München – Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat vor Versorgungsengpässen mit lebenswichtigen Medizinprodukten gewarnt und den Bund sowie die EU zum raschen Handeln aufgefordert. Holetschek sagte anlässlich eines gemeinsamen Besuchs mit der Europaabgeordneten Angelika Niebler im Kinder-Herzkatheterlabor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München am Freitag: „Wir steuern in Deutschland wie in der gesamten Europäischen Union auf einen gefährlichen Versorgungsengpass bei Medizinprodukten zu. Das ist für betroffene Patientinnen und Patienten eine lebensbedrohliche Situation. Fachärzte warnen zum Beispiel, dass bestimmte lebensnotwendige Herzkatheter für Babys und Kinder vom Markt verschwunden sind. Deswegen haben wir uns vor Ort im Kinder-Herzkatheterlabor der LMU über die Lage informiert und wollen mit unserem Besuch die Dringlichkeit dieses Themas untermauern. Die Situation ist für die Kinder besonders schlimm, trifft aber zunehmend auch Medizinprodukte für Erwachsene. “
Die Europaabgeordnete Niebler erklärte: „Mit einer Anfrage im Europäischen Parlament wollen wir die Europäische Kommission erneut auffordern, die Revision der Medizinprodukteverordnung unverzüglich anzugehen und sich dazu öffentlich zu äußern. Es ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Bereits vor einem Jahr haben wir die Kommission auf die katastrophale Lage bei der Versorgung mit Medizinprodukten aufmerksam gemacht. Passiert ist nichts. Es braucht jetzt eine schnelle Verbesserung, deshalb muss die Europäische Kommission jetzt endlich einen Vorschlag vorlegen. Ich habe bereits das so genannte ‚Grandfathering‘ empfohlen, wonach bisherige Zulassungen von Nischenprodukten bestehen bleiben und keine Neuzertifizierungen notwendig sind.“
Professor Nikolas Haas von der LMU ergänzte: „Dieses neue Gesetz ist eine komplette Fehlkonstruktion, es ist extrem schlecht gemacht und muss eigentlich sofort gestoppt und komplett neu überdacht werden. Die Absicht, dadurch die Patientensicherheit zu erhöhen, trifft gerade nicht zu. Aufgrund unverständlicher Zulassungsverfahren müssen jetzt alle Produkte alle fünf Jahre neu zugelassen werden, auch wenn diese seit Jahrzehnten mit exzellenten Ergebnissen verwendet werden. Diese Neuzulassung kostet jetzt auch mindestens 10- bis 20-mal so viel wie bisher, und ist daher gerade für die Kindermedizin eine Katastrophe, weil dadurch sehr viele Produkte, die für die Behandlung von Kindern extrem wichtig sind, vom Markt schon verschwunden sind oder bald verschwinden, da sich dies für die Firmen nicht mehr lohnt bzw. diese erhebliche Kosten verursachen. Es gehen uns nach und nach die wichtigen Produkte aus, und dadurch sterben schon jetzt in Europa Kinder. Wir betreiben heute eine Medizin wie vor ca. 20 Jahren. Forschung und Entwicklung dieser Produkte wird damit in Deutschland – und Europa – verhindert. Es profitieren große amerikanische Firmen, die viel einfachere, kostengünstigere und vor allem verlässliche Zulassungsverfahren haben und letztendlich profitiert besonders China. Zusätzlich vervielfachen sich die Kosten für die Behandlungen und wir steuern auf amerikanische Preise zu. Leider sind die Bürokraten in Brüssel – und teilweise auch unser Bundesministerium – völlig uneinsichtig und weigern sich, mit uns Anwendern zu reden oder gar auf uns zu hören, obwohl wir schon seit ca. zwei Jahren auf diese Entwicklung hingewiesen haben.“
Medizinprodukte sind unter anderem Implantate, Zubehör zur Injektion, Infusion, Transfusion und Dialyse, humanmedizinische Instrumente, Katheter oder Herzschrittmacher aber auch zum Beispiel Pflaster und Verbände, Brillen und Zahnfüllungen.
Holetschek warnte: „Die MDR entwickelt sich zu einem Schuss, der nach hinten losgeht. Einem Sachstandsbericht der Bundesregierung zufolge sind rund 6.000 Medizinprodukte betroffen, die bereits vom Markt genommen wurden oder bei denen die Hersteller dies angekündigt haben. Sollte sich dies bewahrheiten, könnten Hunderttausende Menschen allein in Deutschland davon betroffen sein, die auf diese Produkte angewiesen sind. Dabei reden wir noch gar nicht über innovative Medizinprodukte, die aufgrund der entstandenen Situation nun deutlich verzögert in Verkehr gebracht werden und somit Patienten erst später helfen können.“
Der Minister ergänzte: „Bayern hat deswegen gemeinsam mit Baden-Württemberg eine Initiative in den Bundesrat eingebracht und den Bund aufgerufen, Gespräche mit der Europäischen Kommission aufzunehmen, um die Umsetzung der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) zu verbessern. Der Bundesrat hat die Initiative Anfang Oktober angenommen – aber geschehen ist auf europäischer Ebene seither nichts, da die Kommission, die allein das Initiativrecht für Änderungen der MDR hat, noch abwarten will.“
Holetschek forderte: „Wir müssen erreichen, dass die Medizinprodukteverordnung ihren Zweck erfüllt, nämlich mehr Patientensicherheit zu gewährleisten, dabei aber die Patientenversorgung nicht zu verschlechtern. Maßnahmen dürfen dabei weder zu Lasten der Länder und ihrer Marktüberwachungsbehörden gehen noch zu einem Aufbau zusätzlicher bürokratischer Verfahren führen.“