte Antibiotika hielt auch Christoph Hohmann, Abteilung Naturheilkunde, Immanuel Krankenhaus Berlin, für nicht indiziert. „Sie haben keinen prophylaktischen Effekt, vielmehr beeinträchtigen sie die Mikrobiota und erhöhen so wiederum die Infektanfälligkeit.“
Patienten sind bereit, die Phytotherapie zu bezahlen
Dass Patienten die alternative Therapie zu Antibiotika mit ITC begrüßen, konnten auch der Gynäkologe PD Dr. Daniele Perucchini aus Zürich sowie der Ulmer Apotheker Timo Ried bestätigen. „Große Bedenken bestehen bei unseren Kunden hinsichtlich einer Schädigung der Darm- und Vaginalflora durch verordnete Antibiotika“, erklärte Ried. Diese Kunden seien froh über das Angebot einer wirksamen pflanzlichen Alternative. „50 bis 80 Prozent meiner Patientinnen nehmen das Angebot einer Phytotherapie in Anspruch und kaufen das Präparat privat“, so der Schweizer Facharzt Perucchini. Phytotherapeutika gelten oft als kostenintensiv. Unter Berücksichtigung der „Kollateralschäden” von Antibiotika und der guten Verträglichkeit von Phytotherapeutika seien sie jedoch als preisgünstig einzustufen, ergänzte Vahlensiek.
Bonner Studie belegt Wirksamkeit der ITC bei Katheter-assoziierter HWI
Prof. Dr. Ruth Kirschner-Hermanns, Fachärztin für Urologie und Andrologie aus Bonn erläuterte ihre Erfahrungen mit den ITC bei Katheter-assoziierten Harnwegsinfekten. Eine wiederholte Antibiotikagabe könne bei diesem vulnerablen Patientenkollektiv die Darmflora zusätzlich empfindlich stören und entsprechende Beschwerden und Probleme hervorrufen. „Ich habe viele Patienten gesehen, die unter der Antibiotika-Gabe mehr litten als unter der eigentlichen Harnwegsinfektion”, so die Expertin. Aus klinischer Sicht bestünde daher die dringende Notwendigkeit, verträglichere therapeutische Strategien zu erforschen. Mit einer dreiarmigen Anwendungsbeobachtung[28] konnte ihre Arbeitsgruppe zeigen, dass die Behandlung mit Kapuzinerkresse und Meerrettich sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit Standardantibiotika bei diesen Patienten zur Reduktion der Rezidivrate, zu geringerem Antibiotikaverbrauch und zur Minimierung der Entwicklung multiresistenter Keime führte.
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Literatur:
Die Quellen 1-28 können auf Wunsch unter folgendem Pressekontakt angefordert werden.