Hannover – Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrome ME/CFS tritt weltweit auf, hat bei Erwachsenen eine Prävalenz von 0,2 – 0,4% und Frauen erkranken etwa doppelt bis viermal so häufig. Es trifft Menschen aller Altersstufen, ethnischen und sozioökonomischen Gruppen. In Deutschland leben geschätzt 300.000 Menschen mit ME/CFS, bei einer hohen Dunkelziffer. Vermutlich wird die Diagnose oft nicht gestellt bzw. als eine psychische Erkrankung oder Burnout fehldiagnostiziert. ME/CFS beginnt gewöhnlich mit einem auslösenden infektiösen Ereignis, das dann zu den klinischen Charakteristika führt. Dieses auslösende Ereignis kann bakterieller oder viraler Natur sein. Seltener tritt der Krankheitsbeginn zeitverzögert auf.
ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad der körperlichen Behinderung führt. Zu den vielfältigen und quälenden Symptomen zählen u. a.: die Unfähigkeit länger zu stehen und zu sitzen, Infektanfälligkeit, starke Muskelschmerzen, Schwindel, dauerhafte grippeähnliche Symptome, anhaltende, massive Erschöpfung und Zustandsverschlechterung nach körperlicher und geistiger Belastung. Schwere Formen können zu Lähmungen, Anfällen, Inkontinenz und lebensbedrohlichen Komplikationen führen. 25% der Erkrankten können krankheitsbedingt die Wohnung nicht mehr verlassen oder sind bettlägerig.
Auch wenn die Ätiologie der Erkrankung derzeit noch unbekannt ist, werden in Forschungsarbeiten immunologische, virologische, neuroendokrinologische Pathogenesen diskutiert. Mehrere aktuelle Untersuchungen zeigen übereinstimmend schwere metabolische Störungen bei Patienten mit ME/CFS. Es gibt zunehmend Evidenzen für eine autoimmune Ätiologie.
Oftmals sind es junge Erwachsene, die durch die Krankheit ihre Lebensträume wie Beruf und Familiengründung aufgeben müssen. Viele von ihnen werden innerhalb kurzer Zeit von aktiven jungen Menschen zu bettlägerigen Pflegefällen, müssen gewaschen werden, benötigen Hilfe beim Essen, können nicht mehr stehen und sitzen. Die meisten Patienten führten vor dem Ausbruch von ME/CFS eine gesunde, aktive Lebensweise.
Kardinalsymptom ist eine pathologisch niedrige Erschöpfungsschwelle, die gekennzeichnet ist durch eine Unfähigkeit, bei Bedarf ausreichend Energie zu produzieren. Es liegen messbare, objektive, unerwünschte Reaktionen auf normale Belastung vor, die zu Erschöpfung, extremer Schwäche, Verschlimmerung von Symptomen sowie einer verlängerten Erholungszeit führen.
ME/CFS kann Menschen jeden Alters treffen – Kleinkinder, Jugendliche und Erwachsene.
Obwohl die Erkrankung die Lebensqualität der Patienten enorm beeinträchtigt, existiert in Deutschland kein Bewusstsein für die Schwere der Erkrankung. Trotz der hohen Zahl Betroffener bundesweit ist ME/CFS unter Ärzten weitgehend unbekannt. Es gibt aktuell noch keine ambulanten und klinischen Versorgungsstrukturen in Deutschland.
Der 12. Mai ist internationaler ME/CFS-Tag
Der internationale Aktionstag geht auf den Geburtstag von Florence Nightingale zurück. Diese erkrankte selbst, bei einem humanitären Einsatz, nach einer Infektion schwer. Heute vermutet man, dass es sich um ME/CFS gehandelt haben könnte. Weltweit machen Ehrenamtliche auf die Erkrankung aufmerksam. „Oft sind es selbst Erkrankte oder deren Angehörige, die dafür kämpfen ME/CFS in das Bewusstsein von Öffentlichkeit, Politik und Medizin zu rücken,“ berichtet die Vorsitzende Nicole Krüger. Sie hatte 2012 gemeinsam mit anderen die Lost Voices Stiftung gegründet. Die noch junge Stiftung feiert im September ihr 5-jähriges Jubiläum. „Diese Helfer zahlen für ihr Engagement meist einen hohen Preis,“ so die Vorsitzende. „Der eigene Körper, kann bei Menschen mit ME/CFS nicht genügend Energie produzieren. Dieses Defizit kann auch durch Pausen nicht ausgeglichen werden. Man kann sich zum besseren Verständnis, einen Akku vorstellen. Bei diesen Patienten bleibt der Ladestand im roten Bereich. Wenn weitere Aktivitäten dazu kommen, ist der Akku schnell vollständig entleert. Auch eine Erholungszeit von mehreren Tagen lädt diesen Akku nicht wieder vollständig auf.“ Die diesjährige Aufklärungskampagne der Stiftung lautet daher auch „FRÜHSTÜCKEN ODER DUSCHEN?“. Vor dieser Entscheidung stehen Betroffene tagtäglich. Sie müssen alltägliche Situationen immer ihrem aktuellen Aktivitätsniveau anpassen. Selbst das Einnehmen einer Mahlzeit kann schon ein zu viel an Aktivität sein.
Es finden im Mai, rund um den internationalen ME/CFS-Tag, zahlreiche weitere Aktionen, Demonstrationen und Veranstaltungen überall auf der Welt und im Internet statt. Ende Mai treffen sich zudem internationale Wissenschaftler aus den Bereichen Immunologie, Mikrobiologie und weiteren Fachrichtungen zum siebten internationalen BRMEC- Forschungskolloquium und zum zwölften IiMEC-Kongress in London. Veranstalter ist die britische Organisation Invest in ME Research (Übersetzt: in ME Forschung investieren).
Es wird dringend eine koordinierte und fokussierte Initiative für eine effektive medizinische Versorgung gebraucht ̧ die dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Fortbildung ist ein essentieller Bestandteil verantwortungsvollen ärztlichen Handelns. Sie ermöglicht es, aktuelle Entwicklungen in der Medizin zu verfolgen und damit den Patienten den bestmöglichen Behandlungsstandard anbieten zu können. „Die bestehenden Lücken in der medizinischen Versorgung ME/CFS-kranker Menschen müssen endlich geschlossen werden“ sagt Nicole Krüger.