Studie der Universitätsmedizin Mainz zeigt: Schweregrad der Erkrankung bei über 50 Prozent der Patient:innen mit Standardverfahren zu hoch eingestuft
Forschende der Universitätsmedizin Mainz haben gezeigt, dass eine neuartige Computertomographie (CT) mit einem sogenannten Photon-Counting-Detektor (PCD-CT) die Beurteilung der koronaren Herzerkrankung verbessern kann. Durch die ultrahochauflösende PCD-CT lassen sich Blutgefäße und Gefäßablagerungen genauer darstellen als bisher. Mit Hilfe der innovativen Diagnostikmethode konnten in der Mainzer Studie über 50 Prozent der Patient:innen in eine niedrigere Krankheitskategorie eingestuft werden. Die Technologie hat das Potenzial, die Patientenversorgung zu verbessern und Gesundheitskosten zu reduzieren. An der Universitätsmedizin Mainz wird das PCD-CT bereits routinemäßig bei Patient:innen mit schwerwiegenden Gefäßverkalkungen eingesetzt. Die Forschungsergebnisse wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Radiology veröffentlicht.
Die koronare Herzkrankheit (KHK) gehört zu den häufigsten Herzerkrankungen. Alleine in Deutschland sind mehr als fünf Millionen Menschen betroffen. In den meisten Fällen wird die KHK durch eine Verkalkung der Arterien, der sogenannten Arteriosklerose, verursacht. Durch die Ablagerungen verengen die Blutgefäße, die das Herz versorgen, stetig. Anfangs kommt es unter körperlicher Belastung zu Symptomen wie Brustschmerzen und Atemnot. Unbehandelt können sich aus den Ablagerungen Blutgerinnsel herauslösen, die das Gefäß vollständig verschließen und zu einem Herzinfarkt führen können.
Eine Herzuntersuchung mittels einer Computertomographie gehört zu den diagnostischen Verfahren, die eingesetzt werden, um eine koronare Herzerkrankung zu beurteilen. Diese Bildgebungsmethode stößt bisher jedoch insbesondere bei Betroffenen, bei denen die Ablagerungen bereits stark verkalkt sind, an ihre Grenzen. „Verkalkte Gefäßablagerungen haben eine höhere Dichte und erscheinen durch den sogenannten Calcium-Blooming-Effekt bei der Herz-CT als schwerwiegender, als sie es tatsächlich sind. Dies kann dazu führen, dass die Gefäßverengung, also die Stenose, überschätzt wird“, erklärt Dr. Tilman Emrich, Oberarzt in der Klinik und Poliklinik für diagnostische und interventionelle Radiologie der Universitätsmedizin Mainz und Assistenzprofessor für Radiologie an der Medical University of South Carolina in Charleston.
Eine neue Generation von Computertomographen, die sogenannten Photon-Counting-Detektor CTs (PCD-CT), haben im Vergleich zur konventionellen CT eine deutlich verbesserte Bildqualität. Darüber hinaus bieten sie eine bessere räumliche Auflösung. Sie trägt dazu bei, dass zwei benachbarte Strukturen wie das Gefäß und die Ablagerungen genauer unterschieden werden können. „Die neue Technologie könnte ein deutlicher Vorteil für Patientinnen und Patienten sein, deren Stenose durch den Blooming-Effekt überbewertet wurde. Durch die bessere Beurteilung der koronaren Herzerkrankung können sich die Empfehlungen für nachgelagerte Tests erheblich verändern. Dies kann potentiell unnötige invasive Eingriffe reduzieren sowie die Gesundheitskosten senken”, so Emrich.
Die interdisziplinäre kardiologisch-radiologische Forschungsgruppe um Dr. Tilman Emrich (Radiologie) und Prof. Dr. Michaela Hell (Kardiologie) hat in ihrer Studie 114 Patient:innen mit vermuteter oder diagnostizierter koronarer Herzerkrankung mit der PCD-CT untersucht. Sie fanden heraus, dass die ultrahochauflösende CT in vielen Fällen einen geringeren Stenose-Grad ergab als die konventionelle CT. Mit einer Standardauflösung fiel der von den Expert:innen gemessene Stenosegrad mit einer Verengung von 42 Prozent deutlich größer aus als bei der ultrahohen Auflösung mit 29 Prozent. Mit Hilfe der PCD-CT konnten so rund 54 Prozent der Studienteilnehmenden in eine niedrigere Stenose-Kategorie, die sogenannte CAD-RADS (Coronary Artery Disease Reporting and Data System) -Klasse, eingestuft werden, als sie ursprünglich zugewiesen worden waren. Der Effekt war besonders groß bei Personen, die eine starke Gefäßverkalkung vorwiesen. Bei gemischten und nicht verkalkten Plaques mit geringem Blooming-Effekt stellten die Wissenschaftler:innen dagegen keine wesentlichen Vorteile der ultrahohen Auflösung fest.
„Wir haben in unserer Studie die Auswirkung der PCD-CT auch an einem künstlichen Gefäßmodell untersucht. Das Modell simulierte ein Gefäß mit verkalkten Ablagerungen, die einem Stenosegrad von 25 und 50 Prozent entsprachen. Auch hier zeigte sich der Vorteil der ultrahohen räumlichen Auflösung. Die Rekonstruktion der Scans mit der ultrahohen Auflösung wich nur rund zwei bis drei Prozent vom Modellwert ab. Mit der Standardauflösung waren es rund 10 Prozent Abweichung“, erläutert Dr. Moritz Halfmann, Erstautor der Publikation und Assistenzarzt in der Klinik und Poliklinik für diagnostische und interventionelle Radiologie der Universitätsmedizin Mainz.
„Die innovative CT-Methode zeigt in unserer Studie ein deutliches Potenzial einen weiteren Schritt Richtung optimierter und patientenzentrierter Diagnostik und Behandlung der koronaren Herzerkrankung zu gehen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Bildgebungs- und klinisch-kardiologischen Experten zu fördern. Da es sich jedoch bei unserer Untersuchung um eine Simulationsstudie handelt, ist zunächst eine weitere Validierung der Ergebnisse in Vergleichsstudien erforderlich”, betont Professorin Hell, Oberärztin am Zentrum für Kardiologie – Kardiologie I.
Bei der Computertomographie durchdringen energiegeladenen Teilchen aus Röntgenstrahlung das zu untersuchende Gewebe. Dabei verlieren die Teilchen Energie, abhängig davon, wie dicht oder durchlässig das Gewebe ist. Ein spezieller Detektor misst die restliche Teilchenenergie und wandelt sie in elektrische Signale um, aus denen ein Bild des Gewebes errechnet wird. Bisherige Detektoren brauchen einen zusätzlichen Umwandlungsschritt, um dieses elektrische Signal aus der gemessenen Energie zu generieren. Dabei fassen die Standard-Detektoren die Energie mehrerer Teilchen zusammen und es gehen Detailinformationen verloren. Der neuartige Photon-Counting-Detektor kann dagegen die einzelne Teilchenenergie direkt in ein elektrisches Signal umwandeln. Dadurch wird jedes Signal umgerechnet, so dass die CT-Bilder eine höhere räumliche Auflösung sowie eine bessere Qualität aufweisen.
Originalpublikation: M.C. Halfmann, S. Bockius, T. Emrich, M. Hell, U.J. Schoepf, G. S. Laux, L. Kavermann, D. Graafen, T. Gori, Y. Yang, R. Klöckner, P. Maurovich-Horvat, J. Ricke, L. Müller, A. Varga-Szemes, N. Fink, Ultra-High-Spatial-Resolution Photon-counting Detector CT Angiography of Coronary Artery Disease for Stenosis Assessment. Radiology, 2024, 310(2):e231956.
DOI: https://doi.org/10.1148/radiol.231956
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 345.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Mehr als 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 670 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.700 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de.
[Stand: 2022]